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Der Colonel

2. Oktober 2009

Der Romancier Mahmud Doulatabadi beschreibt in "Der Colonel" die Wirren nach der iranischen Revolution. Eine Beschreibung, die auch ohne Bezug zu den jüngsten Entwicklungen dort wichtig ist zum Verständnis des Iran.

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Demonstrationen während der Iranischen Revolution 1979
Die Iranische Revolution ist Ausgangspunkt des Romans "Der Colonel"Bild: AP

"Die gesamte Geschichte unseres Landes ist im Grunde nichts anderes: die Katastrophe, im eigenen Haus fremd zu sein. Das Erstaunliche ist nur, dass wir uns an diese Katastrophe nie gewöhnen konnten". Der so über sein Land sinniert, ist der "Colonel", ehemaliger Offizier des Schahs, der mit den Folgen der iranischen Revolution nicht mehr zurecht kommt. Die Hauptfigur des gleichnamigen Romans von Mahmud Doulatabadi steht gleichsam für das iranische Volk: Seine fünf Kinder haben sich in den Wirren der Revolution den verschiedensten Richtungen angeschlossen – vom Kommunisten bis zum Anhänger Chomeinis, überzeugte Revolutionäre und einfache Mitläufer.

Der Autor Mahmud Doulatabadi (Foto: Unionsverlag)
Der Autor Mahmud DoulatabadiBild: Unionsverlag

Bisher nur in Deutsch

Der 69-jährige Doulatabadi ist heute sicher der prominenteste Schriftsteller des Iran. Er hat die Revolution vor dreißig Jahren und deren Folgen miterlebt. Den "Colonel" hat er bereits vor 20 Jahren zu schreiben begonnen und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Roman gerade jetzt veröffentlicht wird, wenn der Iran die wohl schwerste innenpolitische Krise seit jener Revolution durchmacht. Auch, dass er in Deutsch veröffentlicht wird und nicht in Persisch: Die Zensurbehörde hat ihn noch nicht freigegeben. Und wird ihn vielleicht nie freigeben.

Zu sehr wird auch der bürokratischste Zensor spüren, dass die Gedanken des Colonel heute genauso zutreffen wie vor 30 Jahren: "Wie kann ich erwarten, dass die Menschen sich bessern… Alles und jedes uns herum scheint zu beweisen, dass alle Werte, die uns unsere Vorfahren als Werte hinterlassen haben, keine Gültigkeit mehr haben. Stattdessen werden Misstrauen, Ungläubigkeit und Resignation gesät… Mit eigenen Händen müssen wir unsere Kinder begraben… aber weit erschreckender ist, dass aus diesen Verbrechen eine Zukunft wächst."

Der persische Schah Reza Pahlavi in Galauniform mit seiner Gattin Kaiserin Farah Diba (Foto: dpa)
Der letzte Schah Persiens: Schah Reza PahlaviBild: picture-alliance/dpa

Den Tod selbst bestimmen

Der Colonel beerdigt auch seine Kinder: Als Helden und Märtyrer den einen, wie eine Verbrecherin die andere. Jeden von ihnen ereilt das Schicksal: Der eine fällt im Krieg gegen den Irak, die anderen werden gefoltert, ermordet, verscharrt. Mittendrin der Colonel. Nicht willfähriges Werkzeug, aber doch hilflos den Entwicklungen ausgesetzt und unterworfen. Ein Mann, der seine Vergangenheit verloren hat und der resignierend feststellt: "Meine letzte Kunst besteht darin, meinen Tod selbst zu bestimmen, um den anderen die Hoffnung, mich töten zu können, zu nehmen."

Die politische Polizei ist wie die Religion

Doulatabadi hat schon vor Jahren gesagt, er halte eine neue Revolution im Iran für unmöglich, weil niemand die damit verbundene Gewalt wolle und jeder schon einmal "im Gefängnis des anderen gesessen" habe. Der Roman beschreibt denn auch den Übergang von einem totalitären System zum anderen und wie Knechte des einen zu Knechten des anderen wurden. Wendehälse oder weil jedes Regime sie braucht: "Die politische Polizei ist wie die Religion. Hast Du jemals erlebt, dass die Religion ausgerottet wurde? Es ist schon möglich, dass eine neue Gruppe nach oben kommt, aber sie wird die Wurzeln ihrer Vorgänger nie beseitigen können."

Und selbst das Foltern und Töten ist im Roman – wie sicher auch in der Realität – längst zum Selbstzweck geworden. Wie einer der Geheimdienst-Offiziere eingesteht: "Soll ich ein Reuegelöbnis ablegen ?... Soll ich aus lauter Feigheit meinem eigenen Tod beschleunigen?...Ich muss mutig sein, denn ich will weiterleben. Ich habe keine Lust, Opfer dieses blutigen Spiels zu werden."

Nicht nur iranische Eigenart

In grün gehüllte Demonstranten in Teheran (Foto: AP)
Der Roman birgt Parallelen zu aktuellen Ereignissen wie den Aufstände im Juni diesen JahresBild: AP

Auf knapp 200 Seiten gelingt es Doulatabadi, ein beeindruckendes Bild des modernen Iran zu zeichnen. Er macht es seinem Leser nicht gerade leicht: Rückblenden, Phantasien und konkrete Beschreibungen vermengen sich zu einem Gemälde mit sehr realistischem Hintergrund. Ein Grundwissen über die iranische Geschichte – zumindest der Neuzeit – ist sicher nützlich zum Verständnis des "Colonel". Aber man wird auch feststellen, dass der Iran sich in vielem nicht unterscheidet von anderen Staaten mit ähnlicher Entwicklung. Beschrieben wird hier nicht nur eine iranische Eigenart, sondern eher eine menschliche Schwäche, die anderen ebenso gemein ist.

Mahmud Doulatabadi: Der Colonel

Roman

Unionsverlag, Zürich, 2009

Übersetzung von Bahman Nirumand

ISBN 978-3-293-00402-3

Autor: Peter Philipp

Redaktion: Stephanie Gebert