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Der deutsche Stradivari

Henrik Hübschen15. Dezember 2003

Für den optimalen Klang muss es eine Stradivari sein - das gilt seit Peter Greiner nicht mehr. Er ist dem Geheimnis des Klangs auf die Spur gekommen. Doch: Nicht jeder freut sich darüber.

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Mehr als nur Handwerk?Bild: dpa

Er ist der beste Geigenbauer Deutschlands, vielleicht sogar der Welt. Das renommierte Rheingau-Musik-Festival hat ihn vor kurzem mit seinem Preis für das Jahr 2003 ausgezeichnet. Aber im Mitgliederverzeichnis des Verbands Deutscher Geigenbauer sucht man den Namen Peter Greiner vergeblich. Der gebürtige Schwabe gilt nach eigenen Angaben als Nestbeschmutzer, weil er den Händlern alter Geigen die Preise kaputt macht. Dabei tut er in seiner Bonner Kellerwerkstatt eigentlich nur das, was ein guter Geigenbauer tun sollte: Er baut gute, neue Instrumente.

Geigenbauer Stefan-Peter Greiner
Geigenbauer Stefan-Peter GreinerBild: dpa

Sein Geheimnis: Wissenschaftliche Erkenntnisse gepaart mit handwerklichem Geschick. Schon im Alter von vierzehn Jahren baute der heute 37-Jährige seine erste Geige. Autodidaktisch. Während seiner Gesellenzeit bei einem Bonner Geigenbaumeister studierte Greiner parallel an der Universität Köln: Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Phonetik. Dabei lernte er den Physiker Heinrich Dünnwald kennen.

Dünnwald hatte an der Technischen Hochschule Aachen mit einer selbstentwickelten Messtechnik schon zuvor die Klangspektren von Geigen untersucht. In Greiner fand er jetzt den perfekten Antreiber und Partner. Gemeinsam untersuchten sie weit über 1000 Geigen, darunter Instrumente von Stradivari und Guarneri. Einige davon wurden sogar durch einen Computertomographen geschoben. Das Ergebnis: Eine als gut klingend empfundene Geige weist eine ähnliche Klangcharakterstik auf wie die menschliche Gesangstimme.

Muss man den Klang im Urin haben?

Stradivari Geige
Eine Violine gemacht von Antonio StradivariBild: AP

Aber wie erreicht man diesen Klang? Geht es etwa, wie Guarneri und Stradivari fest glaubten, nur mit Holz von Bäumen, die kurz vor Neumond geschlagen werden? Und muss dem Lack tatsächlich der Urin einer Jungfrau beigemischt werden?

Für Peter Greiner sind Holz und Lack relativ egal. Natürlich verwendet auch er traditionsgemäß nur Ahorn, Fichte und Ebenholz für seine Geigen – aber Peter Greiner geht nicht in den Wald, um sich seine Bäume selber auszusuchen. Seinen eigenen Lack hat Peter Greiner in Zusammenarbeit mit einem Naturstoffchemiker angerührt. Aber auch ohne Jungfrauenurin sind seine Geigen äußerlich und klanglich kaum von Stradivaris oder Guarneris zu unterscheiden.

Die Grundqualität der Geige müsse ohnehin schon vor der Lackierung stimmen, meint Greiner. Diese Grundqualität erreicht Greiner durch seine Bauweise. Er hat festgestellt, dass vor allem die Stärke der Decke und des Bodens und die Maße der Wölbungen für den Klang entscheidend sind. Die millimetergenauen Maße hat er im Kopf. "Aber auch in den Händen", sagt Greiner. "Denn im Kopf wäre es zwar gut aufgehoben, aber ich könnte es dann nicht umsetzen."

Deswegen vertraut Greiner beim Bau der Geigen auch nur vier Händen – seinen eigenen, und denen von Heinrich Dünnwald. Aber vier Hände reichen nicht aus, um der gewaltigen Nachfrage gerecht zu werden. Schließlich hat sich herumgesprochen, dass Greiners Geigen nicht nur ebenbürtig mit denen alter Meister sind, sondern mit rund 20.000 Euro pro Instrument auch bis um das zehnfache günstiger.

Schlechte Zeiten, Gute Zeiten

Geigen
Keine Konkurrenz für Greiner: Geigenbauerin Brigitte Man von der Firma Klier aus Bubenreuth. Rund 5.000 der Saiteninstrumente verlassen jedes Jahr die Werkstatt der Geigenbaufirma.Bild: AP

Schlechte Zeiten für Geigenhändler und Spekulanten, die eine Stradivari schon mal als Kapitalanlage im Tresor einschließen. Gute Zeiten für Greiner und seine Kunden. Die Wiener und Berliner Philharmoniker zählen dazu, und selbst Klassik-Star Anne-Sophie Mutter muss mit einem Platz auf der Warteliste vorliebnehmen.

Bis zu vier Jahre müssen sich die darauf versammelten Künstler gedulden – denn mit "weniger als perfekt" gibt Greiner sich selten zufrieden: "Es hat schon etwas mit dem Gedanken der Unsterblichkeit zu tun: Ich möchte wie Stradivari und Guarneri durch meine Instrumente weiter leben."