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Den richtigen Ton getroffen

Rainer Sollich16. September 2003

Bundespräsident Johannes Rau hat in sieben Tagen das klassische Programm in China absolviert: Sehenswürdigkeiten und Boom-Branchen. Viel mehr Beachtung fand aber, dass er sich deutlich für die Menschenrechte einsetzte.

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Mit dem deutschen Presseecho kann der Bundespräsident zufrieden sein: Fast alle deutschen Medien lobten die Rede, die Johannes Rau am Samstag (13.9.) vor rund 1000 chinesischen Studenten in der Universität Nanjing hielt. Rau hatte sich dort deutlicher als frühere Bundespräsidenten und vor allem viel deutlicher als zuletzt Bundeskanzler Gerhard Schröder für die Menschenrechte stark gemacht. Und nicht nur das: Rau hat dabei auch den richtigen Ton getroffen. Er hat angemahnt, aber niemanden an den Pranger gestellt.

Dies ist genau der richtige Weg, um mit Pekings Politikern umzugehen. China ist ein wichtiger Handelspartner, gewiss. Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen werden immer besser. Aber China ist auch ein Land, das seinen Bürgern Meinungsfreiheit versagt und Menschen wegen ihrer politischen Gesinnung einsperrt. Es ist nicht einzusehen, warum deutsche Spitzenpolitiker hierzu schweigen sollten.

Johannes Rau hat mit seiner Rede moralische Standfestigkeit und Mut bewiesen. Einen Mut, den man sich auch von anderen politischen China-Reisenden mit Dienstsitz in Berlin wünschen würde. Einerseits.

Aber andererseits hat er seine Worte auch genau abgewogen. Er begründete die Notwendigkeit einer Demokratisierung geschickt aus der chinesischen Denktradition heraus begründet und griff auf Konfuzius und die geltende Staatsverfassung zurück. Und dies verpackte Rau obendrein in ein umfassendes Lob für die Reformbemühungen der neuen chinesischen Staatsführung. Der feine Unterschied: Rau kritisierte Chinas Reformen nicht ausdrücklich als unzureichend. Er ermutige seine Gastgeber aber zu weiteren und tiefgreifenderen Reformschritten.

Einige deutsche Unternehmer vor Ort haben selbst diese höfliche Form der Kritik als "zu weitgehend" kritisiert. Offenbar weil sie um ihre guten Geschäftskontakte fürchten. Dieses Argument ist, mit Verlaub, lächerlich. Die breite chinesische Öffentlichkeit wird von dieser Rede ohnehin nie etwas erfahren. Dafür sorgt schon die staatliche Medienzensur. Und ein Blick auf die seit Jahren prosperierenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Japan zeigt: Die Chinesen suchen sich ihre Handelspartner im Normalfall längst nicht mehr nach politischem Wohlverhalten oder ideologischen Gesichtspunkten aus. Sie machen ganz einfach und pragmatisch mit demjenigen Geschäfte, der ihnen als Geschäftspartner am attraktivsten erscheint.

Dies ist, im Vergleich zu früher, ein Fortschritt. Deshalb ist es gut, dass Rau bei seiner Kritik den Bogen auch nicht überspannt hat. Gar nicht so sehr wegen der Interessen der deutschen Wirtschaft, sondern einfach, weil es nicht fair gewesen wäre. Denn trotz Einparteienherrschaft und trotz immer noch zahlreicher Menschenrechtsverletzungen: China ist nicht Nordkorea. China gewährt seinen Bürgern heute Alltagsfreiheiten, die vor 20 Jahren noch völlig undenkbar gewesen wären. China übernimmt international immer mehr Verantwortung. Die Partei lässt ihr Volk von 1,3 Milliarden heutzutage auch nicht mehr brutal verhungern. Rau hat absolut Recht, wenn er dies lobt. Er hat auch Recht, wenn er sagt: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt erreicht, um Chinas Bürgern auch einklagbare Rechte zuzugestehen und sie an der politischen Macht zu beteiligen.