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Den Spionen ausgeliefert

Dirk Kaufmann3. Juli 2014

Ein Deutscher betreibt einen Server, mit dem man seinen Internetanschluss anonymisieren kann und gerät ins Fadenkreuz des US-Geheimdienstes NSA. Wie kann der Staat darauf reagieren - und warum wird er es nicht tun?

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Symbolbild NSA Spähaffäre
Bild: Reuters

Im fränkischen Nürnberg hat der Student Sebastian Hahn einen Server gemietet. Der ist Teil des Anonymisierungsnetzwerkes "Tor", das Suchmaschinenanfragen oder E-Mails auf so viele verschiedene Server verteilt, dass ihr Ursprung nicht mehr zurückzuverfolgen ist. Viele Menschen, die ihre Privatsphäre im Netz schützen wollen, machen davon Gebrauch. Einige von ihnen aus existentiellen Gründen: Wer in einer Diktatur lebt, ist ja schon bedroht, wenn er nur die Begriffe "Demokratie" oder "Pressefreiheit" bei Google nachschlagen will.

Nun haben zwei ARD-Anstalten herausgefunden, dass Hahns Server von der NSA ausgespäht wird. Jeder, der über den Server die IP-Adresse seines Rechners verschleiern will, landet automatisch auf den Überwachungslisten des US-Geheimdienstes. Jeder, der auf diesem Weg seine E-Mails verschlüsselt, gerät in das Netz der Internet-Schlapphüte aus den USA. Das sorgt, seit es bekannt wurde, für große öffentliche Empörung in Deutschland.

Eine Überraschung ist es eigentlich nicht

Für Helmut Aust, Völkerrechtler an der Humboldt Universität zu Berlin, ist das aber gar keine Überraschung, denn es entspräche doch der "Logik der nachrichtendienstlichen Tätigkeit, da genau hinzuschauen, wo Nachrichten oder Inhalte verschlüsselt werden." Dem stimmt Erich Schmidt-Eenboom zu. Der Publizist und Geheimdienstexperte weiß, dass die Idee "hinter dieser nachrichtendienstlichen Sammelwut lautet: Wer verschlüsselt, der hat auch was zu verbergen."

Antenne für Satellitenkommunikation
Die Ohren heutiger Spione sehen vielleicht anders aus als unsere - sie hören aber auch viel mehr ...Bild: DW/C. Dillon

Dass die NSA das will, ist nicht neu. Und dass sie es auch kann, war wenigstens dem Experten Schmidt-Eenboom bereits vorher klar: "Schon vor einigen Jahren, lange vor den Snowden-Enthüllungen, war in der Fachpresse zu lesen, dass die NSA alle verschlüsselten Informationen aus den Datenströmen herausfiltern und bei Bedarf auch entschlüsseln kann." Und was sie können, das tun sie auch. Vor allem im Fall der Software "Tor": "Da sind sie geradezu erbost, wenn jemand Hilfestellung bei der Anonymisierung von Spuren im Internet leistet." Für den von der NSA ausspionierten deutschen Studenten Sebastian Hahn kann das nur eine Bestätigung sein. "Ich betrachte Tor als die effektivste Technologie, die uns momentan zur Verfügung steht", erklärt er der DW. "Viel wichtiger wäre allerdings ein gemeinsames gesellschaftliches Bewusstsein für die Problematik und ein individuelles Verhalten, das dem Rechnung trägt."

Juristisch unklar

Ob das Vorgehen der NSA nun legal ist oder nicht, kann der Völkerrechtler Helmut Aust nicht ohne weiteres beurteilen. Es sei schließlich überhaupt nicht klar, wo das Verbrechen, wenn es denn eines war, begangen worden ist: "Es ist nicht möglich, zu sagen, wo ein eventueller Zugriff auf diese Daten erfolgt ist. Für eine völkerrechtliche Analyse müsste man aber wissen, wo die Amerikaner auf diese Daten zugegriffen haben."

Erich Schmidt-Eenboom
Erich Schmidt-Eenboom: "Die sind geradezu erbost."Bild: imago stock&people

Und dass sich Geheimdienste am Ende von Gesetzen in ihrer Arbeit behindern lassen könnten, glaubt Aust sowieso nicht: "Es wäre naiv, davon auszugehen, dass Regeln an sich nachrichtendienstliche Tätigkeiten komplett verhindern." Und selbst wenn die Spione angeklagt würden, zu einem Prozess käme es nicht: "Denn das werden die Vereinigten Staaten zu verhindern wissen, dass Mitarbeiter der NSA sich vor deutschen Gerichten strafrechtlich verantworten müssen."

Politisch verzwickt

Wenn ein ausländischer Geheimdienst Deutsche ausspäht, verstößt er zwar unter Umständen gegen Gesetze, aber zunächst einmal tut er, wozu er da ist. Aber was tut in diesem Zusammenhang der deutsche Geheimdienst? Der Bundesnachrichtendienst (BND) muss ja auch zum Schutz von Recht und Gesetz in der Bundesrepublik beitragen - und dazu gehört in diesem Fall die Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses. Das hat er offenbar nicht gemacht.

Symbolbild NSA Abhöraffäre
Die National Security Agency (NSA) in den USA scheint davon überzeugt: "Wer verschlüsselt, hat was zu verbergen."Bild: picture-alliance/dpa

Oder nicht machen wollen? Diese Frage kann man seriös nicht beantworten, denn das Wesen eines Geheimdienstes ist ja, dass er geheim arbeitet. Doch Geheimdienstexperte Schmidt-Eenboom erinnert an das enge Verhältnis der deutschen und amerikanischen Agenten: "Die Kooperation zwischen dem BND und der NSA ist außerordentlich eng. Und der BND ist in vielen Bereichen auf die technische Unterstützung der NSA angewiesen." Daher sollte man bei der Aufklärung dieser neuen Affäre vom deutschen Dienst nicht zu viel erwarten: "Der hat nicht das geringste Interesse, dem großen Bruder an den Karren zu fahren."

Dennoch wird die Angelegenheit nicht im Sande verlaufen - jedenfalls nicht sofort. Zwar werde sich der hier zuständige Generalbundesanwalt nicht noch einmal die Blöße geben, erst nach öffentlichem Druck Ermittlungen einzuleiten, wie im Fall des abgehörten Telefons von Bundeskanzlerin Angela Merkel. So etwas passiere nicht noch einmal, meint Schmidt-Eenboom: "Er wird von sich aus ermitteln."

Was aber, schränkt er ein, zu nichts führen würden. Sollte nämlich die Bundesregierung befürchten, "vitale Interesse der Bundesrepublik seien bedroht", könnte sie die Ermittlungen jederzeit wieder einstellen. Und da ist sich Schmidt-Eenboom sicher: "Zu diesem rechtlichen Instrument wird sie greifen."