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Proteste gegen Castor Transport

25. November 2011

Wenn sich Protestierende an Bahngleise ketten oder das Gleisbett destabilisieren, und wenn Tausende Polizisten im Einsatz sind, dann zahlt die Allgemeinheit - für Proteste und Polizeinsatz. Hohe Strafen sind selten.

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Ein Polizist beim Versuch, einen Castor.Gegner von den Gleisen zu tragen. (Foto: dpa)
Polizei im Einsatz gegen Anti-Atom-AktivistenBild: picture alliance/dpa

Deutschland lässt sich das Recht der Bürgers auf demonstrative Meinungsäußerung eine Menge kosten: Im Jahr 2010 kostete allein der Polizeieinsatz für die Castor-Transporte 20 bis 30 Millionen Euro. Der Staat ist verpflichtet, stets beide Seiten bei Protesten zu schützen. Beamte der Bundespolizei begleiten deshalb den Zug mit dem Atommüll auf dem gesamten Weg. Die Sicherheit der Waggons und damit des Eigentums der Bahn ist bis zum Ziel zu gewährleisten. Auch das Gelände der Bahn, zu dem auch die Gleise gehören, fällt in die Zuständigkeit der Bundespolizei. Die Polizei der einzelnen Bundesländer muss dagegen zusätzlich einschreiten, bei Straftaten der Demonstranten nämlich.

Castor-Gegner begehen diese Straftaten bewusst. Sie argumentieren, der Staat begehe mit den Atommüll-Transporten quer durch das Land ja auch eine Straftat. Der Staat – so ihre Argumentation – riskiere für eine Technik, die niemand mehr wolle, die Gesundheit der Bevölkerung. Tatsächlich tragen die Polizisten inzwischen einen Strahlenschutz, seitdem Messungen Anlass für den Schutz gegeben haben.

Nicht jeder Widerstand und Protest ist straffrei

Feuer auf Gleisen beim Castor-Transport am 23.11.2011 in Frankreich. (Foto: ap,dapd)
Brennende Hindernisse in FrankreichBild: dapd

Für seine Meinung zu demonstrieren, ist in Deutschland nicht strafbar. Das Recht steht jedem Bürger zu. Er ist lediglich verpflichtet, die Demonstration bei den Behörden anzumelden. Problematisch wird es allerdings, wenn es über das öffentliche Bekunden einer Meinung mit Plakaten oder lauten Äußerungen hinausgeht.

Beim Protest gegen die Castor-Transporte besetzen Demonstranten die Gleise der Bahn und bleiben dort auch sitzen, wenn sich der Zug auf sie zubewegt. Muss der Zugführer anhalten, ist das nach deutschen Gesetzen "Nötigung", und die kann bestraft werden. Das Strafmaß ist allerdings umstritten. Wenn Demonstranten nur auf den Gleisen sitzen und keine Gegenwehr gegen Polizisten leisten, bleibt die Nötigung meist straffrei. Sie gilt dann als Form "zivilen Ungehorsams".

Oft bleibt es aber nicht bei friedlichen Sitzblockaden. So wird zum Beispiel häufig der Schotter, also der Untergrund der Gleise, abgegraben, bis die Gleise nicht mehr befahrbar sind. Der Zug mit den schweren Castor-Behältern muss anhalten und warten. Genau das ist das Ziel der Demonstranten. Der Bahn aber entsteht durch die Wartezeit ein finanzieller Schaden. Bis der Untergrund wieder aufgeschüttet ist, dauert es für ein Gleisstück von ein bis zwei Metern mindestens eine halbe Stunde. Die Kosten für diese von den Demonstranten erzwungene Wartezeit stellt die Bahn natürlich den Demonstranten in Rechnung - sie müssen dafür zahlen.

Wenn sich Castor-Gegner auch noch an die Gleise ketten, müssen die Gleise aufwendig aufgeschnitten und wieder zusammengeschweißt werden. Auch für diese von den Demonstranten erzwungene "Sachbeschädigung" hat die Bahn Anspruch auf Schadensersatz durch die Demonstranten.

Verurteilung der Protestler schwierig

Wenn Castor-Gegner handgreiflich oder gewalttätig werden und dafür dennoch kaum hohe Strafen riskieren, erscheint das Außenstehenden zunächst absurd. Tatsächlich wurden aber von den Gerichten meist nur Geldstrafen zwischen 300 und 1500 Euro verhängt, obwohl die Bahn höhere Strafforderungen gestellt hatte und auch die Polizei für ihren Einsatz einen Ausgleich verlangte. In seltenen Fällen mussten Demonstranten bis zu 5000 Euro zahlen. Wie kommt das?

