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Der Baltische Tiger

4. Mai 2004

- Steuervorteile locken immer mehr Unternehmen nach Litauen, Estland und Lettland

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Bonn, 3.5.2004, DW-RADIO, Jessica Sturmberg

Mit der jetzt erweiterten EU befürchten viele Menschen in den alten EU-Ländern, dass Arbeitsplätze vom Westen in den Osten wandern. Und dass ausgerechnet auch noch mit den Mitteln aus Brüssel die Standortvorteile in den neuen Mitgliedsländern gefördert werden. Fast alle osteuropäischen Länder locken inzwischen mit attraktiven Steuern, so auch das Baltikum. Estland, Lettland und Litauen haben einheitliche Steuersätze, die Flat tax, eingeführt. Die meisten ausländischen Investoren in Lettland kommen aus Deutschland. Sind es tatsächlich die niedrigen Steuern, die die Unternehmen ins Baltikum locken? Welche Unternehmen es sind und warum sie ins Baltikum gehen, dazu ein Beitrag von Jessica Sturmberg:

Flick:

"Meine Steuererklärung mache ich in einer halben Stunde, das ist kein Problem. Im Wesentlichen beschränkt sich das darauf, dass ich meine Unterlagen zusammensuche."

Bertolt Flick, deutscher Chef der lettischen Fluggesellschaft Air Baltic, schätzt das einfache und transparente Steuersystem in Lettland. Privatpersonen zahlen 25 Prozent Einkommenssteuer, es gibt kaum Abzugsmöglichkeiten und das gilt für alle gleich. Ähnlich ist es bei der Körperschaftssteuer - also der Steuer auf Unternehmensgewinne. Unternehmen zahlen einheitlich nur 15 Prozent - zehn Prozentpunkte weniger als in Deutschland. Seit Jahren senkt die jeweilige lettische Regierung kontinuierlich die Körperschaftssteuer. Und das nicht nur, um ausländische Investoren ins kleine Land zu locken, betont Daina Robezniece, zuständig für die Steuerpolitik im lettischen Finanzministerium:

"Das haben wir gemacht, um den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ihre Erträge wieder im Unternehmen zu investieren."

Lettland setzt wie seine baltischen Nachbarstaaten auf die langfristige Wirkung der hohen Wachstumszahlen.

Robezniece:

"Als wir damit begannen, die Steuern zu senken, haben wir zuerst erwartet, dass die Steuereinnahmen im nächsten Jahr sinken würden. Aber das ist gar nicht passiert. Z. B. waren 2002 unsere Einnahmen 10 Prozent höher als 2001, als wir noch einen Steuersatz von 25 Prozent hatten. Und selbst als wir auf 19 Prozent herunter gegangen sind, sind unsere Steuereinnahmen nur geringfügig zurückgegangen."

Inzwischen sind die Letten bei 15 Prozent Körperschaftssteuer angelangt. Für die Letten ist das zum Teil mit großen sozialen Härten verbunden. Denn wenn der Staat nicht viel einnimmt, kann er auch nicht viel verteilen. Das gilt auch für Unternehmenssubventionen, die es hier kaum gibt.

Einfache, transparente Steuersysteme - das ist nicht nur ein Vorteil im internationalen Steuerwettbewerb. Es ist zugleich notwendig, weil gerade die kleinen Länder gar nicht die Möglichkeit umfangreicher Kontrollen hätten. Ein progressives Steuersystem, wo mit steigendem Einkommen der individuelle Steuersatz steigt, wäre für Daina Robezniece unvorstellbar:

"Das Finanzamt müsste ja dann bei jeder Person prüfen, wie viel derjenige verdient hat, und dann den individuellen Steuersatz berechnen. Dann würden unsere Verwaltungskosten in die Höhe schießen."

Deutsche Unternehmer lassen sich für das Steuersystem zwar begeistern, aber für ihre Investitionsentscheidungen ist das nur ein Aspekt unter vielen. Air Baltic-Chef Bertolt Flick erklärt, was den Standort noch attraktiv macht:

"Sie haben hier Arbeitskräfte, die ausgezeichnet ausgebildet sind und die sehr gut motiviert sind, die geographische Lage ist ausgesprochen günstig. Das Lohnniveau ist wesentlich niedriger als in Deutschland und in den anderen europäischen Staaten und (…) was auch eine Rolle spielt, wenn Sie beispielsweise einen Deutschen, einen Norweger, einen Schweden nach Lettland schicken wollen, dann fühlt er sich hier wohl."

Allerdings: Lettland ist mit rund 2,5 Millionen Einwohnern ein kleines Land. Es gibt nur etwa 50 000 Unternehmen - so viel wie in einem durchschnittlichen deutschen Industrie- und Handelskammerbezirk. Daher sind es weniger die großen Unternehmen, die sich hier ansiedeln, sagt Ralph-Georg Tischer von der deutschen Außenhandelskammer im Baltikum:

"Der typische Investor aus Deutschland ist eben das mittelständische Unternehmen, das eh nur weltweit ein oder zwei Investitionen tätigen kann. Die müssen gut ausgewählt sein, d. h. es ist aber auch eine Person dahinter, die mit Emotionen gewisse Standorte betrachtet... Und das führt einen Investor hier herein, der eben sein Portemonnaie nicht so voll hat wie die großen, die eben in einer strategischen Entscheidung mal eben 10 Länder neu besetzen, sondern hier findet das individuelle Geschäft statt."

Es ist nicht das große Investitionsvolumen, mit dem die deutschen Unternehmen im Baltikum auftreten, sondern ihre große Zahl. Und es werden immer mehr, die sich vom Ostseeraum angezogen fühlen. (lr)