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Politischer Rassismus in Italien

Megan Williams / kj15. Juli 2013

Seitdem Cécile Kyenge Integrationsministerin ist, wird sie sexistisch und rassistisch beleidigt. Heftige Debatten sind um die gebürtige Kongolesin entbrannt. Das Thema Zuwanderung erreicht die breite Öffentlichkeit.

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Cécile Kyenge, Italiens Integrationsministerin (Foto: AP)
Bild: picture alliance/AP Photo

Cécile Kyenge ist seit April die erste schwarze Ministerin Italiens. Die 48 Jahre alte gelernte Augenärztin, die im Kongo aufwuchs, muss sich seitdem immer wieder Beleidigungen anhören. Politiker der rechtspopulistischen Lega Nord bezeichneten sie schon als "kongolesischer Affe".

Am Wochenende (13.07.2013) legte Senator Roberto Calderoli nach, der für seine rassistischen Parolen bekannt ist. Der stellvertretende Senatspräsident und führende Lega-Nord-Politiker sagte auf einer Parteiveranstaltung im norditalienischen Treviglio, Kyenge solle besser als Ministerin in ihrem "eigenen" Land arbeiten. Dann verglich Calderoli die Ministerin mit einem Orang-Utan: "Ich liebe Tiere - Bären und Wölfe, das ist bekannt - aber wenn ich Bilder von Kyenge sehe, dann muss ich einfach an die Gesichtszüge eines Orang-Utans denken, auch wenn ich nicht sage, dass sie einer ist."

Nicht hinnehmbare Äußerungen

Die italienische Nachrichtenagentur ANSA fragte nach, wie Calderoli das gemeint habe. Der Agentur gegenüber sprach er von einem unglücklichen Scherz, den er auf der Parteiveranstaltung gemacht habe. Italiens Regierungschef Enrico Letta stellte sich hinter Kyenge und sagte, solche Äußerungen könnten nicht hingenommen werden.

Roberto Calderoli von der Lega Nord (Foto: AP)
Roberto Calderoli ist für seine rassistischen Bemerkungen bekanntBild: AP

Kyenge selbst verlangte aber nicht den Rücktritt von Calderoli. Sie forderte alle Politiker dazu auf, über ihre Kommunikation nachzudenken. Die Zeitung "Corriere Della Sera" zitiert sie mit den Worten, es gebe einen Punkt, an dem man "Stopp" sagen müsse. Wenn ein ranghoher Politiker eine solche Aussage mache, habe sie direkt das doppelte oder dreifache Gewicht. Die ausländische Presse werde dann darüber berichten und Italien schlecht dastehen lassen.

Aufruf zur Vergewaltigung

Im Juni war ein Facebook-Eintrag der Lega-Nord-Lokalpolitikerin Dolores Valandro aus Padua sogar noch weiter gegangen. Valandro fragte: "Warum vergewaltigt niemand Kyenge, damit sie versteht, was Opfer eines so grausamen Verbrechens fühlen?" Die Lega-Nord-Frau hatte den Text veröffentlicht um zu kommentieren, dass Zuwanderer für die meisten gewalttätigen Übergriffe auf Frauen verantwortlich sein sollen. Dieser Kommentar wurde sogar von Lega-Nord-Mitgliedern verurteilt, sie forderten Valandro zum Rücktritt auf. Der Kommentar stieß in Italien schnell auf breite Ablehnung.

Céline Kyenge lebt seit 30 Jahren im Land und hat dort auch ihre Augenarzt-Ausbildung durchlaufen. Sie betont, dass sie keine Angst habe. "Die Beleidigungen und Bedrohungen gegen mich finden statt, weil ich jetzt in einer sichtbaren Position bin", sagte sie bei einer Pressekonferenz in Rom. "Aber es sind Bedrohungen gegen jeden, der sich gegen Rassismus und Gewalt wehrt."

