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Der Kampf hat begonnen

8. April 2009

Dem Weltfinanzsystem werden Zügel angelegt. Die Zeiten exorbitanter Gewinne sollen vorbei sein. Und den Steueroasen geht es an den Kragen. Doch der Kampf gegen die globale Wirtschaftskrise ist längst nicht ausgestanden.

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US-Präsident Barack Obama auf dem G20-Gipfel
US-Präsident Barack Obama <br>auf dem G20-GipfelBild: picture alliance / Photoshot

Viereinhalb Monate nach dem ersten Weltfinanzgipfel in Washington haben die Bemühungen der Regierungen aus aller Welt, die Finanzkrise zu überwinden, einen vorläufigen Höhepunkt erreicht: Der Nachfolgegipfel am 2. April in London unter dem Dach der G20 endete mit überraschend deutlichen Beschlüssen für eine tiefgreifende Reform der Weltfinanzmärkte. In London wurden erste Umrisse einer neuen Finanzordnung sichtbar.

Entsprechend euphorisch trat der Gastgeber, Großbritanniens Premier Gordon Brown, in den Londoner Docklands vor die versammelte Weltpresse. Dies sei nichts Geringeres als "der Tag, an dem die Welt zusammenkam, um gegen die globale Rezession zurückzuschlagen." Und zwar nicht mit Worten, wie Brown voll Pathos nachschob, sondern mit einem Plan für eine weltweite Erholung. Die beschlossenen Reformen hätten einen konkreten Fahrplan für die Umsetzung.

Risiken regulieren

Premier Gordon Brown (AP Photo/Matt Dunham)
Premier Gordon Brown: "Wir schlagen zurück"Bild: AP

Tatsächlich ist in den Beschlüssen von London die Absicht erkennbar, das Übel bei der Wurzel zu packen, um für künftige Krisen besser gewappnet zu sein. Denn die Gier nach den fetten Renditen war es, die die Welt ins Unglück gestürzt hat. Ihren Ausgangspunkt hatte die Krise an der Wall Street und im Finanzdistrikt von London. Im Gefolge versuchten viele Banker überall auf der Welt, das große Rad zu drehen, ohne sich über die Risiken ihrer Spekulationen im Klaren zu sein.

Werden die Beschlüsse von London wirklich in die Tat umgesetzt, dann ist die Zeit der exorbitanten Gewinne vorbei. Der Ansatz lautet: Alle Finanzprodukte, die ein Risiko für die sensiblen Finanzmärkte darstellen, werden unter Aufsicht gestellt. Hedgefonds, Rating-Agenturen und Managergehälter werden reguliert. Doch dieser Ansatz ist nicht unumstritten. "Mit Regulierung Krisen zu verhindern, ist ein Wunschtraum", sagt zum Beispiel Jürgen von Hagen, Direktor des Instituts für Internationale Wirtschaftspolitik an der Universität Bonn, denn hier werde die Phantasie und Kreativität der Märkte unterschätzt, solche Regulierungen zu umgehen.

Flexible Reaktion statt starrer Kontrolle

Jürgen von Hagen vom Bonner Institut für internationale Wirtschaftspolitik
Jürgen von Hagen vom Bonner Institut für internationale WirtschaftspolitikBild: Universität Bonn

Immerhin soll das bisherige Finanz-Stabilitäts-Forum zu einem international agierenden Gremium aufgewertet werden. Dieser "Financial Stability Board" soll gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) die Märkte fortlaufend überwachen, ein Frühwarnsystem entwickeln und als eine Art "Finanz-Feuerwehr" agieren. "Ein vernünftiger Ansatz", so der Wirtschaftswissenschaftler. Denn es sei "allemal besser, flexibel auf Marktentwicklungen zu reagieren, als bestimmte Dinge einfach zu verbieten".

Manche Kritiker bemängeln, die eigentliche Ursache der Krise sei noch gar nicht angegangen worden, nämlich die Spekulation. "Es ist ein Irrtum zu glauben, Spekulation sei grundsätzlich schädlich für eine Volkswirtschaft", warnt Jürgen von Hagen. Ein freiheitliches System der Finanzmärkte beruhe immer auf Spekulation, und diese Spekulation sei volkswirtschaftlich sehr sinnvoll. Denn sie ermöglicht es Unternehmen, sich gegen künftige Risiken abzusichern, um Wachstum und Investitionen besser planen zu können. Das funktioniert aber nur so lange, wie es Spekulanten gibt, die bereit sind, die Gegenwette auf solche Risiken einzugehen.

Freier Handel unabdingbar für Erholung

Ein Containerschiff als Symbol für den Welthandel
Freie Fahrt für den Welthandel?

Für besonders wichtig halten viele Experten ein klares Bekenntnis zum freien Welthandel. Denn gerade die offenen Handelsgrenzen haben dazu geführt, dass in den letzten fünf Dekaden viele frühere Entwicklungsländer eine enorme Wachstumsdynamik entfalten und gegenüber den klassischen Industrienationen Boden gut machen konnten. "Kämen diese Staaten auf die Idee, in der Krise ihre Märkte abzuschotten, hätte das katastrophale Folgen", meint zum Beispiel Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik und Berater zahlreicher Regierungen in Asien und Lateinamerika. "Dann käme der Berg endgültig ins Rutschen". Doch im Vorfeld des Londoner Gipfels hatte die Weltbank moniert, dass 17 der G20-Staaten sich eben nicht an ihre bereits in Washington gemachte Zusage halten, aus ihren nationalen Konjunkturprogrammen protektionistische Klauseln herauszuhalten.

Mit dem Gipfel von London ist die Krise noch nicht ausgestanden. Im Gegenteil: Die dramatischen Einbrüche in vielen Industrienationen werden sich demnächst in katastrophaler Weise auf die Arbeitsmärkte auswirken. Und auch die Entwicklungsländer werden mit voller Wucht von der Krise getroffen, weiß Dirk Messner. Ihre Exportmärkte brechen zusammen, die Überweisungen ihrer Gastarbeiter bleiben aus, ausländisches Kapital wird abgezogen und unter europäischen und amerikanischen Rettungsschirmen geparkt. Soziale Unruhen rund um den Globus könnten die Folge sein.

Wohl auch daher haben die Führer der G20 ein Signal gesetzt: Astronomische Bonus-Zahlungen für Manager und Steuerparadiese soll es in Zukunft nicht mehr geben. Insofern könnten die Bemühungen der internationalen Wirtschaftspolitik Früchte tragen: London könnte den Beginn eines neuen Typs von Marktwirtschaft markieren: den des maßvollen, nachhaltigen Wirtschaftens. "Die Welt wird anders aussehen nach der Krise", sagt Regierungsberater Messner, "aber erst mal muss man alles tun, damit der Berg nicht ins Rutschen kommt".

Autor: Henrik Böhme / Rolf Wenkel

Redaktion: Sabine Faber