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Den USA ausgeliefert

Baha Güngör12. Februar 2003

Frankreich, Belgien und Deutschland haben sich vorerst gegen NATO-Beistand für die Türkei ausgesprochen - denn noch sei der Irak-Krieg nicht beschlossene Sache. Diese Gedankenfolge kann die Türkei nicht nachvollziehen.

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Türkische Truppenbewegungen bei Silopi an der Grenze zum IrakBild: AP

Die europäischen NATO-Partner Frankreich, Belgien und Deutschland bekleckern sich im Umgang mit der Türkei nicht gerade mit Ruhm. Vielmehr wird durch ihr Veto gegen die Einleitung von NATO-Schutzmaßnahmen für die Türkei ein Land zum Spielball der Mächte diesseits und jenseits des Atlantik degradiert, das sich traditionell dem Westen und seinen Werten verpflichtet fühlt.

Seite an Seite gegen skrupellose Diktaturen

Abdullah Gül
Der türkische Ministerpräsident Abdullah GülBild: AP

Seit 1952 als einziges Land mit einer islamischen Bevölkerung in den Reihen der NATO, hat die Türkei wiederholt ihre Bündnistreue bewiesen. Als einziges NATO-Land mit direkten Grenzen zur ehemaligen Sowjetunion hat sich dieses Land jahrzehntelang viel gefallen lassen müssen, damit von seinem Territorium aus der große Feind in Schach gehalten werden konnte. Und was Deutschland betrifft, so gehörte die Türkei nach dem Zerfall des Ostblocks zu den aufrichtigen Gratulanten, als sich beide deutsche Staaten wieder vereinigten.

Auch im ersten Waffengang der Allianz gegen Irak vor zwölf Jahren war die Türkei sofort dabei, hat ihr Territorium und ihre Stützpunkte für Angriffe zur Verfügung gestellt, sich trotz großer wirtschaftlicher Verluste den internationalen Sanktionen und Embargo-Beschlüssen angeschlossen. Das Signal Ankaras sowohl an Washington als auch an die europäischen Hauptstädte war eindeutig: Weiter Seite an Seite mit den westlichen Verbündeten, damit sich die von der türkischen Gesellschaft übernommenen westlichen Werte und Normen festigen und unfriedliche, skrupellose Diktaturen in direkter Nachbarschaft in die Knie gezwungen werden können.

Schwere wirtschaftliche Folgen

Kein Land in Europa kann mehr Interesse daran haben als die Türkei, endlich einen friedlichen Nachbarn zu haben, von dem keine Gefahr mehr in Form von chemischen und biologischen Waffen mit Raketen unbekannter Reichweite ausgeht. Kein anderes Land als die Türkei musste die schweren wirtschaftlichen Folgen des ersten Krieges gegen den Irak fast im Alleingang auffangen.

Es ist nur verständlich, wenn die Türkei verlangt, sie wolle den Schutz der westlichen Verbündeten vor Angriffen eines unberechenbaren Diktators noch vor einem Militärschlag gegen Bagdad garantiert wissen. Dasselbe gilt für die verlangten Zusagen zum Ausgleich wirtschaftlicher Verluste. Dass mit dem Veto gegen die Einleitung sofortiger NATO-Schutzmaßnahmen für die Türkei ein Signal für eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts gesetzt werden sollte, ist unglaubwürdig. Als ob sich Saddam darum scheren würde!

Abwendung von Europa?

Ein Signal für eine friedliche Lösung wäre gesetzt worden, wenn die Entschlossenheit und vor allem die Geschlossenheit der NATO unter Beweis gestellt worden wäre. In diesem Fall hätte vermutlich wohl noch eher erwartet werden können, dass sich das Regime in Bagdad eines besseren besinnt und endlich Kooperationsbereitschaft bei der Suche nach Massenvernichtungswaffen zeigt.

Aus türkischer Sicht ist das positive Bild von Europa durch das Veto in der NATO befleckt. Die Zahl der Türken, die sich als Vollbluteuropäer empfinden und ihr Land mittel- bis langfristig zum Vollmitglied der EU machen wollen, sinkt jedenfalls rapide.

Ankara erwartet Gegenleistung für Bündnistreue

Der türkische Ministerpräsident Abdullah Gül hat auf den Punkt gebracht, was immer mehr Türken denken: Die Türkei kann sich als militärisch starke Macht in der Region und mit Hilfe der Amerikaner zwar durchaus selbst beschützen. Dennoch erwartet man von Europa eine Gegenleistung für die Bündnistreue in den Jahrzehnten des Kalten Krieges, und sei es nur des Symbolcharakters wegen.

Dass die Hoffnungen der Türkei bisher enttäuscht werden, führt unweigerlich dazu, dass die USA-kritischen Stimmen in dem Land leiser werden. Auch wenn ein Großteil der Bevölkerung gegen einen Irak-Krieg ist: Faktisch kann Washington frei schalten und walten nach eigener Zielsetzung. Neben der militärischen hat auch die wirtschaftliche Abhängigkeit der Türkei von den USA erheblich zugenommen. Die europäischen NATO-Partner haben mit ihrem unentschlossenen Verhalten die Türkei noch weiter dem Einfluss der USA ausgeliefert.