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Grenzen des Staatsaufbaus

14. September 2011

Mit dem Arabischen Frühling hat im Nahen Osten der Wandel begonnen. Europa wünscht sich demokratische Verhältnisse - und bietet Hilfe beim Staatsaufbau an. Doch immer mehr Wissenschaftler zweifeln an diesem Konzept.

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Bauarbeiten auf einem Hoteldach in Kabul (Foto:DW/Martin Gerner)
Bild: dw

Kambodscha, Somalia, Ruanda, Haiti, zuletzt Afghanistan. In der Regel beginnt der Eingriff mit Hilfe des Militärs. Begleitet wird er von politischen Maßnahmen im Krisen-Staat, beispielsweise dem Aufbau der Polizei oder dem Ausrichten von Wahlen. Maßnahmen, die - wie es heißt - mehr Demokratie bringen sollen. Das so genannte "State building“ hat viele Gesichter und wird in der Regel in Nachkriegsgesellschaften eingesetzt. Vorbilder sind die westlichen Demokratien, Ziel die Stabilisierung einer Krisenregion.

Künstlicher Staatsaufbau gleicht Potemkinschen Dörfern

Politikwissenschaftler Florian Kühn (Foto: Ute Hempelmann)
Politikwissenschaftler Florian KühnBild: Ute Hempelmann

Mit zumeist fragwürdigen Resultaten, resümiert Florian Kühn. Der Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in Hamburg macht aus seiner kritischen Haltung gegenüber dem "State building“ keinen Hehl. "Potemkinsche Dörfer" nennt er den von außen initiierten, künstlichen Staatsaufbau. Dessen Schwierigkeiten hat Kühn besonders am Beispiel Afghanistan ausgemacht. Die Maßnahmen glichen hohlen Kulissen, die in sich zusammen fielen, wenn der Westen die Krisenregion verlasse, fasst er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen. Zu einem ähnlichen Urteil kommt eine Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik: Staatliches, ressortübergreifendes Handeln funktioniere in Afghanistan nach dem Prinzip: "Versuch und Irrtum“ und gliche einem Stochern im Nebel.

Staatsaufbauhilfe als Experiment

Die Experimentierfreudigkeit beim "State Buildung“ stehe im krassen Gegensatz zur westlichen Politik gegenüber der arabischen Welt, bei der man viel zu lange an scheinbar Bewährtem, in diesem Falle den arabischen Potentaten, festgehalten habe. So sagt Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Das trifft auf Ägypten zu, das trifft auf Tunesien zu, das trifft auch auf Saudi-Arabien oder auf Syrien und selbst auf Libyen zu.“

Was alte Hasen in der Politik eigentlich wissen müssten: Die Überbewertung von Stabilität und Sicherheit begünstigt immer eine politische Stagnation. Paradebeispiel sei Libyen, sagt Perthes: "Dort hat man gedacht, wenn man seit 42 Jahren regiert, dann ist das ein stabiles System und dann ändert es sich vielleicht von innen. Und wenn es bereit ist, sich von innen zu ändern, dann wollen wir Hilfe geben.“ Bis das System in Libyen derart pervertiert war, dass die Nato schließlich mit Waffengewalt nachhelfen musste bei der inneren Veränderung.

In Syrien dauert der Befreiungsakt der Bevölkerung noch an. Aber selbst, wenn es dem syrischen Volk gelingt, Assad zu stürzen, sei "State building“ nur selten ein geeignetes Mittel, um das Land zu stabilisieren, sagt der Politikwissenschaftler Kühn. Seine Einschätzung: "Wenn das Regime stürzen sollte und diese Institutionen mit anderen Leuten gefüllt werden, ist der Staat ja nicht verschwunden.“  Eben das könnte Syrien von Libyen unterscheiden.

Syrien ist nicht Libyen

Zerstörtes Regierungsgebäude in Tripolis (Foto:dpa)
Zerstörtes Regierungsgebäude in TripolisBild: picture alliance/dpa

Denn in dem nordafrikanischen Land seien die staatlichen Institutionen stark personalisiert gewesen, gewissermaßen zugeschnitten auf den bisherigen Herrscher-Clan, so der Politikwissenschaftler Kühn: "Es kann sein, dass viele der Institutionen, wenn sie nicht von Ghaddafis Verwandtschaft und seiner eigenen Gruppierung gefüllt werden, auch als Institution nicht mehr richtig vorhanden sind.“

Das möchte Kühn allerdings nicht als Aufruf zum "State building"  in Libyen verstanden wissen. Das politische Instrument zur Stabilisierung und dem Aufbau von Krisenregionen sei extrem fragwürdig, wenn nicht ganz genau die Ziele der Maßnahme, sowie ihre Dauer und Erfolgsnachweise definiert würden. Deswegen lasse sich Demokratie nur ganz schwer in die Krisenregionen dieser Welt exportieren. "Es ist ein Idealbild des westlichen Staates, der aber in der Praxis auch nicht so gut funktioniert wie das Ideal", so Kühn.

Trügerischer Wunschtraum

Eine Demokratie aus dem Modellbau-Kasten der Illusionen gewissermaßen. Ihre Verwirklichung in Staaten, die auf keine demokratischen Traditionen zurückblicken können, erweist sich deshalb aus Sicht des Wissenschaftlers nicht selten als wirklichkeitsfremd. "Wenn 'State Building' nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt und potenziell ewig dauert, dann kann es wahnsinnig frustrierend sein."

Autorin: Ute Hempelmann
Redaktion: Daniel Scheschkewitz