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Democracy 2.0

6. Februar 2012

Jeder kann im Netz frei seine Meinung äußern. Sei es über Twitter, Blogs oder Facebook. Das Internet als Kämpfer der Demokratie? Eine Debatte unter Medienmachern, Politikern und Bloggern.

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© Philippe Huynh-Minh/Maxppp - Paris - France - 28/01/2012 : Manifestation du mouvement Anonymous (les membres defilent sous des masques a l effigie du revolutionnaire anglais Guy Fawkes) pour protester contre les lois SOPA, PIPA et ACTA votees pour encadrer l usage d internet. Portraits d activistes. PARIS JANUARY 28 2012 ANONYMOUS DEMONSTRATION
Anonymous Demonstration Paris 2012Bild: picture-alliance/dpa

Der ägyptische Blogger Philip Rizk kann es schon nicht mehr hören. Die Revolution in seinem Land vor einem Jahr sei der beste Beweis dafür, dass das Internet zu mehr Demokratie führe. Schließlich habe in Ägypten doch eine "Facebook-Revolution" stattgefunden, die das diktatorische Regime Mubarak gestürzt habe. Der 29-Jährige Deutsch-Ägypter schüttelt darüber nur den Kopf. "Die meisten Demonstranten wussten nicht über das Internet, dass es zu Demonstrationen kommen würde, sondern von ihren Nachbarn, ihren Freunden oder sie haben es irgendwo auf der Straße gehört."

Mythos Internet-Revolution

Ist die Politisierung von Massen durch das Internet also ein bloßer Wunschtraum? Der Politikwissenschaftler der Universität Warwick, Colin Crouch, ist überzeugt: "Neue Gruppen, die keinerlei Macht in den bisher existierenden Strukturen besitzen, können sich im Internet Gehör verschaffen." Während es für traditionelle basisdemokratische Organisationen wie Gewerkschaften immer schwerer werde junge Menschen anzuziehen, könnten sich Interessensgruppen im Netz schnell und unbürokratisch zusammenschließen.

Auch der Europaabgeordnete Sven Giegold ist von einer Demokratisierung durch das Internet überzeugt. Nie habe er als Abgeordneter so offen mit Menschen diskutieren können wie heute. Prinzipiell gebe es zwar keinen Unterschied, ob er auf einen Bürgerbrief per Post, Mail oder über Social Media antworte. "Doch wenn ich einen Brief absende, dann bekommt das ein einzelner und kann sich darüber ein Urteil bilden. Wenn ich aber auf Fragen über Facebook reagiere, bekomme ich die Reaktion von Hundert anderen. Die Kontrolle, dass ich keinen Unsinn erzähle, ist viel größer."

Logo des Microblogging-Dienstes Twitter
Vernetzung der MassenBild: twitter.com

Kann heute wirklich jeder Journalist sein? 

Das Recht auf Information zählt zu einem der Grundpfeiler der Demokratie. Und die Möglichkeiten, die Aussagen von Sven Giegold oder anderen Politikern zu überprüfen, sind mit dem Internet nicht nur schneller, sondern auch vielfältiger geworden. Neben etablierten Informationsportalen und Nachrichtensendern kann heute jeder Informationen ins Netz stellen oder seine Meinung öffentlich kund tun. Auf Blogs, Youtube oder Flickr kann jeder schreiben, Filme oder Fotos veröffentlichen. Paul Lewis findet das großartig. Der Redakteur der britischen Tageszeitung "The Guardian" fürchtet die neuen Bürgerjournalisten nicht. "Es gibt vor allem eine Generation älterer Männer, die dachten, die Nachrichten gehörten ihnen und allein sie könnten bestimmten, welche Themen auf der Tagesordnung stehen. Jetzt wird ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen und das ist gut so." 

