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"Dem Westen den Krieg erklärt"

19. Mai 2003

Die Anschläge in Marokko und die Konsequenzen für die internationale Sicherheit sind das zentrale Thema in der internationalen Presse. Eine Umschau.

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Die französische Tageszeitung "La Charente Libre" aus Angoulême schreibt nach den Anschlägen in Marokko über die Sicherheit Frankreichs und der westlichen Welt:

"Angesichts dieses mörderischen Fundamentalismus müssen zwei Punkte klar sein: Auch wenn wir mit den Moslems keinen Krieg der Zivilisationen führen, ist es so, dass diese Fundamentalisten unserer Zivilisation den Krieg erklärt haben. Der Krieg in Afghanistan und der amerikanische Sieg in Irak haben die heiligen Krieger keinesfalls entwaffnet. Zweitens wäre es gefährlich naiv, wenn Frankreich sich in Sicherheit wähnt, nur weil es sich in der Irak-Krise gegen die Amerikaner gestellt hat. Unsere republikanische Devise - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - ist für die heiligen Krieger an sich schon ein rotes Tuch und eine offensichtliche 'Gottlosigkeit'."

Die Pariser Zeitung "Figaro" geht in ihrem Kommentar auf die wiedergewonnene Macht der Terrororganisation El Kaida ein:

"Der politische Islam hat dem Westen den Krieg erklärt. Er wird so schnell nicht wieder zur Ruhe kommen. El Kaida ist es gelungen, eine zweite Generation von Terroristen heranzuzüchten. Die Abgesandten sitzen in allen Ländern der arabisch-moslemischen Welt. Die Stärke von El Kaida besteht darin, dass die Bewegung heterogen ist, dass es keine Zentralisierung gibt. Die Sponsoren sind weit verteilt, die Soldaten werden an Ort und Stelle rekrutiert. Die Strategie läuft darauf hinaus, die 'ungläubigen' Regierungen der moslemischen Länder zu schwächen."

Die römische Tageszeitung "La Repubblica" kommentiert die jüngste Welle von Anschlägen durch Selbstmordattentäter:

"29: So viele Menschen haben sich in nur einer Woche dafür entschieden, sich in die Luft zu sprengen - im Kaukasus, der arabischen Halbinsel, im Mittelmeer-Staat Marokko. In Tschetschenien, in Riad, in Casablanca, in Hebron und in Jerusalem. So wird die neue Tatsache immer klarer, die sich am 11. September 2001 abgezeichnet hatte und kein Politologe oder Strategie-Experte vorhergesehen hatte: Das Vorhandensein einer Kohorte von angehenden Selbstmordattentätern in der arabischen Welt, schon seit einiger Zeit darauf vorbereitet, sich von den eigenen Bomben zerfetzen zu lassen, nur um die größtmögliche Zahl von Feinden zu töten."

Auch die französische Tageszeittung "Sud-Ouest" aus Bordeaux kommentiert die Folgen der Anschläge für den Staat Marokko:

"Hat die marokkanische Monarchie die Fähigkeit, das Minenfeld zu räumen, das durch himmelschreiende Ungerechtigkeiten, extreme Armut und mangelnde Bildung entstanden ist? Der junge König Mohammed VI. hat sich die Aufgabe gestellt, die Öffnung zum Westen und zu den USA zu schaffen und dabei nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die von den Terroristen ausgewählten Ziele zeigen, wie schwierig diese Aufgabe zu erfüllen ist. Die politischen und sozialen Reformen werden vom zunehmenden Druck der islamischen Extremisten und dem Gewicht der Kasten gebremst. Marokko lebt - wie zahlreiche andere Länder im Übergang - am Rand des Abgrunds. In dieser Lage ist intelligente Hilfe erforderlich."

Die russische Tageszeitung "Kommersant" aus Moskau sieht keinen Zusammenhang zwischen den Anschlägen in Marokko und denen in Israel. Sie warnt vor vorschnellen Schlussfolgerungen:

"Offensichtlich verfolgten die Terroristen bei den Attentaten in Casablanca ganz andere Ziele als die Selbstmordattentäter in Israel. Wahrscheinlich gehörten sie zu unterschiedlichen Gruppierungen, die nichts miteinander zu tun haben. Doch nun wird jeder Freischärler, religiöse Fanatiker oder Selbstmord-Attentäter zwangsläufig dem Terror-Netzwerk El Kaida zugerechnet, dem größten Feind der USA, auch wenn er mit denen definitiv nichts zu tun hat. Vielleicht ist das eine der deutlichsten Folgen des amerikanischen Krieges gegen Saddam Hussein."

Die katholische französische Tageszeitung "La Croix" aus Paris fordert wirksame Bekämpfungsmethoden gegen Terrorismus nach den Anschlägen in Casablanca:

"Die schreckliche Neuigkeit der vergangenen Tage nach der Tragödie in Marokko ist die Feststellung eines entsetzlichen 'geographischen Fortschritts' der 'Einkreisung' des südlichen Mittelmeer-Raumes durch den Terror, angefangen von Palästina bis hin zu Gibraltar. Wer nur mit Entsetzen, Trauer oder Angst reagiert, unterwirft sich der Logik der Terroristen. Die richtige Antwort muss eine Verbindung wirksamer Bekämpfungsmethoden auf der Grundlage des Rechts und der vielfältigen Mobilisierung sein, aber auch ein besseres Gleichgewicht auf dieser Welt mit einem Austausch, der eine bessere Aufteilung des Reichtums ermöglicht. Damit könnte dem Terrorismus der Vorwand für seine Wahnsinnstaten entzogen werden."