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Der Arbeitskampf von Bischofferode

Franziska Hentsch9. November 2014

Nach der Wiedervereinigung verloren Millionen Ostdeutsche ihre Arbeit. In Bischofferode kämpften Bergleute verzweifelt gegen die Schließung ihres Kaliwerkes. Wie sieht es heute dort aus? Franziska Hentsch berichtet.

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Kali-Bergleute protestieren in Bischofferode 1993 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/R. Hirschberger

Die Bilder der ausgezehrten Bergleute gingen um die Welt. Auf schmalen Pritschen lagen sie, geschwächt und vom Hunger gezeichnet, ausgerechnet in der Betriebsküche des "Thomas Müntzer"-Bergwerkes. Tausende Kumpel waren seit der Wende bereits entlassen worden. Als im Dezember 1992 die Schließung des Schachtes bekannt wurde, begannen die verbliebenen 700 Kumpel ihren verzweifelten Protest. Sie besetzten das Werk, demonstrierten vor dem Kanzleramt und reisten zum Papst. Bischofferode wurde zum Symbol für Kampf der Ostdeutschen um ihre Arbeitsplätze.

Schließlich verweigerten zahlreiche Kumpel jegliche Nahrung. Uwe Schröter war einer der ersten, die diesen lebensgefährlichen Schritt wagten: "Nach dem zweiten Tag hat man sich dran gewöhnt. Außerdem gab es viel Ablenkung, ständig kamen Leute, die uns unterstützt haben." Der ehemalige Steiger spricht heute eher locker über die dramatischen Tage, aber man spürt, dass ihn das Thema bedrückt. Einige seiner Kollegen mussten erschöpft ins Krankenhaus. Für seine Familie war die Zeit eine Belastung.

Uwe Schröter (Foto: DW)
Uwe SchröterBild: DW/F. Hentsch

Absprachen im Hintergrund

Mehr als 80 Tage hielten die Bergleute den Hungerstreik durch. Damit sorgten sie weltweit für Schlagzeilen. Ernsthafte Zweifel an den Praktiken der Treuhandanstalt wurden laut. Sie war mit der Privatisierung der einstigen DDR-Betriebe beauftragt. Doch gebracht hat es nichts - die Treuhand genehmigte die Fusion der Mitteldeutschen Kali AG mit dem hessischen Konzern Kali und Salz AG, heute K+S. Aufgrund von Überkapazitäten wurden anschließend im Osten neun von zehn Stollen geschlossen.

Obwohl das Kali aus Bischofferode wegen seiner hohen Qualität weltweit gefragt war, wurde die Grube zum Jahresende 1993 dicht gemacht. Für den damaligen Bürgermeister Eugen Nolte ist heute klar, dass die Schließung der ostdeutschen Kalistollen geplant war. Mit allem, was man heute wisse, könne man sagen "dass durch Regierung und Treuhand eine Marktbereinigung erfolgt ist. Die Treuhand hat dafür gesorgt, dass Kali und Salz das Monopol bekam, in dem man die Kaliwerke rundherum zumachte. Das Aus für Bischofferode war beschlossene Sache."

Eugen Nolte (Foto: DW)
Eugen NolteBild: DW/F. Hentsch

Große Probleme mit Bevölkerungsschwund

Die Folgen der Schließung waren für die kleine Gemeinde gravierend. Denn das Werk war der wichtigste Arbeitgeber im strukturschwachen Eichsfeld. Für zwei Jahre erhielten die Arbeiter Abfindungen und Umschulungen, doch die Arbeitslosigkeit stieg in Nordthüringen zwischenzeitlich auf 24 Prozent. Zwar sicherte Kanzler Helmut Kohl persönlich 700 Ersatz-Arbeitsplätze für Bischofferode zu, doch große Betriebe siedelten sich nicht mehr an. Nur ein Bruchteil der Kumpel fand in einem neuen Gewerbegebiet oder in der Bergbausanierungsfirma Arbeit.

