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Der afrikanische Parteipionier

21. Juli 2009

Es gibt kaum Migranten in der deutschen Politik. "Das muss sich ändern", sagt Gilbert Yimbou. Er ist einer der wenigen Deutsch-Afrikaner, die ein Mandat haben.

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Gilbert Yimbou (Foto: Die Linke)
Viel beschäftigt: Statt Feierabend noch FraktionssitzungenBild: Die Linke

"Das war natürlich eine Sensation in Düsseldorf: Ein Schwarzer kandidiert für den Landtag. Ich war der erste Farbige, der so einen Schritt gewagt hat", erzählt Gilbert Yimbou lächelnd. Der kleine Mann mit den kurzen grauen lockigen Haaren, hellblauem Hemd und passender Krawatte erinnert sich gern an die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Jahre 2000. Wie ein Lauffeuer habe sich die Nachricht seiner Kandidatur für die Grünen verbreitet, sagt der 60-Jährige nicht ohne Stolz. Auf einmal sei sein Name in aller Munde gewesen und sogar die großen Tageszeitungen hätten über ihn berichtet.

"Insbesondere die Afrikaner waren richtig erfreut, dass mal einer zeigt, wo es lang geht", meint Yimbou. Schließlich seien sie sonst nicht wahrgenommen worden. "Das hatten sie sich erhofft: Endlich mal einer, der sagt, dass es uns hier auch gibt." Gilbert Yimbou kommt aus der Republik Kongo und ist über Umwege in Düsseldorf gelandet. Heute sitzt er als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender in seinem Büro bei Thyssen-Krupp. An der Wand hängen neben einem Blaumann selbst gemalte Bilder von seinen Enkelkindern und ein alter kongolesischer Geldschein.

Unerwartete Reisepläne

Die Hände von Gilbert Yimbou (Foto: DW)
Von Brazzaville nach Berlin: Gilbert Yimbou geht als 18-Jähriger zum Studium in die DDRBild: DW / Pareigis

Vor über 40 Jahren war Yimbou noch ein ganz normaler Jugendlicher in Brazzaville. Bis sich eines Tages, wie er es nennt, unverhofft die Chance seines Lebens auftat: Wie so oft ging er mit seinem Kumpel Fußball spielen. "Dann kam mir unser Gewerkschaftssekretär entgegen. Er hat mich gefragt: 'Hör mal Gilbert, du hast doch Abitur gemacht?' Ich bejahte. Daraufhin sagte er: 'Ich habe fünf Stipendien von der DDR bekommen. Willst du eines davon haben?' Zwei Wochen später war ich in Deutschland!"

Für sechseinhalb Jahre soll der damals 18-Jährige in der DDR Agrarwissenschaften studieren. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, reist Yimbou mit zwei anderen Kongolesen das erste Mal in seinem Leben in ein fremdes Land. Statt Klassenkampf wartet dort aber erst einmal ein grauer Novembertag auf ihn. Der Kongolese kriegt seinen ersten Schock, als er aus dem Flugzeug steigt. "Die Kälte kam mir entgegen, weil ich nur einen Anzug hatte, der nicht gefüttert war", erinnert er sich an den Moment. "Wir wurden dann erst einmal mit dicken Mänteln eingekleidet."

Eine schwere Entscheidung

Gilbert Yimbou sitzt in seinem Büro bei Thyssen-Krupp (Foto: DW)
Eine Rückkehr ist zu gefährlich: Die Republik Kongo kennt der 60-Jährige nur noch aus der ErinnerungBild: DW / Pareigis

Die Lumumba-Straße in Leipzig wird zu Yimbous neuer Heimat. Schnell taucht er in die Gemeinschaft der internationalen Studenten ein, führt eine so genannte landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft und verliebt sich in eine junge Frau aus Zwickau. Die Zeit vergeht schnell, aber die Sehnsucht nach seiner Familie im Kongo bleibt. Ende der 1960er Jahre putscht das Militär in Brazzaville. Die Gewerkschaft, in der Yimbou vor seiner Ausreise aktiv war, wird verboten. Ihre Mitglieder werden verfolgt. Ein Gefühl der Ohnmacht habe er gespürt, als ihm klar wurde, dass er nicht mehr in den Kongo zurückkann, sagt der 60-Jährige nach einer langen Pause und schluckt. "Seit 1967 habe ich den Kongo nicht mehr wieder gesehen."

