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Moderne Arbeitswelten

1. Juli 2010

Was machen Menschen, wenn Sie den Belastungen am Arbeitsplatz nicht mehr standhalten können? Das 28. Filmfest München gibt in der Sektion "Neue deutsche Kinofilme" Antworten.

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Mann sitzt am Schreibtisch mit Akten - Szene aus: "Der letzte Angestellte" (Foto: Filmfest München)
Bild: Filmfest München

Ein Vertreter verkauft Schönheitsprodukte an Frauen. Dabei setzt er auch auf frühere privaten Bekanntschaften. Ein Bankmanager verliebt sich in die Frau eines Untergebenen. Skrupellos versetzt er den Nebenbuhler in eine Geschäftsstelle im Ausland. Ein Jurist hat die Aufgabe Unternehmen in den Konkurs zu begleiten. Doch der Druck wendet sich gegen die eigene Person. Er erleidet eine schwere Pychose.

13 Filme sind diesmal vertreten in der Reihe mit neuen deutschen Kinofilmen beim Münchner Filmfestival, dem – nach der Berlinale – zweitgrößten in Deutschland. Die Reihe gehört zu den Herzstücken des Festivals, zeigt sie doch - vor großem Publikum aus dem In- und Ausland -, was es Neues gibt aus dem Kinoland Deutschland. Gelegenheit also für die Besucher zu sehen, wo der Deutsche Film derzeit steht, was seine Themen sind.

Mann mit Verkaufskoffer mit Schönheitsprodukten im Gespräch mit Frau - Szene aus: Die Hummel (Foto: Filmfest München)
Auch die alten Bekanntschaften sollen seine Schönheitsprodukte kaufen: "Die Hummel"Bild: Filmfest München

Die Krise kommt beim Menschen an

Auffallend in diesem Jahr: Die Konzentration der Filmemacher auf das Leben der Menschen in der modernen Arbeitswelt. Keine privaten Liebesgeschichten, kaum Genreproduktionen, wenig dezidiert Politisches – im Jahr 2010 haben die deutschen Regisseure scheinbar ihr Thema gefunden. Man kann das als Reflex auf Weltwirtschaftskrise und ökonomisch komplizierte Zeiten auch in Deutschland deuten. Die Filmemacher reagieren auf die Verwerfungen der globalisierten Weltwirtschaft, die am Ende natürlich beim einzelnen Menschen ankommen.

Und auf dieses Individuum, auf die Schicksale der Menschen, blicken nun die Regisseure – zumindest im Spielfilm. Wenn der Vertreter für Schönheitsprodukte im Film "Die Hummel" von Regisseur Sebastian Stern Geschäfte mit den Freundinnen aus alten Zeiten macht, dann steht das auch für den enormen Druck, immer wieder neue Abschlüsse vorweisen zu müssen. Auf freundschaftliche Gefühle und Sentimentalitäten kann da keine Rücksicht genommen werden. Zumindest nicht am Anfang. Das Gefühlskorsett des Vertreters bricht zum Schluss in sich zusammen.

Mann und Frau lliegend auf dem Bett - Szene aus "Unter Dir die Stadt" (Foto: Filmfest München)
Der Banker und das Mädchen: "Unter Dir die Stadt"Bild: Filmfest München

Auch die Großen werden heimgesucht

Nicht anders geht es dem Vorstandsvorsitzenden einer großen Bank mit internationalen Geschäftsbeziehungen. Auch wenn Christoph Hochhäuslers Film "Unter Dir die Stadt" in ganz anderen Sphären spielt, die Mechanismen sind ähnlich. Hier ist es ein zunächst eiskalter Bankmanager, dem sich sein eigenes Gefühlsleben in den Weg stellt. Im Business-Alltag agiert der Banker skrupellos. Auch die Hindernisse einer privaten Liebschaft werden aus dem Weg geräumt. Der Ehemann der Geliebten wird ins ferne Indonesien versetzt. Doch mit einem hat der Manager nicht gerechnet - mit dem eigenen Gefühlshaushalt, der sich eben nicht mit Verkaufskursen und Fusionsgesprächen beherrschen lässt.

Am eigenen Ich scheitert auch der Konkursanwalt in Alexander Adolphs Film "Der letzte Angestellte". Den Auftrag ein nicht mehr effizient arbeitendes Unternehmen aufzulösen nimmt der Jurist zwar an, doch je mehr er sich in die Arbeit vertieft, die mit entlassenen Arbeitnehmern, mit Schicksalen, mit Menschen in Notsituationen zu tun hat, umso mehr plagt den Anwalt das eigene Gewissen. Der Druck wendet sich schließlich gegen die eigene Person. Wahnvorstellungen und Gewaltausbrüche, schwere Depressionen und Psychosen sind die Folge.

Frau in Insektenkostüm - Szene aus "Morgen das Leben" (Foto: Filmfest München)
Kleine Fluchten - in der Verkleidung läßt sich´s leben: "Morgen das Leben"Bild: Erol Gurian

Am Ende steht meist die Niederlage

Drei Geschichten aus der Arbeitswelt – man könnte noch andere Beispiele nennen, etwa den dokumentarisch anmutenden Spielfilm "Morgen das Leben" von Alexander Riedel, der die Lebenswege von drei beruflich gescheiterten Menschen verfolgt, die einen neuen Anfang suchen -, es sind immer Geschichten von Menschen, die dem Druck der Arbeitswelt irgendwann nicht mehr standhalten können. Wie sie dann reagieren, ist sehr verschieden und wird von den Regisseuren – auch formal – sehr unterschiedlich gezeigt.

Manche verdrängen das eigene Scheitern und zwingen der Umwelt ihr Elend auf, andere richten die Wut und die Ohnmacht gegen den eigenen Körper oder auch die Seele. Am Ende steht fast immer die Niederlage oder – im besten Fall – die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann. Das deutsche Kino zumindest hat derzeit keine Angst genau hinzuschauen auf die Mechanismen moderner Arbeitswelten, auf ökonomische Verwerfungen und die Macht und die Gier globaler Finanzinteressen. Die Regisseure nehmen sich in ihren Filmen der Opfer an – den einzelnen Menschen, die den Halt zu verlieren drohen.

Autor: Jochen Kürten

Redaktion: Marlis Schaum