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Chima im Interview: "Deutschland, Ihr seid die Krassesten!"

Linda Bethke26. Januar 2016

Der Pop-Sänger Chima hat deutsch-nigerianische Wurzeln. Es sei manchmal schwer, sich bei jemandem zuhause zu fühlen, der sich bei sich selbst nicht zuhause fühle, sagt er im DW-Interview über sein Leben in Deutschland.

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Der Frankfurter Sänger Chima, Universal Music
Bild: Universal Music

Deutsche Welle: Du hast in einem Interview gesagt, Musik sei für Dich ein Sprachrohr. Was ist deine Botschaft, was ist Dein Anliegen?

Chima: Ich versuche tatsächlich, nachvollziehbare, empathische Popmusik zu machen, die sich mit Liebe, Nähe und Kraft beschäftigt. Man muss damit etwas anfangen können dort draußen, das wäre mein Ansatz. Und das ist tatsächlich, ohne dass ich das immer fokussiert hatte, der rote Faden von meinem Werk bisher.

Es gibt ja mehrere Songs, auch aus Deinen Anfängen beim Rap-Kollektiv Brothers Keepers, in denen es eine klare Message gab. War es am Anfang Deiner Karriere wichtiger zu sagen: "Ich bin gegen rechts"? Deine Songs von heute sind ja oft Liebeslieder, also eine ganz andere Nummer.

In meiner Karriere gab es verschiedene Phasen. Brothers Keepers war ja nicht der Anfang, das war tatsächlich die Mitte meiner Karriere von heute aus betrachtet. Damals war ich Mitte 20. Der Anlass für den Song war eine ganz konkrete Situation, als wir alle beobachten mussten, wie jemand seines Lebens beraubt wurde. Verantwortlich waren Menschen mit einer menschenverachtenden Lebenseinstellung. [Am 10. Juni 2000 kam der Afrodeutsche Alberto Adriano durch einen Prügel-Attacke von Rechtsextremen ums Leben, Anmerkung der Redaktion]. Und weil man sich selbst angesprochen fühlte, war es einfach an der Zeit, das mit dem Song zum Ausdruck zu bringen - und das nicht nur im geschlossenen Zirkel.

Frankfurter Sänger Chima
Bild: Linda Bethke

Du sagst, dass Du Deinen Eltern ziemlich ähnlich bist. Die sind 1966 nach Deutschland gekommen. Aber Du bist in Deutschland groß geworden, also ganz anders aufgewachsen, oder?

Radikal anders. Meine Eltern sind in Nigeria großgeworden, allein das sorgt schon für völlig andere Grundvoraussetzungen. Als ich das erste Mal vor dem Fußballplatz im Dorf meines Vaters stand – wenn man das mit einer deutschen Brille betrachtet einen Fußballplatz nennen will – habe ich mich gefragt: Wie kam der Mann von diesem Ort aus auf die Idee, nach Deutschland zu emigrieren, um dort Bauingenieurwesen zu studieren? Das war einfach mitten im Dschungel! Für mich war diese Reise wichtig, um zu verstehen, woher meine Eltern kommen. Von Deutschland aus habe ich das nie begriffen. Ich bin das erste Mal erst mit 16 nach Nigeria gereist. Aber das ändert nichts daran, dass die Wertpfeiler meiner Eltern im Leben die gleichen sind wie meine: Familie, Bildung und vielleicht die Fähigkeit, seine Bedürfnisse richtig auszudrücken zu können.

Frankfurter Sänger Chima
Chima und seine Mutter bei den Dreharbeiten für die PopXport-Sendereihe "Grenzenlos Pop"Bild: Linda Bethke

Warum sind deine Eltern nach Deutschland gekommen?

Mein Vater wollte damals - wie in den 60 Jahren üblich - seiner akademischen Laufbahn die Krone aufsetzen mit einem akademischen Titel aus Europa. Normal wäre gewesen, dass mein Vater nach England oder in ein anderes englischsprachiges Land geht, um zu studieren. Aber mein Vater ist ein Hitzkopf, er macht gerne sein eigenes Ding. Seine Argumente für Deutschland waren zum einen, dass er nicht im Land der Kolonialherren studieren, und zum anderen, dass er kostenlos studieren wollte. Dann hat er hier angefangen und meine Mutter ist nachgekommen. Wir sind keine bewussten Migranten gewesen, sondern es war eine Entwicklung, die sich ergeben hat. Für die Ethnie der Ibos, der wir angehören, war die Situation in Nigeria dann lange Zeit sehr schwierig. Es war einfach keine Option, seine Kinder aus dem Paradies Deutschland wieder in diese unstete Situation zurück zu schicken.

Dir ist unglaublich wichtig, richtig gutes Deutsch zu sprechen, am Besten noch besser als die "Deutsch-Deutschen", wie Du sagst. Warum?

