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Der Abgeordnete Adolf Hitler

6. Januar 2012

Eine Installation im deutschen Bundestag erinnert an die Abgeordneten seit 1919 - auch an Adolf Hitler. Nun hat jemand das Werk des französischen Künstlers Christian Boltanski beschädigt und damit eine Debatte ausgelöst.

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Installation 'Archiv der deutschen Abgeordneten' im Reichstag mit der beschädigten Hitler-Kiste (Foto: DW)
Die Installation "Archiv der deutschen Abgeordneten" im Reichstag mit der beschädigten Hitler-KisteBild: DW/Scholz

Man hat Adolf Hitler dann wieder ein wenig ausgebeult. Auf den ersten Blick fällt die Metallschachtel mit dem Namen des deutschen Diktators kaum auf zwischen den anderen 4781 Blechkisten mit rostroter Patina. Gestapelt stehen sie im Keller des Bundestages, jede trägt den Namen eines der deutschen Abgeordneten zwischen 1919 und 1999. Die Installation "Archiv der deutschen Abgeordneten" des französischen Künstlers Christian Boltanski im Keller des Reichstags soll an die Geschichte der deutschen Demokratie erinnern. Seit zwölf Jahren, seit dem Umzug des Bundestags von Bonn nach Berlin, steht die Installation im Keller des Bundestags. Abgeordnete gehen an ihr vorbei, wenn sie durch die unterirdischen Gänge unterwegs sind in eines der Verwaltungsgebäude, die zum Bundestag gehören. Gelegentlich besichtigen Besuchergruppen die Installation. Ein Werk mit großer Symbolik, aber eher beschaulicher Wirkung.

Respekt vor dem Künstler

Doch seit einigen Tagen berichten plötzlich Zeitungen über die rostfarbene Installation. Denn um den Neujahrstag herum hat jemand die Schachtel mit dem Namen Hitlers eingedellt. Handwerker des Bundestags haben die Kiste inzwischen notdürftig wieder zurechtgebogen. In dem schummrigen Licht, das durch eine Reihe von Glühbirnen erzeugt wird, fällt sie nicht sofort ins Auge. Aber bei genauerem Hinsehen erkennt man den Schaden noch. "Ich finde es richtig, dass man es wieder repariert hat", sagt die Abgeordnete Monika Grütters von der konservativen CDU. Das gebiete der Respekt vor dem Künstler. Boltanski hatte Journalisten gegenüber gefordert, dass der Schaden behoben werde. Das ist zumindest provisorisch geschehen. Nun muss der Bundestag entscheiden, ob das Kunstwerk vollständig restauriert wird.

CDU-Abgeordnete Monika Grütters
Monika Grütters, CDUBild: picture-alliance/SCHROEWIG/Eva Oertwig

Der Bundestag hat einen eigenen Ausschuss, den Kunstbeirat, der darüber entscheidet, welche Kunstwerke das deutsche Parlament anschafft. 175.000 Euro stehen ihm dafür jährlich zur Verfügung. Das Werk Boltanskis wurde anlässlich des Umzugs nach Berlin angeschafft. Boltanski wurde als Vertreter des ehemaligen Siegermacht Frankreich eingeladen, sich mit einem Werk zu beteiligen. Die Werke können in Führungen besichtigt werden.

"Das Werk erträgt eine Veränderung"

Der sozialdemokratische Abgeordnete Swen Schulz aus Berlin hofft nun, dass die Beschädigung an Hitlers Kiste sichtbar bleibt. "Das Kunstwerk erträgt eine solche Veränderung. Da sollten wir auch souverän genug sein, damit umzugehen", sagt er. Und die Linken-Abgeordnete Luc Jochimsen sagt: "Ich finde ein beschädigtes Kunstwerk sehr aussagestark."