Finger tippen auf Computertastatur (Foto: dpa)
Der Computer als Tatwaffe: Facebook-Angriff auf Cécile Kyenge.Bild: picture-alliance/dpa

Politisch steht Cécile Kyenge für Wandel: Sie will ein Gesetz erlassen, das in Italien geborenen Kindern illegaler Einwanderer erleichtern soll, die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Diese Politik hat einige Italiener erzürnt und zu Einwanderungsgegnern gemacht.

Alltäglicher Rassismus

Rassistische und sexistische öffentliche Äußerungen sind in Italien aber nicht erst seit dem Fall Kyenge bekannt. Schon seit Jahren werden solche Diffamierungen stillschweigend toleriert, ganz besonders in Fußball-Stadien. Dort werden Stars wie Mario Balotelli - Nationalspieler in Diensten des AC Mailand - mit rassistischen Gesängen beleidigt.

Rechtsradikale im Fußballstadion (Foto: dpa)
Rechtsradikale während eines Fußballspiels in Italien. Hier in Rom wird der Faschistengruß gezeigt.Bild: imago

Viele Italiener sehen dabei offenbar weg und haben das als "Teil des Spiels" akzeptiert. Vor einigen Wochen drohte Balotelli damit, das Spielfeld zu verlassen, sollten die rassistischen Beleidigungen nicht aufhören. Andere Spieler und Teams hatten das in der Vergangenheit schon in die Tat umgesetzt.

Noch nicht auf Zuwanderung eingestellt

Andere europäische Länder haben eine jahrzehntelange Erfahrung im Bereich Integration, für Italien ist es eine relativ neue Herausforderung. 1990 gab es dort rund zwei Prozent Zuwanderer, mittlerweile sind es 7,5 Prozent.

Die Integrationsministerin ist aber vorsichtig wenn es darum geht, ob Italien ein rassistisches Land ist oder nicht. In Rom erklärte Kyenge kürzlich, dass dies eine schwierige Frage sei. "Es ist ein Land, das mehr über Migration erfahren muss und über den Wert von Vielfalt. Was hier wohl am meisten fehlt, ist eine Kultur der Zuwanderung." Erst, wenn Italien all das aufgearbeitet habe, könne man wirklich ein Urteil fällen.

Zeichen der Hoffnung

Cécile Kyenge könnte dabei selbst ein entscheidender Faktor sein. Sie stammt aus Afrika und gibt den an den Rand gedrängten Zuwanderern eine Stimme. Der politische Berichterstatter James Walston glaubt, dass sich Italien schon jetzt langsam wandelt. "Die gute Seite der sprachlichen Ausfälle in den vergangenen Wochen ist, dass andere, die sich genauso verletzt fühlen wie Cécile Kyenge, das auch sagen und sie unterstützen", meint der Experte der Amerikanischen Universität in Rom.

Cécile Kyenge (Foto: Reuters)
Kann Cécile Kyenge geistigen Wandel bewirken?Bild: Reuters

Mit der wachsenden Zahl der Zuwanderer sei Italien gezwungen, gegen seinen lange tolerierten alltäglichen Rassismus vorzugehen, so Walston. Mittlerweile gebe es immerhin schon drei weitere Parlamentsmitglieder, die nicht in Italien geboren wurden. Der erst kürzlich gewählte Bürgermeister der norditalienischen Stadt Vicenza, sonst Hochburg der Lega Nord, sei ebenfalls ein Zuwanderer. Er habe sich dort gegen seinen offen rassistischen Vorgänger durchgesetzt.

Viele Italiener lassen sich von rechter Propaganda mittlerweile offenbar nicht mehr so leicht beeindrucken. Vor einigen Wochen tötete ein afrikanischer Flüchtling in Mailand mehrere Italiener mit einer Axt. Er litt unter einem psychotischen Schub. Kurz darauf kam die Lega Nord in die betroffene Nachbarschaft, um Mitglieder zu werben. Doch die Anwohner scheuchten sie wieder weg. Sie waren wütend, weil die Rechtspopulisten den tragischen Vorfall nutzen wollten, um Hass gegen Zuwanderer zu schüren.