Weil ich so erzogen wurde. Für meinen Vater musste ich in allem mindestens doppelt so gut sein wie die Deutschen. Sein Argument: "Wenn Du aus der Schule kommst und bist nur genauso gut wie Deine Freunde und Du stehst vor einem deutschen Arbeitgeber und Du hast den gleich guten Abschluss wie Dein deutscher Kommilitone… Wem, glaubst du, wird er den Job geben? […] Also gib ihm gefälligst Argumente an die Hand, warum er Dich einstellt." Das ist eine radikale Betrachtung der Situation, aber eine absolut zutreffende.

Chima Pressefotos 2012
Seinen bisher größten Hit hatte Chima im Jahr 2012 mit dem Song "Morgen".Bild: Universal/Yves Borgwardt

Fühlst du dich heute eher deutsch oder afrikanisch?

Das ist wie so ein Pendel, das sich bewegt. Die Tendenz ist auf jeden Fall mehr zu Deutsch hin. Ich bin hier geboren. Ich war hier im Kindergarten. Ich war hier in der Schule, an der Universität. Ich hab hier alle meine Freunde. Ich denke auf Deutsch, ich träume auf Deutsch, ich bin schon deutsch. Aber ich bin auch das Andere. Wenn man mir diese Frage stellt - und man stellt sie mir ziemlich häufig - dann führe ich ins Feld, dass Deutschland nicht England ist oder Frankreich, also kein klassisches Einwanderungsland. Es gibt keine Selbstverständlichkeit einer deutschen Identität. Es ist schwierig, sich bei jemandem zuhause zu fühlen, der sich bei sich selbst nicht zuhause fühlt. Deswegen fahre ich damit ganz gut, gut Deutsch zu sprechen, die Kultur zu kennen, die Geschichte so halbwegs zu kennen, und mich, was meine Identität anbetrifft, trotzdem nicht festzulegen.

Hast Du Erfahrungen mit Rassismus gemacht?

Ich finde den Begriff ein bisschen sehr inflationär. Nicht alles, was Dir an schlechten Erfahrungen begegnet, ist gleich Rassismus. Mit solchen Aktionen und mit solchen Reaktionen kann ich am besten arbeiten. Also, wenn jemand offensichtlich einen eingeschränkten Horizont hat und der Meinung ist, dass er mich jetzt anschreien oder mich körperlich angehen muss. Damit kann ich umgehen. Was ich viel schlimmer finde, ist, wenn ich mich zum Beispiel in einem Sorgerechtsstreit mit dem Jugendamt herumschlagen muss. Und wenn allein die Tatsache, dass ich mit dem Kind nach Nigeria fahren will, ein Problem ist. Das heißt, wenn man mich fragt, was ich da will. Das sind so Situationen, wo ich zwei Mal darüber nachdenken muss, um festzustellen, wie hart rassistisch das ist.

Frankfurter Sänger Chima
Begonnen hat Chima als Rapper. Heute macht er deutschen Pop.Bild: Universal Music

Haben deine afrikanischen Wurzeln Einfluss auf deine Musik?

Ich bin natürlich geprägt von der Musik, die ich in den ersten Jahren meines Lebens gehört habe. Und das war auch ganz viel afrikanische Folklore, weil mein Vater das hörte. Mein Vater hat tatsächlich auch ganz viel deutsche Volksmusik und Schlager gehört. Ich lass mir immer wieder sagen, dass meine Phrasierung anscheinend nicht typisch deutsch ist. Ich glaube, das macht Sinn. Ich sehe mich ja nicht von außen, insofern kann ich das nicht beurteilen. Aber ich bin durch eine andere Schule gegangen als ein typischer deutscher Rock-Pop-Sänger.

Welches Ereignis in Deutschland hat Dich in letzter Zeit bewegt?

Ich gehöre zu den wenigen, die alles, was hier gerade in Deutschland passiert, mit großem positiven Erstaunen wahrnehmen, denn ich bin ein sehr rational denkender Mensch und 800.000 Flüchtlinge aufzunehmen in einem Jahr! Selbst wenn ich natürlich weiß, dass ein Großteil von denen mit ziemlich restriktiven Methoden wieder zurück geschickt wird, sobald die Situation so halbwegs befriedet ist, ist es trotzdem ein unglaublicher Kraftakt und macht mich, also die deutsche Seite in mir, tatsächlich ein stückweit stolz. Wobei ich mich jeden Tag immer wieder frage: Was genau ist die Idee von Angela Merkel? Ich nehme Ängste bei großen Teilen der Bevölkerung wahr. Ich nehme diese Ängste nicht nur wahr, sondern ernst. Nichtsdestotrotz ist es ein Kraftakt sondergleichen. Aber selbst, wenn das nur ein PR-Stunt sein sollte, kann ich jetzt erst mal nur sagen: "Chapeau, Deutschland, Ihr seid die Krassesten, zumindest in der Ersten Welt!“

Das Interview führte Linda Bethke.