Touristin mit Stadtplan vor dem Reichstag (Foto: Fotolia)
Der Reichstag in Berlin ist seit 1999 wieder ParlamentssitzBild: Fotolia/Jan Kranendonk

Es nicht das erste Mal ist, dass die Kiste, die sich etwa in Kniehöhe befindet, beschädigt wurde. "Adolf Hitler 1933" steht ohne weiteren Kommentar darauf. Dabei ist nicht nur die Person des Diktators an dem Kunstwerk kontrovers. Hitler wurde gemeinsam mit 297 weiteren Abgeordneten seiner Partei im März 1933 in den Reichstag gewählt. Damals hatten die Nationalsozialisten bereits die Macht im Staat übernommen. Von einer fairen und freien Wahl konnte nach Ansicht vieler Historiker keine Rede mehr sein. Längst wurden Wähler und Politiker anderer Parteien systematisch eingeschüchtert. Und viele Politiker, insbesondere der Kommunisten und Sozialdemokraten, konnten gar nicht mehr antreten, weil sie bereits im Konzentrationslager saßen. Kurze Zeit später schafften die Nazis das Parlament ganz ab. Für die Jahre zwischen 1933 und 1945 steht in der Installation eine schwarze Kiste.

Totengräber der Weimarer Republik

"Sollte sich die Bewertung durchsetzen, die letzte freie Wahl habe im November 1932 stattgefunden, muss auch das Kunstwerk überarbeitet werden", schrieb der Historiker des Deutschen Bundestages, Michael Feldkamp, bereits vor einigen Monaten in einem Zeitungsartikel. "Noch wird den Besuchern geantwortet: Diese NSDAP-Abgeordneten waren immerhin demokratisch gewählt worden, auch wenn sie zu den Totengräbern der Weimarer Republik gehörten."

Blick in den Reichstag bei einer Rede von Adolf Hitler im Jahr 1938 (Foto: picture-alliance)
Nach 1933 diente der Reichstag den Nazis als Bühne. Hitler bei einem Auftritt 1938.Bild: picture-alliance/Imagno

Dagegen, die Abgeordneten von 1933 wieder aus dem Kunstwerk zu entfernen, wehren sich aber einige Abgeordnete. "Man muss die Wunde offenhalten", sagt die Linken-Politiker Luc Jochimsen, die auch im Kunstbeirat sitzt. "Hitler war ein gewählter Abgeordneter, kein Außerirdischer." Und Wolfgang Wieland von den Grünen glaubt, eine Entfernung der Abgeordneten von 1933 täte vor allem jenen Parlamentariern der anderen Parteien Unrecht, die trotz des Nazi-Terrors gewählt wurden: "Es sind 1933 ja auch noch Sozialdemokraten gewählt worden, die gegen die Ermächtigung Hitlers gestimmt haben."

"Kein Andenken an Adolf"

Die CDU-Politikerin Grütters schlägt nun vor, die Beschriftung des Kunstwerks anzupassen. Bisher finden sich zu jedem Abgeordneten nur der Name und die Jahreszahlen seiner Abgeordnetentätigkeit. Lediglich auf den Kisten der Abgeordneten aus der Weimarer Republik, die von den Nazis ermordet wurden, ist ein schwarzer Aufkleber mit den Worten "Opfer des Nationalisozialismus" angebracht. Eine zusätzliche Erklärung würden auch andere begrüßen. Man müsse insbesondere ausländischen Touristen erklären, "dass man hier nicht etwa Andenken an Adolf begeht", sagt Wieland.

Linke-Abgeordnete Luc Jochimsen (Foto: apn Photo)
Luc Jochimsen, Die LinkeBild: AP

Keinen Platz in Boltanskis Installation finden bisher übrigens die Abgeordneten der letzten DDR-Volkskammer, die 1990 den Beitritt an die Bundesrepublik beschloss. Dabei sind sie zweifelsohne frei gewählt worden. Wieland möchte deshalb bei den Gremien des Bundestags beantragen, das Werk zu erweitern. Und auch die Linke Jochimsen sagt: "Ich warte noch auf den Zeitpunkt, an dem die Geschichte so weit ist, dass diese Abgeordneten dort auftauchen."

Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Marcel Fürstenau