Demonstrantin wird durch Polizei weggetragen. (Foto: dapd)
Teure Rituale - die ständige Auflösung von SitzblockadenBild: dapd

Natürlich nimmt die Polizei randalierende Demonstranten vorübergehend fest und notiert auch die Personalien. Mehr aber darf sie nicht. Jeder Demonstrant hat ein Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren. So sind im Zusammenhang mit den Castor-Protesten im Jahr 2010 rund 1500 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, 335 davon wurden aber bereits wieder eingestellt. Das hängt mit dem komplizierten deutschen Recht zusammen. Wenn jemand einen Schaden erleidet, wie hier die Bahn, dann muss nämlich die unmittelbare Schuld an diesem Schaden zweifelsfreie einer konkreten Person nachgewiesen werden.

Etliche Gerichte hatten sich also ausführlich mit der Frage zu beschäftigen, ob der Schotter unter den Gleisen nicht schon vor der Ankunft der Demonstranten ins Rutschen gekommen sein könnte. Ebenso ging es um die Frage, ob die Gleisverankerungen tatsächlich so sicher montiert waren, dass spätere Manipulationen von vornherein ausgeschlossen werden konnten. Da derartige Nachweise nicht zu erbringen sind, gingen die Demonstranten entweder straffrei aus oder erhielten nur relativ geringe Geldbußen. Nur in einem Fall musste eine Frau in Frankfurt ins Gefängnis, aber das auch erst, als sie sich geweigert hatte, die ihr auferlegte Geldbuße überhaupt zu bezahlen.

Castor-Gegner fühlen sich bestätigt

Bei vorangegangenen Protestaktionen wurden zwar auch einige Demonstranten von der Polizei vor Ort "in Gewahrsam" genommen und verbrachten bis zu zehn Stunden in Baracken oder Bussen. Im Nachhinein mussten Gerichte dann aber auf entsprechende Klagen der Aktivisten feststellen, dass die Voraussetzungen für derartige polizeiliche Maßnahmen "nicht einmal ansatzweise" gegeben waren.

Atomkraftgegner auf Gleisen. (Foto: dapd)
Nächtliche ProtestaktionBild: dapd

Vor Gericht scheiterte die Bundespolizei vielfach auch mit ihren Schadensersatzforderungen an die Demonstranten. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein zum Beispiel bestätigte, dass Bahngleise kein rechtsfreier Raum sind. Daher habe es sich bei den Protesten dort um Versammlungen gehandelt, die nach deutschem Grundgesetz geschützt seien. Die Polizei hätte also zuerst die Versammlung auflösen müssen. Erst danach hätten die Aktivisten dann aus dem Gleisbett geholt weden dürfen. Dass die Demonstranten ohne die vorherige formale Auflösung einer Versammlung aus dem Gleisbett geholt wurden, stelle falsches Vorgehen dar, folglich könne es auch keine Entschädigung geben.

In anderen Fällen wollten Gerichte der Bundespolizei nur für einen erhöhten Sonderaufwand eine Entschädigung zusprechen. Begründung: Die Bundespolizei sei ohnehin aufgrund ihrer Dienstverpflichtung vor Ort gewesen und könne ihren Einsatz daher nicht erneut den Protestlern in Rechnung stellen.

Die Castor-Gegner, die von vielen Umweltorganisationen wie dem BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz), Greenpeace oder Robin Wood unterstützt werden, sehen sich von den Gerichten in ihren Rechten gestärkt. Die bisherigen Urteile seien ein Sieg für das Demonstrationsrecht, heißt es in etlichen Veröffentlichungen der Aktivisten.

Vielleicht liegt die Milde mancher Gerichte auch an der Symphatie für die Demonstranten, die einen weit verbreiteten Unmut zum Ausdruck brachten, lange bevor die Bundesregierung in ihrer Atompolitik einlenkte und Kernkraftwerke abschalten ließ. Heute jedenfalls wäre eine Warnung des früheren Innenministers Otto Schily undenkbar, man werde "mit aller Härte" gegen die Castor-Gegner vorgehen und ihnen jeden Cent für Aufwand von Bahn und Polizei in Rechnung stellen.

Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Hartmut Lüning