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Der Aussteiger

Andreas Schmidt20. Dezember 2002

Die Subkultur der Russlanddeutschen im Jugendknast lebt vom Zwang zum Mitmachen. Verweigerer haben es schwer. Doch nur sie haben eine Chance auf ein Leben ohne Kriminalität.

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Einsamkeit: Die Mafia bietet Schutz, Aussteiger sind auf sich gestellt.Bild: DW

Die "Russen" sind kurzgeschoren, Gregor (Name geändert) lässt seine gegelten Strähnen lang ins bleiche Gesicht hängen. Die Russen versorgen sich im Knast mit Drogen - Gregor erscheint brav beim Termin mit dem Therapeuten. Die Russen glucken immer zusammen - Gregor hält nur Kontakt zu den Knastbrüdern der ersten Tage.

Gregor ist nervös, knetet seine Finger unterm Tisch. Ängstlich sieht er sich in dem kahlen Zimmer um. Offensichtlich ist ihm der Termin unangenehm. Er will nicht rauchen. "Mir ist nicht danach zumute." Er will nicht fotografiert werden, niemand soll wissen, dass wir uns unterhalten.

Inkognito im Knast

Russlanddeutsche im Gefängnis in Herford
Der Büßer: Kunst für Gefangene im Herforder GefängnishofBild: DW

Keiner unter den anderen Knackis weiß, dass er aus der Ukraine stammt. Auch die anderen Russlanddeutschen nicht. In Kiew ist er geboren. In der Nähe seiner Heimatstadt sei "ein großer Fluss und ein großer Wald". Mehr sagt er dazu nicht. Gregor will nichts mehr mit seiner Vergangenheit zu tun haben.

"Schwere räuberische Erpressung, schwere Körperverletzung" steht in der Gefangenenakte. Gregor ist drogenabhängig wie 90 Prozent der anderen Russlanddeutschen im Jugendknast von Herford. Draußen hat er Kokain genommen, Ecstasy und Speed. "Und mit den Drogen ist dann die Kriminalität gekommen." Jetzt will er von beidem freikommen.

Hoffnung Tischlerwerkstatt

Morgens trabt er in die Holzwerkstatt der JVA. "Ich führe meine Tischlerausbildung durch," sagt er etwas gestelzt. Er stolpert häufig in seinen deutschen Sätzen, imitiert in der Not den Jargon der Vollzugsbeamten. Die Beamten mögen ihn. Nach der Arbeit macht er ein bisschen Sport oder sitzt "auf Zelle" und liest. "Ich bin ein Einzelgänger."

Früher hatte Gregor viele Freunde, "falsche Freunde" sagt er jetzt. "Viele von denen wollen nur den nächsten Druck Heroin und dann ist denen alles egal. Die gehen um dich herum und dann bescheißen sie dich. Im Knast läuft dasselbe," sagt er. "Die Schwachen werden ausgenutzt. Die Oberen ziehen den Tabak ein, und wenn jemand nichts abgeben will, gibt es Ärger." Zuerst komme die Drohung, dann die Erpressung, man werde sich draußen an der Familie rächen. Wenn das nicht hilft, gebe es auch im Knast genug Gelegenheit, jemandem in einer unbeobachteten Sekunde einen Denkzettel zu verpassen.

Deswegen Gregors Angst und Geheimnistuerei. "Ich will nichts mehr mit denen zu tun haben und wieder kriminell werden. Ich bin hier, weil ich viel Scheiße gebaut habe. Jetzt will ich etwas lernen."

Die Tischlerausbildung. Die ist Gregors Strohhalm, an dem er sich ins normale Leben hangeln will. Die Lehre im Knast ist nicht schlecht, und es gibt im Umkreis genug Handwerksmeister, die keine Gesellen finden. Diese eine Chance will sich Gregor auf keinen Fall vermasseln. Es ist seine einzige.