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"Der Friedensvertrag mit Israel bleibt bestehen"

12. September 2011

Die israelische Regierung unter Netanjahu befindet sich seit der Stürmung der Botschaft in Kairo verstärkt unter Druck. Sie habe es versäumt konstruktiv auf die Ägypter zuzugehen, meint Nahost-Experte Volker Perthes.

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Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD.DE: In Kairo stürmten wütende Demonstranten die israelische Botschaft. War die Eskalation zwischen Ägypten und Israel im Zuge des arabischen Frühlings zu erwarten?

Volker Perthes: Es war zu erwarten, dass die Frage der Beziehungen zu Israel in der ägyptischen Gesellschaft und in politischen Kreisen sehr viel breiter diskutiert wird. Und, dass die Regierung, die ja nicht gewählt ist, nach der Revolution sehr viel mehr darauf hören wird, was auf der Straße geschieht. So viel war zu erwarten. Nicht zu erwarten waren konkrete Ereignisse, wie der Sturm auf die israelische Botschaft. Dies hat weniger mit einem neuen Zorn der Ägypter auf die Israelis zu tun. Den hat es sicher immer schon gegeben, auch wenn er durch die Tötung der sechs ägyptischen Grenzbeamten verstärkt worden ist. Aber es hat viel damit zu tun, dass die ägyptischen Sicherheitskräfte nach der Revolution verunsichert sind.

Die Sicherheitskräfte haben erst ziemlich spät auf die Stürmung der israelischen Botschaft reagiert. Hat die Militärregierung Ägyptens ein Interesse daran, die Situation so weit eskalieren zu lassen?

Nein, absolut nicht. Die Militärregierung ist sehr peinlich berührt von dem was geschehen ist. Sie ist sicherlich auch sehr peinlich berührt davon, dass die ägyptischen Kommandos erst so spät eingegriffen haben. Und auch, dass die Polizei, die eigentlich die Botschaft schützt, offensichtlich die Lage völlig falsch eingeschätzt hat und Stunden gewartet hat, bis sie überhaupt versucht hat, etwas zu unternehmen.

Waren die sechs ägyptischen Soldaten, die durch die israelische Armee zu Tode kamen, nur der äußere Anlass für die Attacken auf die israelische Botschaft in Kairo?

Für eine Reihe von Ägyptern war die Tötung der sechs Grenzbeamten sicherlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Aber es gibt einen tief sitzenden Zorn in Ägypten über die israelische Regierung: Die schlechte Behandlung der Palästinenser, der fortgesetzte Siedlungsbau, die Blockade des Gaza-Streifens. Das ist alles nichts was an den Ägyptern vorbeigeht. Nicht, dass man in Ägypten Lust hätte, selber Palästina zu befreien oder gar einen Krieg gegen Israel zu führen. Aber es gibt Forderungen innerhalb der ägyptischen Gesellschaft den Friedensvertrag mit Israel kritisch zu überprüfen.

Glauben Sie denn, dass eine neue Regierung in Kairo den Friedensvertrag mit Israel aufkündigen würde?

Ich bin sicher, dass jede Regierung den Friedensvertrag aufrecht erhalten würde. Ägypten weiß, dass es ein Interesse daran hat ihn aufrecht zu erhalten. Der Friedensvertrag ist ein wichtiges Element regionaler Stabilität und sorgt für die Stabilität der ägyptischen Grenzen. Das will man aufrecht erhalten. Niemand will zurück zu Krieg oder zu Spannungen in einem Verhältnis, das nicht durch einen Vertrag geregelt ist. Was eine neue Regierung sicherlich überprüfen wird, sind bestimmte wirtschaftliche Abkommen, die zwischen Ägypten und Israel geschlossen wurden, etwa bei den Gaslieferungen Ägyptens nach Israel.

Demonstranten auf dem Gebäude der israelischen Botschaft in Kairo (Foto: AP)
Wütende Demonstranten stürmten die israelische Botschaft in KairoBild: dapd

Aber der Status Quo im Nahost-Konflikt ist doch seit dem arabischen Frühling so erst recht nicht mehr haltbar…

Wir sehen ja, dass er nicht stabil ist. Der Status Quo ist langfristig natürlich keine Lösung und man braucht Bewegung – gerade auch im Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern. Wir sehen ja auch, dass verschiedene Kräfte in verschiedener Weise versuchen, etwas in Bewegung zu setzen. Die palästinensische Regierung auf diplomatische Art und Weise, indem sie sagt, lass uns das Ganze in die Vereinten Nationen bringen und dort über palästinensische Staatlichkeit abstimmen. Einzelne Kräfte, insbesondere im Gaza-Streifen versuchen es, indem sie die Situation militärisch eskalieren lassen. Die Türkei versucht Druck auszuüben, in sehr undiplomatischer Weise, wenn sie so wollen. Dazu gehört die Ankündigung eine weitere Hilfsflotte für Gaza von Kriegsschiffen begleiten zu lassen. Ich denke allerdings, da wird man am Ende sagen, das sei eine missverständliche Ankündigung gewesen. Alle versuchen also, die Dinge irgendwie in Bewegung zu setzen, aber es gibt sehr wenige Bemühungen konstruktiv zusammen zu sitzen. Zurzeit sind die Konflikte, insbesondere die ungelösten territorialen Konflikte zwischen Israel und den Palästinensern so groß, dass sie offensichtlich ein konstruktives Umgehen aller Parteien miteinander verhindern. Dann kommen da noch die bilateralen Beziehungen zwischen den einzelnen Ländern hinzu. Seit 2008 erleben wir zwischen der Türkei und Israel einen Niedergang der Beziehungen.