Für Yimbou ist es eine schwere Entscheidung in Deutschland zu bleiben. Ein Freund von ihm hält es nicht aus und fliegt nach Brazzaville zurück. Das war 1972. Seitdem ist er verschwunden. Umgebracht, glaubt Yimbou. Auch ihm stecke die Angst immer noch in den Knochen. Er sorgt sich auch um seine eigene Familie. "Ich habe in meinem Leben einen großen Fehler gemacht", meint er. "1975 habe ich meinem Vater geschrieben, aber leider wurde der Brief abgefangen. Die wollten von meinem Vater wissen, wo ich bin. Er war ein alter Mann und die haben ihn so traktiert, dass er vier Monate später verstorben ist." Seitdem mache er sich große Vorwürfe.

Neue Wege

Der Blaumann von Gilbert Yimbou und eine rote IG-Metall Mütze (Foto: DW)
Arbeiter statt Arzt: Eigentlich wollte Yimbou den Doktortitel machenBild: DW / Pareigis

Als das Stipendium abgelaufen ist, darf Yimbou trotz seines Einserdiploms nicht länger in der DDR bleiben. Er reist 1973 über Umwege mit Frau und Tochter nach Westdeutschland. In seiner Tasche die Telefonnummer eines kongolesischen Bekannten, der in Düsseldorf wohnt. So bleibt Yimbou in der nordrheinwestfälischen Hauptstadt hängen - bis heute. "Eines Tages habe ich meiner Frau gesagt, dass ich ein bisschen spazieren gehe. Ich bin dann zufälligerweise an Thyssen-Krupp vorbeigelaufen. Die hatten draußen plakatiert: Wir suchen einen Werksarbeiter. Ich bin dann einfach rein und habe nach der Personalabteilung gefragt", erzählt Gilbert Yimbou.

Obwohl der Deutsch-Kongolese eigentlich überqualifiziert ist, stellt Thyssen-Krupp ihn ein. Seine erste Nachtschicht werde er nie vergessen, sagt Yimbou und lächelt. "Ein Kollege hat zu mir gesagt: 'Sie haben neu angefangen, oder? Wir sind hier alle organisiert.' Ich habe ihn gefragt: 'Wie organisiert?' Er hat geantwortet: 'Wir sind alle gewerkschaftlich organisiert.' 'Da sind sie bei mir an der richtigen Stelle', habe ich gesagt. 'Da bin ich dabei!’"

Von Gewerkschaftern und politischen Erben

Ein Wahlplakat mit Gilbert Yimbou (Foto: Die Linke)
Etwas verändern wollen: Der einzige Schwarze im Düsseldorfer Stadtrat

Yimbou tritt sofort in die IG Metall ein - und macht da weiter, wo er in der Republik Kongo aufgehört hat: als Gewerkschafter. Schnell steigt er in der Arbeiterorganisation auf und wird Ende der 1990er Jahre stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Doch dem dreifachen Familienvater reicht das nicht. Er will noch mehr bewegen und geht in die Politik. Auch wenn das heißt, nach Feierabend noch bis spät in die Nacht E-Mails besorgter Bürger zu beantworten und in Besprechungen zu sitzen. Politiker zu sein, sei ihm wichtig - gerade als Migrant, sagt Yimbou.

"Wenn wir schon hier leben, dann wollen wir auch mitmachen. Wir sollten keine Stellvertreterpolitik machen, nach dem Motto: die machen das für uns. Nein, wir müssen das selber machen. Wenn wir immer warten, werden wir ja nie weiterkommen", ist der Deutsch-Kongolese überzeugt. Die Illusion, man kehre noch mal in die Heimat zurück, müsse man vergessen. Das hätten früher auch die türkischen Mitbürger gesagt. "Wenn man Kinder hat, kann man von ihnen nicht verlangen, irgendwann wieder nach Afrika zu gehen. Das heißt, wir bleiben hier. Dann müssen wir diesen Kindern auch was hinterlassen."

Zukunftsträume

Mit einer kleinen Partei wie den Grünen konnte Yimbou zwar nicht in den Landtag einziehen, aber seit über zehn Jahren sitzt er jetzt schon im Düsseldorfer Stadtrat. Als erster und einziger Schwarzer. Mittlerweile ist Yimbou zur Linkspartei übergetreten. Einen Traum hat er nach wie vor: Noch mitzuerleben, dass ein Afrodeutscher im Bundestag sitzt. Ein Traum, der sogar in Erfüllung gehen könnte.

Autorin: Jana Pareigis

Redaktion: Stephanie Gebert