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Der Fall Drygalla

Christina Ruta 6. August 2012

Das Private ist öffentlich - zumindest im Fall Nadja Drygalla. Der Freund der deutschen Ruderin war Landtagskandidat der rechtsextremen NPD. Doch rechtfertigt das den Rückzug von Drygalla von Olympia?

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Ruderin Nadja Drygalla (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es wäre der zweite große Karriereknick innerhalb eines Jahres. Erst im September 2011 war die Olympia-Ruderin Nadja Drygalla nach einem Gespräch mit ihren Vorgesetzten auf eigenen Wunsch aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Jetzt reiste die 23-jährige Rostockerin vorzeitig aus dem Olympischen Dorf in London ab - ihre sportliche Karriere steht auf dem Spiel. Der Grund war in beiden Fällen ihr Privatleben - besser gesagt, das ihres Freundes. Michael Fischer, der Lebensgefährte der Spitzensportlerin, ist als führendes Mitglied der Rostocker Neonazi-Szene bekannt und war Direktkandidat der rechtsextremen NPD in Rostock bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2011.

Drygalla selbst distanzierte sich in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur von rechtsradikalem Gedankengut. Sie habe keine Verbindung zu dem Freundeskreis ihres Partners gehabt. Dieser sei im Mai 2012 auch aus der NPD ausgetreten - was die NPD jetzt bestätigte - und habe "persönlich mit dieser ganzen Sache gebrochen und sich verabschiedet". Obwohl unklar ist, inwieweit diese Aussagen zutreffen, wirft der Fall Drygalla Fragen auf. Dürfen die Ansichten von Lebensgefährten Auswirkungen auf die Karriere von Spitzensportlern haben? Und gilt nicht die Meinungsfreiheit, selbst wenn Drygalla die rechtsextremistischen Einstellungen ihres Partners teilte?

Der deutsche Frauen-Achter mit Ruderin Nadja Drygalla (M) (Foto: dpa)
Der deutsche Frauen-Achter mit Ruderin Nadja Drygalla (Mitte)Bild: picture-alliance/dpa

Diskriminierungsverbot bei Olympia

"In der Olympischen Bewegung gilt die Olympische Charta", sagt Ansgar Molzberger, Sporthistoriker an der Sporthochschule Köln im Gespräch mit der DW. Die Charta ist das Regelwerk des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Einer ihrer Paragraphen verbietet allen Olympia-Teilnehmern jede Art der Diskriminierung. Allerdings, so Molzberger, habe Frau Drygalla selbst nicht gegen dieses Regelwerk verstoßen - zumindest nach aktuellem Informationsstand. Weder habe sie nachweisbar etwas Rechtsextremes gesagt noch getan. "Die Frage ist aber, ob man den olympischen Werten voll entsprechen kann, wenn man in einer Beziehung mit einem Menschen lebt, der sich gegen diese Werte ausspricht. Das ist juristisch schwer zu beurteilen und ein schmaler Grat", wendet der Sporthistoriker ein.

Dass es bei Olympia überhaupt eine Charta mit klarer Gesetzgebung gibt, liege daran, dass es bei den Spielen ursprünglich nicht um den Sport an sich ging. Der Begründer Pierre de Coubertin war Pädagoge und wollte den olympischen Sport zur Erziehung einsetzen. Die Olympia-Teilnehmer hätten also - der Idee nach - eine besondere Vorbildfunktion.

Nadja Drygalla - ein Modellfall?

Dementsprechend aufmerksam sind die Verantwortlichen prinzipiell auch bei der Frage, wen sie überhaupt zu den Spielen zulassen und wen nicht. So wurde beispielsweise der Schweizer Fußballer Michel Morganella von den Olympischen Spielen in London ausgeschlossen, weil er bei Twitter nach einer Niederlage gegen Südkorea einen rassistischen Kommentar hinterlassen hatte. Und die griechische Dreispringerin Voula Papachristou wurde suspendiert, weil sie sich diskriminierend über afrikanische Einwanderer in ihrem Heimatland geäußert hatte.

Dass aber ein Sportler vorzeitig das Olympische Dorf verlässt, der vermutlich nicht selbst etwas diskriminierendes gesagt hat, ist ungewöhnlich. Der Grund dafür, dass Nadja Drygallas Privatleben erst nach Beginn der Olympischen Spiele vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) hinterfragt wird, liegt DOSB-Generalsekretär Michael Vesper zufolge an Kommunikationspannen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er: "Wir nominieren ja als DOSB unsere Olympiamannschaft. Wir tun das aufgrund von Vorschlägen, die die jeweiligen Sportfachverbände, also in diesem Fall der Deutsche Ruderbund (DRV), uns machen. Ich habe davon erstmals am vergangenen Donnerstag (2.8.2012) erfahren." Der DRV behauptete seinerseits, nichts gewusst zu haben.

DOSB Generaldirektor Michael Vesper (Foto: AP)
DOSB-Generaldirektor Michael Vesper spricht von "Pannen"Bild: AP

Politische Kontroverse um Drygalla

Die Diskussion um die deutsche Ruderin beschäftigt mittlerweile auch die deutsche Politik. Am Wochenende hatte Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Bundessportausschusses, vorgeschlagen, den Fall Drygalla bei der nächsten Sitzung des Ausschusses auf die Agenda zu setzen. Grüne und Linkspartei begrüßten den Vorschlag. Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) kritisierte dagegen den Umgang der Öffentlichkeit mit der Sportlerin: "Wo sind eigentlich Grenzen? Steht es uns als Öffentlichkeit eigentlich wirklich zu, den Freundeskreis von Sportlerinnen und Sportlern zu screenen, zu gucken, was da los ist?“, fragte de Maizière.

Ein Radfahrer fährt an dem mit Grafitti besprühten Geschäft der rechten Szene in Rostock vorbei (Foto: dpa)
Ein Grafitti-besprühtes Geschäft der rechten Szene in RostockBild: picture-alliance/dpa

Bleibt fraglich, wie es beruflich für Nadja Drygalla weitergeht. Bis zum 31. August 2012 ist die Ruderin auf 400-Euro-Basis als Sportkoordinatorin beim Ruderverband des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern angestellt. Den Job hatte sie nach dem Ausscheiden aus dem Polizeidienst von Laufbahnberatern der Olympiastützpunkte vermittelt bekommen. Zum 1. September hat sie einen Antrag auf Eintritt als Soldatin in die Sportfördergruppe der Bundeswehr gestellt. Nach Angaben des Deutschen Ruderverbandes liegt der Antrag aber zur Zeit "auf Eis".