Die Palästinenser wollen noch im September die Aufnahme in die UNO und damit auch die Akzeptanz eines eigenen Staates erreichen. Was glauben Sie, welche Auswirkungen wird dieses Vorhaben auf die Rolle Israels in der Region haben?

Mahmud Abbas und Benjamin Netanjahu (r.) (Foto: AP)
Die Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern stehen derzeit stillBild: ap

Es hat die israelische Regierung in große Unruhe versetzt. Es ist sehr schwer der internationalen Gemeinschaft zu erklären, dass ein diplomatisches Vorgehen der Palästinenser eine Bedrohung für Israel sein soll. Israel steht hier auf ziemlich verlorenem Posten und hat, wie häufig in solchen Situationen, überreagiert, indem die israelische Regierung so tut als sei die Anerkennung eines palästinensischen Staates eine Bedrohung oder eine Katastrophe für Israel. Gleichzeitig ist es so, dass die derzeitige israelische Regierung unruhig und auch in Sorge ist, dass sich das geopolitische Umfeld Israels verändert, dass man die Dinge nicht mehr unter Kontrolle hat, dass man Partner und Gegner verliert und man sich jetzt umorientieren muss. Man hat es nicht geschafft, das zu tun was etwa der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak gefordert hat: Relativ konstruktiv auf die neue Regierung in Kairo und auch die Bevölkerung zuzugehen. Und dann zu sagen: Wir begrüßen es nach all den Jahren der Stagnation, dass ihr es geschafft habt, Bewegung in eure innenpolitischen Verhältnisse zu bringen. Und wir wollen mit euch Frieden haben, und nicht nur mit einer autokratischen Regierung.

Trägt die israelische Regierung aus Ihrer Sicht eine Mitverantwortung?

Zu einem solchen Niedergang der Beziehungen an verschiedenen Fronten gehören natürlich auch verschiedene Beteiligte, aber sicherlich trägt die israelische Regierung hier einen ganz großen Teil der Verantwortung. Das ist auch das, was israelische Kommentatoren jeden Tag immer wieder sagen. Man hat es nicht geschafft einen konstruktiven Ansatz mit Ägypten zu finden, man hat nicht mit den Palästinensern dort weiter am Frieden gearbeitet, wo die Verhandlungen abgebrochen wurden, stattdessen hat man auf Siedlungsbau gesetzt. Das ist kein Vorgehen, das zukunftsträchtig ist.

Drohen Israel und die USA weitere Sympathien in der Welt und auch in der Region zu verspielen, wenn die USA bei dem Vorhaben der Palästinenser vor der UNO ihr Veto einlegen?

Ich glaube, die Gefahr ist für die USA tatsächlich größer. Das ist gar nicht zynisch gemeint, wenn ich sage, dass Israel sowieso wenige Sympathien zu verspielen hat bei denjenigen, die in der UNO-Vollversammlung eine palästinensische Staatlichkeit anerkennen. Ein großer Teil derer, die einem palästinensischen Antrag zustimmen werden, sind ohnehin nicht unbedingt die Freunde Israel. Und in der Region hat Israel nicht viele Freunde zu verlieren. Also die Gefahr ist nicht, dass Israel Freunde verliert, sondern, dass es die Chance vermeidet, neue Freunde zu gewinnen. Was die USA angeht, da haben Sie durchaus recht. US-Präsident Obama hatte eigentlich sehr viel Sympathien gewonnen beginnend bei seiner Kairo-Rede, als er versprach, dass der israelisch-palästinensische Konflikt zu seinen Prioritäten gehören würde. Sein Abzug aus dem Irak, all dieses. Aber er hat viele dieser Sympathien verloren, weil viele sich fragen, was ist denn daraus geworden, hat Obama aufgegeben?

Die USA kommen in dem Konflikt auch nicht weiter. Welche Aufgabe haben denn die Europäer in so einer Situation jetzt?

Die Europäer müssen eine gemeinsame Position finden für die anstehende Abstimmung in der UNO-Vollversammlung. Die Europäer sind gleichzeitig auch diejenigen, die dafür sorgen, dass Israel nicht international isoliert ist. Ich glaube, dass ist auch wichtig, dass Israel weiß, dass es in Europa Gesprächspartner hat. Und das gibt den Europäern gleichzeitig die Chance der israelischen Regierung zu sagen, ihr befindet euch auf einem falschen Weg. Ihr riskiert euch weiter zu isolieren und stellt euch doch mal selbst die Frage: Wo wollt ihr denn sein mit euren Nachbarn in zehn Jahren? Macht es Sinn, dass weiter Siedlungen gebaut werden, wo doch auch die israelische Regierung zugestimmt hat, dass es eine Zwei-Staaten-Lösung geben soll, wo ein souveränes Palästina neben Israel lebt.

Volker Perthes ist Politikwissenschaftler und Nahost-Experte. Seit 2005 ist er der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Das Gespräch führte Diana Hodali
Redaktion: Daniel Scheschkewitz