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Der Art’itekt

17. Mai 2011

Industrielle Brachflächen sind nicht sehr attraktiv. Bestenfalls, um Autos darauf abzustellen. Dass diese Orte aber durchaus etwas Reizvolles haben können, zeigt sich in der Arbeit des Kölner Architekten Jonathan Haehn.

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Jonathan Haehn nach einer Farbschlacht (Foto: Michael Schaab)
Jonathan Haehn nach einer Farbschlacht, 2010Bild: Michael Schaab

Er zeichnet, schraubt und koordiniert – Jonathan Haehn ist ein Multitalent. Der 28-Jährige bezeichnet sich selber als "Art'itekt" und ist damit selbst bei der Berufsbezeichnung schöpferisch tätig. Die Attribute eines Künstlers sind ihm vertraut. In der Öffentlichkeit gibt er sich selbstbewusst, wenn auch verwegen. Sein Atelier liegt in einer alten Schiffswerft am Rhein in Köln. Was hier entsteht sind künstlerische Großprojekte. Seine Konzepte realisiert er an vergessenen Orten: Leere Gewerbehallen, Plätze oder ein altes Industrieschiff. Eine dünne, mit Luft aufgeblasene Folie wird zum begebaren Raum, ein Wandkonzept zur wilden Farbschlacht. Seine Werke stehen dabei in Wechselwirkung mit dem Publikum.

Hier sieht man die Bauskulptur "T.A.I.B." bei Nacht, 2009 (Foto: Michael Schaab)
Die Bauskulptur T.A.I.B. von Jonathan Haehn in Köln, 2009Bild: Michael Schaab

Aneignung des öffentlichen Raumes

Die Bambuskonstruktion von T.A.I.B. mit Gitterschalen im Entstehungsprozess, Köln 2009 (Foto: Michael Schaab)
Die Bambuskonstruktion von T.A.I.B. im Entstehungsprozess, Köln 2009Bild: Michael Schaab

"Deutsche Städte schrumpfen und die Menschen übersehen das Potential ihrer Umgebung. Oft findet man brachliegenden, nicht genutzten Raum, den man den Bewohnern zurückgeben kann", so Jonathan Hahn. Die Gestaltung seiner eigenen Umgebung nimmt er unter großem Aufwand vor. Wenn eine Baustelle beginnt, ist er meist allein. Mit fortschreitender Fertigstellung finden sich Helfer und Sponsoren. "Kreativ.Quartiere", so heißt ein Projekt im Rahmen der "Ruhr 2010" in Bochum, wo er seine Bauskulptur an einer Verkehrsstraße aufbaut um das Viertel attraktiver zu machen.

Wie aber vergrößert man die Werthaltigkeit von Immobilien – wie zieht man kaufkräftige Menschen an, ohne die Anwohner durch steigende Mietpreise zu verdrängen? "Die Umgestaltung eines Ortes kann nur mit den alten Bewohnern geschehen. Sie müssen wieder Verantwortung und Möglichkeiten der Mitgestaltung erlernen."

Interventionen

T.A.I.B. (temporäre architektonische Intervention Brachfläche), so lautet der Titel des Diploms bei Prof. Oliver Fritz an der Fachhochschule Köln, für das Jonathan Hahn den Diplompreis des BDA (Bund Deutscher Architekten) gewann. "Unter Intervention verstehe ich das Eingreifen auf einer Brachfläche und die räumliche Aneignung durch die Architektur. Dabei meine ich nicht nur das Gebäude, sondern den gesamten Entstehungsprozess." Noch im gleichen Jahr realisierte er mit Hilfe eines Teams den Entwurf im Rahmen der "Plan09", dem Forum aktueller Architektur im Köln.

Eine Bambusgitterschalenkonstruktion formt das Skelett der Bauskulptur. Zweieinhalb Kilometer der Nutzpflanze wurden gespalten, der Länge nach fixiert und mit einem wetterfesten, semi-transparenten Segelstoff bedeckt. Ein 5 x 6 x 13 Meter großer Pavillon. "Bei T.A.I.B. handelt es sich um eine partizipative Architektur, das heißt, jeder der mochte, ist ein Teil davon geworden, hat mitgebaut und hat seine Stadt mit gestaltet."

Jonathan Haehn begutachtet sein Werk in Bochum, 2010 (Foto: Michael Schaab)
Jonathan Haehn vor seinem Werk in Bochum, 2010Bild: Michael Schaab

Reaktionen der Anwohner

Nach Abschluss der Bauphase, war die Arbeit jedoch noch nicht beendet. Jetzt ging es um die Bespielung des Ortes. Die Anwohner sollten in einen kreativen Dialog mit der Architektur treten. In acht Wochen wurde T.A.I.B. mit einem spartenübergreifenden Programm aus Konzerten, Tanzperformances und Ausstellungen bespielt. "Verantwortung für sein Viertel zu übernehmen, gehört für mich unmittelbar zum Leben in einer Stadt dazu." Jonathan Haehn verlagerte für den Zeitraum der Produktion sogar seinen Wohnort auf die Baustelle.

Dass die Bespielung und Besetzung des öffentlichen Raumes nicht nur Fürsprecher hatte, sondern von städtischen Behörden reglementiert wurde, war abzusehen. Es wurden Bußgelder verhängt. Erst als sich die Beamten vergewissert hatten, dass die Konstruktion mit Abstand zum Boden angebracht wurde, konnten die Bauarbeiten fortgesetzt werden.

Aussichten eines Visionärs

Die schwimmende Bühne "Naumon", Düsseldorf, 2010 (Foto: Michael Schaab)
Die schwimmende Bühne "Naumon", Düsseldorf, 2010Bild: Michael Schaab

Dass sich Jonathan Haehn von unzähligen Behördengängen nicht einschüchtern lässt, beweist seine neueste Baustelle: Auf der Suche nach zeitgemäßen Formen der Kommunikation trifft er auf die katalanische Peformance- und Theatergruppe "La Fura dels Baus". 2004 hatten die Künstler das norwegische Küstenmotorschiff mit 60 Metern Länge und 318 Tonnen Gewicht bereits zu einer "schwimmenden Bühne" umgebaut. Jetzt kümmert sich Jonathan Haehn gemeinsam mit einer Bühnenbildnerin um die Bespielung des Ortes.

Einen Monat soll das Schiff "Naumon", in einer aufwändigen Logistikaktion, von Düsseldorf nach Köln über den Rhein geschleppt werden. Der Aufwand ist enorm. Ein Gelingen der Überfahrt ist jedoch noch abhängig von der Finanzierung. Bescheiden weißt der junge Architekt den Pioniercharakter seiner Arbeit von sich ab. Vielmehr sieht er sich auf einer Linie mit bestehenden Kollektiven wie "Urban Fields" aus Rom oder dem spanischen Studio "Recetas Urbanos (Urban Prescriptions)". Ihr Hauptanliegen sei das Erforschen großstädtischer Realität und sozialer Zustände, durch spontane und kurzzeitige Aneignung des vernachlässigten öffentlichen Raumes.

Von den aufwändigen Strapazen seiner Großprojekte, lässt sich Jonathan Haehn nach wie vor nicht entmutigen. "Wenn es mit dem Schiff nicht klappen sollte, wende ich mich wieder meinem Zweijahresprojekt zu, einem digital vorproduziertem Haus aus Beton, das auf dem Rhein schwimmt." Damit wäre ein weiterer unbesetzter Ort in der Großstadt erobert. Was noch folgen wird? Gärten in Luftschlössern.

Autor: Rozbeh Asmani

Redaktion: Conny Paul