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Der Bär ist los!

Rüdiger Lentz5. April 2007

Was tun, wenn man nachts von Lärm im Haus geweckt wird? Zur Waffe greifen? Falsch - man muss sein Revier markieren. Doch durch die Duftmarke könnte man den Ermittlern des FBI als potenzieller Terrorist auffallen.

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"Amerika, Du hast es besser!", hat Goethe vor über 200 Jahren von sich gegeben. Seit dieser Woche habe ich an dieser Dichterweisheit indessen starke Zweifel! Es begann damit, dass wir nachts vom Getrappel auf unserem Dachboden aufgeweckt wurden. Dann fiel irgendein größeres von uns auf dem Boden verstautes Kunstwerk meiner Tochter um. Das ließ darauf schließen, dass es sich nicht um Mäuse handeln konnte. Vielleicht ein Einbrecher? Aber warum wählt der den schwierigen Weg über den Dachboden, wenn er doch ebenerdig durchs Fenster einsteigen könnte? Für einen Amerikaner wäre die Entscheidung jetzt ganz einfach gewesen. Er greift zur Feuerwaffe - immerhin sind über 85 Millionen Amerikaner zu Hause mit Waffen jeden Kalibers ausgestattet - und tritt dem Eindringling entgegen.

Untaugliches Fahrtenmesser

Aber was macht ein pazifistisch orientierter Deutscher, dessen einzige Waffe im Hause aus einem Sortiment von Steakmessern besteht? Immerhin, eine Taschenlampe war da und ich erinnerte mich, dass sich im Keller unter meiner Campingausrüstung noch ein altes Fahrtenmesser aus Pfadfindertagen befand, das ich nach kurzer Prüfung dann aber für untauglich erklärte, weil seit Jahrzehnten nicht mehr geschärft.

Ich gab mir einen Ruck, jetzt nur nicht vor meiner Frau und meiner erwachsenen Tochter als unentschlossen oder gar feige dastehen. Also, bewaffnet mit einer Taschenlampe und einer Fitnesshantel, die als Wurfgeschoss dienen sollte, die Dachluke geöffnet, die Treppe ausgefahren und um den Eindringling zu blenden die Taschenlampe angeknipst. Da war der Eindringling - keine zwei Meter entfernt von mir, im Dachgebälk hängend: ein ausgewachsener Waschbär, der mich mit gelben Lichtern und völlig furchtlos anstarrte.

Spitze Zähne

Kurz zuvor war in der Zeitung vor tollwütigen Waschbären gewarnt worden Mir fiel das Herz in die Hose. Ein dünner Schlafanzug ist keine besonders geeignete Rüstung gegen ein zu Allem entschlossenes, mit spitzen Zähnen bewaffnetes Raubtier. Also die Taschenlampe furchtlos auf den Eindringling gerichtet, startete ich meine diplomatischen Überzeugungsversuche durch lautes Einreden: er solle doch möglichst schnell aus unserem Haus und Leben verschwinden. Das beeindruckte das Tier keineswegs. Da Waffengewalt zur Vertreibung ausfiel, entschloss ich mich zum geordneten Rückzug, schloss die Dachluke und verfiel in tiefes Nachdenken wie dem Bären beizukommen sei.

Am nächsten Tag: Kriegsrat. Die Nachbarn, inzwischen auch über unser Problem informiert, empfahlen den Einsatz professioneller "Kammerjäger", in Amerika kurz "pest control" genannt. Offensichtlich werden Waschbären in den USA auch als “Ungeziefer” gehandelt. Einer erwähnte, dass wegen der Tollwutgefahr bei Waschbären die zuständige Kreisverwaltung und das Gesundheitsamt zuständig seien. So mit guten Ratschlägen versorgt, begann ich meine telefonische Reise durch die Bürokratie der Kreisverwaltung von Arlington. Vom Gesundheits-amt zum “animal shelter”, vom animal shelter zum Notruf für “animal help” und dann kam endlich ein Rückruf.

Suspekter Ammoniak

Eine nette, ältere Dame teilte mir mit, dass ich a) kein Einzelfall sei und b) damit rechnen müsse, dass der Waschbär, ggf. auch eine Bärin, die gerade zu dieser Zeit trächtig seien, zweifellos vorhabe sich als Dauergast bei mir niederzulassen. Hausgäste, die länger als drei Tage bleiben, sind mir schon seit langer Zeit ein Gräuel. Und ein Bär auf meinem Dachboden, der es sich dort ggf. mit drei bis sechs Jungen für Wochen und Monate bequem macht? Gar nicht auszudenken wie das unser Familienleben verändern könnte!

Wie man ihn denn weg bekäme, wollte ich wissen. Die Dame von der Kreisverwaltung hatte auch dafür ein Rezept: Ich sollte mir eine Literflasche Ammoniak besorgen, damit Handtücher tränken und sie auf dem Dachboden verteilen. Ammoniak riecht wie Urin. Das würde dem Bären signalisieren, dass sich ein größeres Raubtier in der Nähe befände, und er würde Reißaus nehmen. Von der Geruchsbelästigung für die Hausbewohner sprach sie allerdings nicht. Und wenn das nicht helfe, gebe es immerhin noch professionelle Fallensteller.

Als Bombenbastler erfasst?

Meine weiteren Recherchen führten nach kurzer Zeit zu einer professionellen Servicefirma, die sich auf das Vertreiben, bzw. Einfangen von Schlangen, Opossums, Waschbären und sonstigen unerbetenen Gästen spezialisiert hatte. Für einen Pauschalbetrag von etwa 500 Dollar wollten sie auf meinem Boden Fallen aufstellen, den Eindringling dann entfernen und das Schlupfloch wieder dicht machen. Was aber wenn die Fallen auch nicht helfen? Dann, so die Besitzerin der Fallenfirma, müsste man zu "radikaleren" Methoden greifen. Ich dachte wieder an Waffengewalt, wurde aber belehrt, dass in diesem Falle dann Gift eingesetzt würde. Aber ich solle mir wegen des Kadavers keine Sorgen machen, die Beseitigung sei im Pauschalpreis inbegriffen.

So getröstet, entschloss ich mich zunächst für die humanere und preiswertere Option 1: Ammoniak! Nach mehreren vergeblichen Versuchen, dieses Teufelszeug in handelsüblichen Drogerien zu erstehen, wurde ich endlich in einer Apotheke und in einem Baumarkt fündig und deckte mich mit mehreren Litern ein. Ein Freund wies mich nachträglich darauf hin, dass ich mich damit möglicherweise auch für den FBI verdächtig gemacht habe. Ammoniumnitrat ist einer der Grundstoffe für Bomben in Eigenherstellung. Vielleicht bin ich inzwischen schon als "Verdächtiger" erfasst?

Inzwischen ist unser Dachboden mit Ammoniak durchtränkt, ich habe einen leicht verätzten Hals und rote Augen und geschlafen haben wir seit zwei Nächten auch kaum .Bei jedem leisesten Geräusch schrecken wir hoch. Ob der Eindringling endgültig vertrieben worden ist, wissen wir auch noch nicht. Ich mache weiter. Vier Tage lang soll ich das Teufelszeug benutzen und dann alles Öffnungen des Dachstuhls neu verdichten. Angesichts bevorstehender ruhiger Ostertage keine sehr fröhlichen Aussichten. Von wegen auf die faule Haut legen, das machen hier in den USA nur die Waschbären.