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Demokratisierung versus Modernisierung

Miodrag Soric10. März 2004

Putin kann Erfolge aufweisen; den Modernisierungsprozess Russlands will er weiter beschleunigen. Dafür ist der Präsident aber bereit, demokratische Grundrechte zu vernachlässigen. Ein Kommentar von Miodrag Soric.

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Selbst die größten Kritiker des Kremlchefs werden kaum leugnen, dass Russland heute besser dasteht als vor vier Jahren, als der kränkelnde Präsident Boris Jelzin die Macht an Wladimir Putin weitergab. Dem neuen Staatsoberhaupt gelang es nicht nur, den wirtschaftlichen Niedergang des größten Landes der Erde zu stoppen. Russland vermag heute ein Wirtschaftswachstum vorzuweisen, von dem die meisten westlichen Staaten nur träumen können. Der Wirtschaftsreformer Putin hatte das Glück des Tüchtigen: Der Preis für Erdöl und Erdgas war hoch in den letzten Jahren, so dass frisches Geld in die leeren Staatskassen floss. Russland beglich vergleichsweise schnell einen Großteil seiner Schulden an die westlichen Gläubiger. Löhne und Pensionen werden - anders als in der benachbarten Ukraine - pünktlich bezahlt. Der Lebensstandard des russischen Normalbürgers steigt.

Demokratisierungsprozess vorantreiben

Umso unverständlicher bleibt es, dass die Regierung in Moskau mit allen Mitteln demokratische Wahlen verhinderte. Putin hätte diese gewiss gewonnen. So wird er in den kommenden vier Jahren mit dem Makel eingeschränkter demokratischer Legitimation über das diplomatische Parkett schleichen müssen.

Wenn Putin die Integration Russlands in die westlichen Strukturen vorantreiben will - und davon ist auszugehen - muss er den Demokratisierungsprozess des Landes wieder vorantreiben. Eine Demokratie kann es ohne freie Wahlen, ohne Pressefreiheit, ohne Gewaltenteilung, ohne die Achtung von Minderheitenrechten nicht geben. Putin aber ist bereit, demokratische Grundrechte gering zu achten, um mit Hilfe eines starken Staates den Modernisierungsprozess Russlands zu beschleunigen.

Dafür spricht die Besetzung der Ministerämter in der neuen Regierung: Die so genannten Machtministerien, also Verteidigung und Inneres, werden mit Politikern aus dem Geheimdienst besetzt. Gleichzeitig stehen an der Spitze des Wirtschafts- und Finanzressorts reformorientierte Kräfte. Der neue Ministerpräsident und sein Außenminister, Michail Fradkow und Sergej Lawrow, lebten viele Jahre im Westen. Sie sollen nun dafür sorgen, dass der russisch-westliche Honeymoon fortgesetzt wird. Denn Putin weiß, dass die Modernisierung Russlands ohne westliche Technologie zum Scheitern verurteilt ist. Praktisch alle Minister der neuen Regierung sind auf den Kremlchef eingeschworen, haben keine eigene Hausmacht. Sie können sich auch nicht auf die Unterstützung des früheren Präsidenten Jelzin berufen.

Geballte Macht

Das eigentliche Machtzentrum Russlands bleibt der Präsidialapparat. Das Parlament ist zu einer Versammlung von Ja-Sagern degradiert worden. Die Gouverneure in den Regionen wagen ebenfalls keinen Widerspruch. Putin hat annähernd so viel Macht, wie sie einst die russischen Zaren innehatten. Macht wofür?

Zu den Erfolgen Putins zählt die Legitimierung von Privatbesitz an Grund und Boden. Soll Russlands Volkswirtschaft auf stabilen Füßen stehen, braucht es noch eine Banken- und vor allem eine Kommunalreform. Letzteres hätte zur Folge, dass die Preise für Strom, Gas und die Mieten dramatisch steigen würden. Ohne politisch fest im Sattel zu sitzen, wird sich kein russischer Politiker an diese Herkules-Aufgabe wagen. Gleiches gilt für die Bekämpfung der weit verbreiteten Korruption. Sie einzudämmen wäre ein großer Fortschritt für Russland.

Einst gewann Putin die Wahlen mit dem Versprechen, den Tschetschenien-Krieg zu beenden. Doch trotz aller offiziellen Verlautbarungen, dass der Krieg im Kaukasus beendet sei, ist Frieden in Tschetschenien nicht eingekehrt. Das Rückkehrrecht der tschetschenischen Flüchtlinge in ihre Heimat entpuppte sich als Sonntagslyrik. Die Korruption in der russischen Armee ist so mobil wie Quecksilber. Putin scheiterte beim Tschetschenienproblem. Der Westen braucht zwar Russland als Partner beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Gleichzeitig jedoch darf und wird er nicht aufhören, eine politische Lösung des Kaukauskonfliktes zu fordern.