Lewis, 1981 geboren, gehört bereits einer anderen Generation von Journalisten an. Dass nun viele Menschen mitbestimmen können, über welche Themen gesprochen wird, bedeutet seiner Meinung nach nicht den Untergang des Qualitätsjournalismus. Im Gegenteil. Die Aufgabe von Journalisten als Filter, der nicht allein Informationen auswählt und für den Wahrheitsgehalt garantiert, sondern auch einordnet und kritisch bewertet, so Lewis, werde immer wichtiger. Denn dies sei doch die berechtigte Kritik am Internet, dass dort eine Flut an Informationen herrsche, die nicht kontrolliert würden. Und dennoch ermutigt er Journalisten, die neuen Medien zur Recherche nutzen.

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Die Demokratie der NachrichtenBild: Fotolia/Claudia Paulussen

Eine unkontrollierbare Masse an Informationen

Paul Lewis weiß, wovon er spricht. Im August 2011 kam es in England zu heftigen Krawallen - die Menschen machten ihrer Wut über soziale Missstände Luft. Paul Lewis war mitten drin: Er kommunizierte über Twitter und Facebook mit den Menschen, die auf der Straße waren. Sie benachrichtigten ihn so schnell wie dies früher nie möglich gewesen wäre, wo gerade neue Krawalle stattfanden und welche Aktionen noch geplant waren. Natürlich wisse man nie, welche Motivation hinter der Kontaktaufnahme über das Internet stecke, warnt Lewis. Und eine Online-Identität sei noch lange keine Person, der man vertrauen könne. Seine Prämisse ist daher, nie eine Person zu zitieren, die er nicht persönlich getroffen hat.

In London und anderen britischen Städten schlossen sich Menschen im Sommer 2011 ähnlich wie zuvor in Ägypten häufig über Facebook und Twitter zusammen. Doch auch hier gilt: diese lösten keineswegs die Krawalle aus. Um die tatsächlichen Ursachen und Folgen zu recherchieren, initiierte Paul Lewis ein groß angelegtes Projekt mit der London School of Economics. Ausgewertet werden hier nicht allein Facebook- und Twitternachrichten, sondern Interviews, die die Studenten der Londoner Hochschule und Journalisten des Guardian mit den Menschen auf der Straße geführt haben. Gefunden haben sie diese Menschen aber oftmals über erste Kontakte im Netz. Diese Erfahrung zeigt: gerade mit Hilfe des Internets wird eine fundierte Berichterstattung möglich.

Orte, von denen man früher nie etwas gehört hätte

Natürlich können sich mit Hilfe des Internets auch demokratiefeindliche Gruppen leichter vernetzen und sich Gehör verschaffen. Diesen Aspekt der Freiheit des Netzes sehen selbst Internet-Verfechter wie der Chefredakteur des Online-Magazins POLITICOpro, Tim Grieve, kritisch. "Die Gefahr besteht darin, dass Menschen ihre verquere Weltsicht im Internet bestätigt finden", warnt er.

Und doch ist auch Grieve davon überzeugt, dass die demokratiefördernde Wirkung des Internets überwiegt. Dank neuer technischer Möglichkeiten werde es in Zukunft immer Menschen geben, die von Orten berichteten, von denen man früher nie gehört hätte. "Ganz gleich wo auf der Welt gerade etwas passiert, es wird immer jemanden geben, der mit einem Smart-Phone oder einer Kamera das Ereignis festhält." Das Dokumentieren von Unrecht, zum Beispiel von der brutalen Niederschlagung von Demonstrationen wie aktuell in Syrien, als erster Schritt in Richtung Demokratie.

Doch ist das nicht erneut ein Wunschtraum ferner Beobachter aus dem Westen, die sich nicht vorstellen können, dass es nicht an jedem Ort dieser Welt so leicht ist einen Internetzugang zu finden? Wieder schüttelt Blogger Philip Rizk den Kopf. Diesmal jedoch, weil er die Bedenken nicht nachvollziehen kann. Erst kürzlich habe er einen ägyptischen Bauern besucht, in einem Dorf zweieinhalb Stunden von Kairo entfernt. Internetzugang gebe es hier selbstverständlich nicht. Aus seinem traditionellen Gewand aber habe der Mann ein Handy gezogen – mit Videofunktion.

Autorin: Sarah Judith Hofmann
Redaktion: Silke Wünsch