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Demokratie im Kleinen

Claire Horst15. Juni 2012

Was können jugendliche Musiker aus der Türkei und ein deutsches Symphonieorchester voneinander lernen? Ein Workshop in Istanbul hat die verbindende Wirkung von Musik erprobt und gezeigt: Verständnis geht auch ohne Worte.

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Notenblatt. Foto: Claire Horst
Bild: DW

Die ersten gedämpften Töne sind schon im Treppenhaus zu hören. Wer die breite Marmortreppe der Istanbul Universität hinaufgestiegen ist und die Tür zum Mavi Salonu, dem blauen Salon, öffnet, findet sich in einer anderen Welt. Vergessen sind die verstopften Straßen von Istanbul, die brütende Hitze und der Lärm. Stattdessen: Geigenklänge, Satzfetzen auf Türkisch, Englisch und Deutsch und zwischendurch immer wieder Gelächter. Wer zwischen den Brokatvorhängen durch die breiten Fenster nach draußen blickt, sieht Bäume, blühende Beete und hinter dem Campus die berühmte Sultanahmet-Moschee.

Auf dem Parkettboden des blauen Salons, einem gewaltigen Raum mit Stuckverzierungen und ornamentalen Wandbemalungen, sitzen sieben Musikerinnen und Musiker und aus Deutschland und der Türkei. Zu hören ist Beethovens Septett, ein anspruchsvolles Stück der Kammermusik. Die sieben Musiker nehmen an einem Workshop teil, der im Rahmen des Projektes "Beethoven ile buluşma - Begegnung mit Beethoven" der Deutschen Welle und des Beethovenfestes Bonn in Istanbul stattfindet.Eine außergewöhnliche Kooperation

Septett aus Mitgliedern des Turkish National Youth Polyphonic Orchestra und des Polyphonia Ensemble. Foto: Claire Horst
Musikerworkshop in der Universität IstanbulBild: DW

Auffällig ist auf den ersten Blick vor allem der Altersunterschied zwischen den Teilnehmern: Die jüngsten unter ihnen sind erst 20 Jahre alt. Sie sehen aus wie ganz normale Jugendliche, tragen Turnschuhe und Spaghettiträger-Shirts. Was sie leisten, ist jedoch mehr als außergewöhnlich. Sie gehören zum Turkish National Youth Philharmonic Orchestra (TNYPO), das sich aus fast 100 Jugendlichen zusammensetzt, die an Konservatorien in der ganzen Türkei ausgewählt wurden. In dieser Woche haben einige von ihnen die Gelegenheit, ein intensives Training von Musikern des Polyphonia Ensemble zu bekommen. Es ist ein Bläser- und Streicherensemble des Deutschen Symphonie-Orchesters.

Für das Jugendorchester, das erst 2007 gegründet wurde, ist es die erste internationale Kooperation. Cem Mansur, Chefdirigent und Gründer, ist begeistert von den Ergebnissen des Workshops. "Es ist unglaublich, zu welchen Leistungen die jungen Leute fähig sind. Man fragt sich dann, warum das nicht im Alltag zu halten ist. Mit dieser Frage hat das ganze Musiksystem in der Türkei zu kämpfen. Musiker an Staatsorchestern verlieren leider oft den Ehrgeiz. Die Jugendlichen sollen hier lernen, nicht wie Staatsbeamte zu arbeiten."

Zusammenspiel ist das Wichtigste

In der Türkei hat die Kammermusik keine lange Tradition. Schon deshalb ist dieser Kontakt für die Jugendlichen eine einmalige Gelegenheit, findet Cemil Abdullayev, der zum Musikstudium aus Aserbaidschan in die Türkei gekommen ist. Er spielt zum ersten Mal in einem Septett und nimmt vor allem wegen der guten Lehrer an dem Workshop teil. Auch der 20-jährige Klarinettist Ferec Akbarov, wie Cemil Abdullayev aus Aserbaidschan, spielt zum ersten Mal in einem Kammermusik-Ensemble. Für ihn eine nützliche Erfahrung: "In einer kleinen Besetzung von sieben oder zehn Musikern ist es besonders wichtig, zusammen zu spielen, die gleiche Intonation und eine gemeinsame Balance zu finden."

Dieses Zusammenspiel zu erreichen, ist auch Mansurs Ziel: "Die Jugendlichen sollen wissen, dass es wichtig ist, einander zuzuhören. Musik ist eine wunderbare Metapher für die Demokratie. Besser als alles andere transportiert sie eine Kultur des Zusammenlebens." So entsteht hier auch kein gewöhnliches Lehrer-Schüler-Verhältnis. Zwar stehen die professionellen Musiker aus Deutschland immer wieder neben den Jugendlichen, geben Erklärungen oder spielen selber vor, wie es klingen sollte. Und trotzdem lernen auch die Profis von ihren Schülern: "Das war gut!" lobt ein junger Musiker seinen deutschen Nachbarn lachend. "Es ist schön, dass die Grenzen zwischen Lehrern und Schülern hier wirklich nicht mehr bestehen. Ich lerne selbst jeden Tag etwas Neues", sagt Mansur.

Ismail Kaya, Mitglied des Turkish National Youth Polyphonic Orchestra spielt Violoncello. Foto: Claire Horst
Der junge Cellist Ismail KayaBild: DW

Eine Herausforderung auf höchstem Niveau

Johannes Watzel, Geiger im Deutschen Symphonieorchester Berlin und Mitglied des Polyphonia Ensemble, reizt die Herausforderung. "Solche Workshops haben wir in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle schon mehrmals gemacht, etwa im Nahen Osten, auf dem Balkan oder in Südamerika. Wir kommen an Orte, wo westliche klassische Musik nicht selbstverständlich ist. Wenn wir anreisen, wissen wir nie vorher, welches Niveau uns erwartet. Manchmal war es nicht einfach, zu präsentierbaren Ergebnissen zu kommen."

Mit den Musikern des TNYPO ist Watzel äußerst zufrieden: "Hier in Istanbul ist es eine schiere Freude, weil es teilweise ganz hervorragende Studenten sind." Die 20-jährige Geigerin Hamde Küden zum Beispiel wird demnächst ihr Studium an der Hanns-Eisler-Musikhochschule in Berlin beginnen und wurde auch in die Akademie des Deutschen Symphonie-Orchesters aufgenommen.

Polyphonia-Mitglied Johannes Watzel mit der Musikerin Hamde Küden in der Univerität Istanbul. Foto: Claire Horst
Johannes Watzel mit Hamde KüdenBild: DW

Das Absschlusskonzert

Der Workshop geht mit einem gemeinsamen Konzert im Deutschen Generalkonsulat zu Ende. "Ich bin sehr aufgeregt", sagte Hamde Küden. "Aber ich bin sicher, dass es sehr gut laufen wird, weil wir gut zusammenarbeiten." Auch nach dem Konzert geht die Zusammenarbeit weiter: Im Herbst 2012 wird das gesamte TNYPO in Deutschland, Holland und Belgien touren und am 19. September beim Campuskonzert der Deutschen Welle und des Beethovenfests Bonn auftreten.