Leerstehendes Haus in Bischofferode (Foto: DW)
Der Ort verlor hunderte BewohnerBild: DW/F. Hentsch

Ganze Wohnblocks standen leer und wurden schließlich abgerissen; der Ort verlor seine Bahnanbindung. Eugen Nolte erinnert sich gut an die schwierige Zeit: "Über 700 Menschen sind von Bischofferode weggezogen, ein ganzes Dorf, und das zu kompensieren, ist nicht leicht."Zudem fehlten Kinder: Nach der Wende habe es einen Geburtenknick gegeben: "Wo sonst 20 Kinder waren, gab es dann zwei oder gar keines. Jetzt normalisiert es sich langsam."

Blick nach vorn

Doch trotz des Einwohnerschwundes wirkt die kleine Gemeinde heute lebendig. Es gibt mehrere Ärzte, ein paar Geschäfte und eine Schule. Auf der Straße begegnen sich die Menschen freundlich. Zwischen den grünen Hügeln des Südharzes erinnert nichts mehr an die Atmosphäre des einstigen Kampfes, auch wenn die Stimmung immer noch ein bisschen geknickt ist, so Nolte: "Wenn man zusammensitzt, bei Feiern, kommt das Thema immer hoch." Viele trauerten dem Kaliwerk hinterher, weil sie eine sicher geglaubte Arbeit verloren hätten. "Doch wir schauen nach vorne, weil wir wollen, dass es in unserer Region vorwärts geht."

Förderturm und Abraumhalde (Foto: DW)
Nur der rostige Förderturm und die riesige Abraumhalde erinnern noch an das BergwerkBild: DW/F. Hentsch

Zwei Jahre noch, dann soll die Grube vollständig verfüllt und gesichert sein. Einige der ehemaligen Kumpel demontieren in der zuständigen Sanierungsfirma noch immer ihre alten Arbeitsplätze. Nur noch ein rostiger Förderturm ist heute vom Werk geblieben, sowie die weithin sichtbare, 62 Hektar große Abraumhalde, die noch begrünt werden soll.

Nur ein Museum bleibt

Norbert Tusche (Foto: DW)
Norbert TuscheBild: Franziska Hentsch

Erhalten ist auch noch die alte Betriebsambulanz, in der sich heute ein kleines Museum befindet. Auf zwei Etagen erinnert hier der Kali-Verein an 85 Jahre Bergbau in der Region. Norbert Tusche führt durch die Ausstellung, zeigt Bergmannsuniformen, Salzkristalle und im Keller einen nachgebauten Schacht. Leidenschaftlich erzählt er auch von seinen persönlichen Erfahrungen unter Tage und berichtet vom Schock der Schließung: "Wir wussten gar nicht weiter, weil es völlig unvorbereitet kam. Denn wir hatten ja gute Ergebnisse von den wirtschaftlichen und bergmännischen Leistungen her."

Gleich mehrere Räume widmen sich mit Fotos und Plakaten dem bewegenden Jahr 1993. Es sind die Ereignisse, die Norbert Tusche wie auch sein ehemaliger Bergbau-Kollege Willibald Nebel, bis heute nicht verstehen: "Die Wut ist nach wie vor drin. Vor allem, weil wir noch so viele Rohstoffe in der Erde haben und wir hatten die Kunden." Willibald Nebel schüttelt den Kopf. Vorräte für weitere 40 Jahre Bergbau befinden sich noch unter Tage, die aber vernichtet wurden. "Wir hatten uns eigentlich von der Einheit etwas anderes versprochen."

Was 20 Jahre danach bleibt

Das Geschäft von damals ist wirtschaftlich bis heute umstritten. Denn dem Land Thüringen kostete der Deal mehrere Hundert Millionen Euro. Noch immer streiten Politiker um die Veröffentlichung des geheimen Fusionsvertrages zwischen Treuhand und der Kali und Salz AG.

Willibald Nebel (Foto: DW)
Willibald NebelBild: DW/F. Hentsch

Das bittere Gefühl vieler Bergleute von Bischofferode, den Interessen der westdeutschen Konkurrenz geopfert worden zu sein, ist geblieben. Doch die meisten Bewohner haben damit abgeschlossen. Es ist ruhiger geworden. Der kleine Ort jedoch, er wird noch lange für den Kampf um Arbeitsplätze in der Zeit nach dem Mauerfall stehen.