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Der Fall Gäfgen

18. März 2009

Ist der Kindsmörder Magnus Gäfgen zu Recht verurteilt worden? Darüber will nun der Europäischen Gerichtshof entscheiden. Der Vorwurf: Deutschland habe gegen das Folterverbot verstoßen.

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Ein Foto von Jakob von Metzler liegt am 2. Okt. 2002, umringt von Blumen und Kerzen, vor seinem Elternhaus in Frankfurt/Main. (Foto: AP)
Gedenken an Jakob von MetzlerBild: AP

Das Opfer: Jakob von Metzler, ein elfjähriger Junge aus wohlhabender Familie, fröhlich, aufgeweckt, beliebt bei seinen Mitschülern und Lehrern. Der Täter: Magnus Gäfgen, ein 27-jähriger Jura-Student kurz vor dem Examen. Ein junger Mann aus einfachen Verhältnissen, der sich in seiner katholischen Gemeinde rührend in der Kinder- und Jugendarbeit engagiert hat. Er galt als hilfsbereit und höflich.

Gegenüber seinen Freunden gab sich Gäfgen als wohlhabender Student aus, der vor einer großen Karriere als Anwalt stehe. Tatsächlich waren seine Leistungen eher durchschnittlich und er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Als das Geld zu Ende geht, drohte der gesellschaftliche Offenbarungseid. Deshalb beschloss Gäfgen Ende September 2002, den ihm bekannten Bankiersohn Jakob von Metzler zu entführen. Von den Eltern des Jungen forderte er eine Million Euro Lösegeld.

Drohung mit Schmerzen

Magnus Gäfgen im Juli 2003 während des Prozesses im Frankfurter Landgericht. (Foto: AP)
Lebenslang wegen Entführung und Kindsmord: Magnus GäfgenBild: AP

Nur drei Tage nach der Entführung konnte der Kidnapper geschnappt werden. Beim Abholen des Lösegeldes wurde er beobachtet und kurz darauf verhaftet. Was allerdings nur Gäfgen wusste: Jakob war zu dem Zeitpunkt schon tot. Er hatte den Jungen kurz nach der Entführung erstickt und war mit der Leiche im Kofferraum zum Haus der Familie Metzler gefahren, wo er den Erpresserbrief in die Einfahrt warf.

Die Ermittler gingen davon aus, dass der Junge noch lebt. Doch Gäfgen leugnete die Tat und beschuldigte Unbeteiligte, die dann zu Unrecht verhaftet wurden. Er nannte ein falsches Versteck, an dem ein Großaufgebot der Polizei den entführten Jungen vergeblich suchte. Details aus der Vernehmung werden allerdings erst später – kurz vor Prozessbeginn – bekannt und sorgen für einen Skandal. Aus Sorge um das Leben des Opfers ließ der damalige Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner für den Fall, dass er nicht verrate, wo das entführte Kind sei, Gewalt androhen. Gäfgen behauptet sogar, man habe ihm mit "Schmerzen, wie er sie noch nie erlebt habe", gedroht.

Ist Folter erlaubt?

Wolfgang Daschner (Foto: AP)
Verurteilt wegen Nötigung: Wolfgang DaschnerBild: AP

Darf ein Polizist in einer Ausnahmesituation zu solchen Verhörmethoden greifen? Eine Frage, die die ganze Republik beschäftigte. Während die meisten Juristen Daschners Verhalten als völlig inakzeptablen Rechtsbruch kritisierten, hatte die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung große Sympathie für den Polizeivizepräsidenten.

Wie auch immer sie genau formuliert war, die Drohung wirkte. Gäfgen nannte das Versteck, die Polizisten fanden die Leiche. Im Juli 2003 wurde Gäfgen wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, zudem stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil. Eine Verfassungsbeschwerde Gäfgens wegen des Verstoßes gegen das Folterverbot nahm das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an.

Beschwerde in Straßburg

Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (Foto: dpa)
Erste Beschwerde abgelehntBild: picture-alliance/ dpa

Anders der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg: Er nahm sich des Falles an. In seiner Beschwerde berief sich Gäfgen auf das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebene Folterverbot und das Recht auf ein faires Verfahren. In einer ersten Entscheidung im Juni 2008 wies die Erste Kammer des Gerichtshofs die Klage zunächst ab. Die Straßburger Richter stellten fest, dass Deutschland das erlittene Unrecht wieder gutgemacht hätte, unter anderem mit einem Prozess gegen den früheren Frankfurter Vize-Polizeipräsidenten. Daschner wurde im Dezember 2004 vom Frankfurter Landgericht der Anstiftung zur Nötigung schuldig gesprochen.

Gegen die Straßburger Entscheidung hatte Gäfgens Anwalt erfolgreich Berufung eingelegt. Seit Mittwoch (18.03.2009) beschäftigt sich die mit 17 Richtern besetzte Große Kammer des Gerichts erneut mit dem Fall. Die Entscheidungen der Kammer sind endgültig und für Deutschland bindend. Sollte die Bundesrepublik verurteilt werden, könnte das Strafverfahren gegen Gäfgen vor einem deutschen Gericht neu aufgerollt werden.

Autor: Manfred Böhm

Redaktion: Dirk Eckert