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"Den Ramadan, den mag ich total"

Stefanie Duckstein17. Oktober 2004

Die Wiener Straße in Berlin Kreuzberg liegt im Dunkeln. Doch sieht man Frauen in Kopftücher gehüllt und Männer mit Rosenkränzen in einen Hauseingang eilen. Die Merkez-Moschee beginnt den Ramadan mit dem Tarawih-Gebet.

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In der Bundesrepublik leben etwa 2,1 Millionen TürkenBild: AP

Kein Minarett, kein weit schallender Ruf des Muezzin, nein - die Merkez-Moschee liegt im zweiten Hinterhof eines Kreuzberger Mietshauses. Unendlich viele Schuhpaare weisen den Weg zu den Gebetsräumen, unten die Männer, oben die Frauen. Der Lautsprecher knistert. Blechern klingt der Gesang des Imam aus zwei kleinen Boxen. Ein kehliges Auf und Ab der Stimme, immer mal wieder unterbrochen von spratzenden Störgeräuschen.

"Wirklich leibhaftig erleben den Imam nur die Männer. Frauen dürfen da nicht hin. Aber wir hören ihn ja." Mellika (Name von der Redaktion geändert) hockt in einem Meer von Kopftüchern, streicht ab und an mit den Händen über ihren Rock. Mit 13 Jahren ist sie eine der jüngeren Besucher der Moschee. "Ja das stimmt, ich bin noch sehr jung aber das ist sogar schon mein dritter Ramadan. Ich habe alles gelernt von meiner Mutter: Wie die Gebete gehen und was man dabei tun muss. Es war einfach ein tolles Gefühl, als ich gebetet habe. Ich freue mich schon total."

Den Blick nach Mekka

Die Wanduhr zeigt 20 Uhr - nur noch 10 Minuten bis zum 'Tarawih', dem großen Nachtgebet, das nur während des Ramadan stattfindet. Noch immer werden Tische beiseite geschoben, um Platz für herbeiströmende Gläubige zu schaffen. Etwa 100 Frauen sitzen verstreut in dem neonbeleuchteten Raum, mit imitierten Säulen und Spitzbögen, die Wände bestückt mit Postern vom Pilgerort Mekka. Die Füße versinken in dicken Teppichen.

Plötzlich, auf ein Signal des Imam, verstummt das Gemurmel, das Getümmel ordnet sich und die Frauen nehmen in Reihe Aufstellung, wenden den Blick nach Mekka.

Betende Kinder in der Moschee in Kabul mit Thumbnail
Um die Verse des Korans lesen zu können, lernen die Gläubigen das arabische Alphabet schon im frühen AlterBild: AP

33 Mal zitiert der Imam die Fatiha, das erste Kapitel des Korans, in dem Allah als wohltätig und barmherzig gepriesen wird. 33 Mal verbeugen sich die Frauen in Richtung Mekka, fallen auf die Knie bis die Stirn den Boden berührt. Nach jedem Gebet streichen sie sich über das Gesicht, wippen mit dem Kopf nach rechts und links. Man grüßt den Propheten Mohammed. Mit einem Gesang im Chor wird das Gebet beendet. Eine gute Stunde geht das so; in höchster Konzentration. Mellika schaut besorgt zu ihrer Mutter. Tränenüberströmt, doch mit einem Lächeln im Gesicht gibt sie zu: "Ich habe geweint, weil du bist eben mit dem Gefühl bei Gott. Wie soll ich Ihnen das erklären. Ich bin 56 Jahre alt. Mein eines Bein steht bereits im Grab, mein anderes in der Welt. Man denkt ja an all die Sünden und dass Gott uns vergibt. Vielleicht vergibt er, vielleicht aber auch nicht. Wenn ich an Osama bin Laden oder die islamischen Terroristen denke, so handelt kein Muhammedaner. Gott sagt, wenn du einen Menschen getötet hast, hast du die ganze Welt getötet. Ich kann das nicht gut heißen."

Ein Wunsch für Dich und Mich

Der Ramadan wird als Fest der Buße und der Erneuerung begangen. Man bittet Gott um Vergebung und dankt ihm. Eine Art, Dank zu bekunden ist das Fasten. Noch einige Stunden haben sie Zeit, dann werden auch Mellika und ihre Mutter mit dem Fasten beginnen. Nach der Strapaze befragt wirft Mellika hastig ein: "Nein nein, ich mag das sehr gern. Es ist gar nicht so anstrengend. Ich denke, dass Gott mir schon diese Geduld geben wird. Außerdem essen wir ja dafür die ganze Nacht".

Türken in Deutschland Koranschule in Berlin
Die Merkez Camii der Türkisch-Islamischen Union in der Wiener Straße in KreuzbergBild: AP

Zudem würde man ja auch belohnt, nach 30 Tagen der Enthaltsamkeit. Die Freude auf das abschließende Seker Bayrami, das Zuckerfest, lässt ihre Augen strahlen. "Da ist die Moschee voller Menschen. Wir werden an diesem Abend beten und wenn du dir etwas wünschst, geht es in Erfüllung. Das ist sicher. Mein Mann hat 30 Jahre lang getrunken und uns geschlagen. Am Seker Bayrami hab ich mit weinendem Auge zu Gott gebetet, dass er mir einen Wunsch erfüllt. Seit vergangenem Jahr betet mein Mann fünf Mal am Tag und er trinkt nicht mehr. Wir haben zu Hause Frieden".