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Der Chor der Gehörlosen

Nadja Baeva/(sol)3. Dezember 2005

Sie können nicht hören, aber singen können sie trotzdem - in Gebärdensprache. Gemeinsam mit Hörenden singen gehörlose Menschen ohne Ton, aber mit Rhythmus und viel Gefühl.

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Ein Gebärdenchor aus Leipzig begleitet einen unterlegten Musiktitel durch Gebärdensprache.Bild: dpa

Bei Konzerten bleibt der Gehörlosenchor stumm. Er präsentiert seine Lieder nur mit Gesten. "Das ist die Musik für die Augen, ein Mittelding zwischen einem singenden Chor und einem Ballett. Der ganze Körper ist da im Einsatz", sagt Pfarrer Herman-Josef Reuter von der Katholischen Gehörlosenseelsorge St. Georg in Köln. Die Jugendlichen des Kölner Gebärdenchors geben nicht nur den Text eines Liedes wieder, sondern bringen Emotionen des Stücks mit ihrem ganzen Körper zum Ausdruck wie in einem Tanz.

Gehörlosigkeit ist keine Behinderung wie jede andere. Im Gegensatz zu blinden Menschen besitzen Gehörlose ihre eigene Sprache, die Deutsche Gebärdensprache. In Deutschland leben rund 80.000 gehörlose Menschen, doch erst wenn sie ihre faszinierende Sprache benutzen, erkennt man sie. Der internationale Tag der Behinderten am 3. Dezember möchte auf die Probleme behinderter Menschen aufmerksam machen und gegen Ausgrenzung und Diskriminierung kämpfen. Ein gelungenes Modell zur Integration gehörloser Menschen sind die Gebärdenchöre - für Hörende und Gehörlose.

Selbstbewusst mit Gebärden

Den Jugendgebärdenchor St. Georg gibt es erst seit 2004. Dennoch ist er in Köln schon so bekannt, dass seine Mitglieder häufig zu den unterschiedlichsten Veranstaltungen eingeladen werden. Und nicht nur um kirchliche Lieder zu singen, sondern sogar um mit kölschen Rock-Bands aufzutreten. Anfangs waren die Jugendlichen von der Idee nicht so sehr begeistert: "Die Jugendlichen waren sehr schwer zu motivieren, weil sie sich im Grunde genommen nicht so gerne zeigen in ihrer Gebärdensprache", erinnert sich Hauptchorleiterin Juliane Mergenbaum.

Gebärdensprache, Ausstellung in Jena
Gehörlose besitzen eine eigene Sprache: die Gebärdensprache.Bild: dpa

Nach mehreren Proben waren die Jugendlichen dann doch einverstanden, öffentlich aufzutreten. Inzwischen ist das Mitwirken im Chor für viele nicht mehr nur ein Hobby, sondern viel mehr: Die Jugendlichen seien jetzt viel selbstbewusster, weiß Mergenbaum. In der Arbeit mit gehörlosen und schwerhörigen Menschen sei das eine Wende: Sie könnten sich jetzt auch selbst einbringen und anderen etwas anbieten. Mergenbaum: "Das macht sie stolz. Und das ist ganz wichtig."

Gehörlos und musikalisch

Um ihre Botschaft zu vermitteln, setzen die Gebärdenchöre auf vollen Körpereinsatz. Damit die Zeichen auch zu den Bewegungen passen, hat der Chor zwei Leiterinnen. Während Annemarie Schmitz für das Tänzerische zuständig ist, kontrolliert Alena Kubik die Gebärdensprache. Würde man die Liedtexte aber in Sprechsprache zurückübersetzen, klinge dies recht bruchstückhaft und grammatikalisch falsch, weiß Christina Kupczak von der Gehörlosenseelsorge Pax in Frankfurt. Auch sie betreut einen Gebärdenchor. "Die Reihenfolge der Worte in der Gebärdensprache ist ganz anders. Das Verb kommt zum Beispiel immer am Ende."

Hilfe von Hörenden

Rund ein Drittel der Chormitglieder kann hören - im Chor mache das aber keinen Unterschied, meint die hörende Ela Abenthung. "Mir macht es sehr viel Spaß, die Gebärden zu lernen und den Kontakt mit den anderen zu haben. Ich bin ein Teil der Gruppe, wir sind alle gleich."

Obwohl die Gehörlosen die Musik selbst nicht wahrnehmen können, bewegen sie sich im Takt der Melodie. Christina Kupczak weiß: "Gehörlosigkeit hat nichts mit Musikalität zu tun. Es gibt musikalische und unmusikalische Gehörlose." Dennoch sind sie auf die Hilfe hörender Mitglieder angewiesen. Sie müssen ihnen den Rhythmus und die Schnelligkeit anzeigen, sagt Choreografin Annemarie Schmitz. "Sie können aber auch gut voneinander abgucken und geben sich untereinander Zeichen und Hilfe."