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Der Basisdemokrat

Jens Thurau

Premiere für die Grünen: Mit Christian Ströbele hat erstmals ein grüner Politiker bei einer Bundestagswahl ein Direktmandat gewonnen. Das schaffen in der Regel nur Politiker der beiden großen Parteien SPD und CDU/CSU.

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So freuen sich Sieger: Christian Ströbele auf der WahlpartyBild: DPA

Der Applaus für den Mann, der eigentlich das Krankenbett hüten musste, übertraf noch den für den populären Außenminister Joschka Fischer. Zwei Tage vor der Wahl war Christian Ströbele - 62 Jahre alt, linkes Aushängeschild der Grünen, Anwalt, Friedensaktivist und vieles mehr - von einem einschlägig bekannten Rechtsradikalen auf offener Straße mit eine Stahlrute traktiert worden. Aber mit Widrigkeiten umzugehen ist Ströbele gewöhnt. Und am Wahlabend stand er in Berlin vor rund 3000 begeisterten Parteifreunden - als erster Grüner, der ein Bundestagsmandat direkt gewann, also mehr Stimmen für sich als Person erhielt als jeder andere Direktkandidat vor Ort.

Stolz auf Ergebnis

Im komplizierten deutschen Wahlsystem ein beachtlicher Erfolg. Normalerweise profitieren die Grünen von den Zweitstimmen, mit denen ganze Listen beziehungsweise Parteien gewählt werden, während die Erststimme direkt an einen Kandidaten des Wahlkreises vergeben wird. In fast allen Fällen können sich dabei nur die Kandidaten der beiden großen Volksparteien SPD und CDU/CSU durchsetzen.

Worauf Ströbele besonders stolz ist: Er erhielt seine Stimmen nicht nur im traditionell linken Stadtteil Kreuzberg. Sein Wahlkreis ist weitaus größer. "Wir haben in dem größeren Teil des Wahlkreises, der im Osten der Stadt liegt - Friedrichshain, Prenzlauer Berg-Ost - Stimmergebnisse bis zu 30 Prozent erzielt. Wir reden nicht über fünf oder acht oder 10 oder 18 Prozent, sondern wir reden von 30 Prozent!".

Ströbele erreichte schließlich 31,6 Prozent der Erststimmen. Sein härtester Konkurrent, der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Andreas Matthae, lag mit 29,1 Prozent auf dem zweiten Platz.

"Ströbele wählen - Joschka quälen"

Noch zu Jahresbeginn schien die politische Karriere des früheren Strafverteidigers von RAF-Terrorristen fast vorbei zu sein. Die Berliner Grünen wählten ihn nicht auf einen aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagswahl, Ströbele musste es also direkt versuchen. Er probierte es auch mit seinem Image eines linkeren parteiinternen Gegenspielers von Außenminister Joschka Fischer. Auf Postkarten warb er pfiffig mit der Losung: "Ströbele wählen - Joschka quälen". Joschka Fischer, der grüne Patriarch, nahm es gelassen. "Meine Antwort war immer die: Quält mich - und wählt ihn! Und nun ist er gewählt, die Qual hat ein Ende. Und ich freue mich närrisch über unser erstes Direktmandat. Und etwaige Probleme werden wir im Geist der Solidarität, des Widerspruchsgeistes und des Konsens lösen."

Grüner Nonkonformist

Kein Gelegenheit ließ Ströbele in der Vergangenheit aus, sich als linkes, reines Gewissen der Grünen zu profilieren. Er stimmte gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und organisierte Mehrheiten auf Parteitagen gegen eine Parteireform, die es grünen Ministern auch erlaubt hätte, für Parteiämter zu kandidieren. Ströbele blieb stets streng basisdemokratisch - und wurde im Regierungsviertel mit bunten Pullovern auf seinem alten Fahrrad gesehen.

Wenn er jetzt noch einmal ins Parlament einzieht, will er dort laut eigener Auskunft weniger für seine Partei, als für die Menschen in seinem Wahlkreis tätig sein. "Ich interpretiere diesen Wahlsieg ganz eindeutig dahin, dass meine politischen Positionen, die ich in den letzten Jahren im Deutschen Bundestag in der grünen Fraktion und in der Koalition vertreten habe, aus Sicht der Wählerinnen und Wähler weiter vertreten werden sollen. Und ich bin nur meinen Wählerinnen und Wählern gegenüber verantwortlich."

Ströbele nutzte seine Chance

An Volksnähe mangelte es Ströbele noch nie. Im Wahlkampf machten sich sogar SPD-Mitglieder öffentlich für die Wahl Ströbeles stark - per Zeitungsannonce. Ihnen droht die Landes-SPD nun mit Partei-Ausschlussverfahren. Im Wahlkampf hatte Ströbele seine letzte Chance, die fast keine war, fleißig genutzt. Er ist im Bezirk bekannt wie ein bunter Hund, hat mit vielen Menschen diskutiert. Und etwas sagen - das wird er nun weiter vier Jahre im Bundestag. Und gewiss nicht immer zur Freude von Kanzler und Außenminister.