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Der Geist von Lindau

Gianna Grün23. Juli 2013

Welche Kriterien sind wichtig, damit der "Spirit von Lindau" entsteht? Nadine Gärber und Rainer Blatt erzählen, wie sie aus über tausend Bewerbungen die "richtigen" Wissenschaftler auswählen.

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03.07.2013 DW Nobelpreisträgertreffen 2013, Projekt Zukunft, Lindau, 63rd Nobel Laureate Meeting Nadine Gärber, Rainer Blatt
Bild: DW/Gianna Grün

Empfehlungsschreiben, Lebenslauf, Publikationsliste, außeruniversitäre Aktivitäten, Motivationsschreiben - die Anforderungen an die jungen Wissenschaftler, die am Nobelpreisträgertreffen teilnehmen wollen, sind hoch. Werden sie als Kandidaten von ihren Universitäten ausgewählt, landen ihre Bewerbungen irgendwann auf den Schreibtischen von Nadine Gärber und Rainer Blatt. Aus den über 1100 Vorschlägen in diesem Jahr haben sie 650 ausgewählt.

Deutsche Welle: Die Tagung steht unter dem Motto "Educate, inspire, connect" - wie entscheiden Sie, ob jemand dazu passt?

Rainer Blatt: Es müssen Leute sein, die Interesse zeigen. Nicht jemand, der hier eine Woche bezahlten Urlaub nimmt und sich bei den Diskussionen zurücklehnt wie bei einem Kinofilm. Das kann es nicht sein. Wir wollen, dass die Leute mitarbeiten, Fragen stellen, hinausgehen und ihr Wissen und ihre Begeisterung für Wissenschaft weitergeben.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Kandidaten aus? Woran erkennen Sie "die richtigen"?

Blatt: Es gibt welche, die kann man sofort aussortieren, und welche, von denen man weiß, dass man sie unbedingt nehmen will. Dieses Jahr hatten wir sehr viele gute Bewerbungen, es waren kaum welche dabei, die wir gleich beiseite gelegt haben. Aber dazwischen ist ein breites Mittelfeld, bei dem man hin und her überlegen muss.

Welche Kandidaten würden Sie beispielsweise nehmen wollen?

Sagen wir: Jemand ist 25 und arbeitet an einer Doktorarbeit - da würde ich sagen, das ist ganz schön früh, da ist jemand wirklich engagiert. Dann sehe ich: Der hat schon zwei Publikationen, sogar eine als Erstautor in einem hochrangigen Fachmagazin. Dann schauen wir auf die Empfehlungsschreiben: Der Kandidat gehört zu den Besten seines Jahrganges, hat zusätzlich außeruniversitäre Aktivitäten und Preise gewonnen. So ergibt sich dann ein sehr positives Bild.

Und welche Bewerbung würde Sie weniger ansprechen?

Zum Beispiel die Bewerbung eines Mannes, 29 Jahre, hat gerade erst mit der Doktorarbeit angefangen - ohne einen längeren Militärdienst absolviert zu haben. Auch Publikationen hat er noch keine. Da kratze ich mich dann schon am Kopf und frage mich: Was ist der Grund? Dann ist da zwar ein langes Empfehlungsschreiben, das gut klingt, aber wenn man zwischen den Zeilen liest, dann ist er ein guter Student, aber eigentlich nichts Besonderes. Dann sage ich eher nein.

Welche Rolle spielt die Nationalität?

Wir wollen, dass junge Wissenschaftler aus möglichst vielen Ländern hierher kommen. Dieses Jahr sind es 78, das ist Rekord. Aber man muss natürlich auswählen: Da kommt ein hervorragender Vorschlag aus den USA - aber es ist der sechzigste. Oder der fünfzigste aus Deutschland. Auf der anderen Seite haben wir noch niemanden aus Sambia oder Kenia, niemanden aus Chile. Dann kann es vorkommen, dass ich lieber einen Kandidaten aus einem Dritte-Welt-Land vorziehe, auch wenn er oder sie noch keine Publikationen hat.

Müssen sich die Nobelpreisträger auch bewerben?

Nein, sie können immer kommen. Und auch reden, worüber sie wollen. Es ist eine bunte Vielfalt. Klar geht es um die wissenschaftlichen Interessen, aber zum Beispiel auch darum, welche Hobbys jemand hat. Im letzten Jahr hatten wir beispielsweise Peter Grünberg mit seiner Musik. Wissenschaft muss erlebbar sein an Personen - und wenn die nicht begeistern können, kann man Wissenschaft nicht vermitteln.

Wie merken Sie, dass diese Inspiration bei den jungen Wissenschaftlern auch ankommt?

Nadine Gärber: Man merkt vor allem am letzten Tag, wie begeistert die jungen Menschen über die vielen Kontakte sind, die sie hier geknüpft haben. Die leben hier eine Woche lang wie in einer Seifenblase: stecken ihre Köpfe zusammen, gründen Arbeitsgruppen, freunden sich an, netzwerken - und tun sich richtig schwer, sich wieder zu verabschieden.

Dann gründen sie zum Beispiel Gruppen auf Facebook, zahlreiche jedes Jahr - und die sind richtig aktiv. Wenn ich dann eine Woche vor der nächsten Tagung ein Foto in Facebook reinstelle, melden sich oft die ehemaligen Teilnehmer: "Ach, wie schön war das - ich würde so gern wieder - ich werd das nie vergessen." Die Begeisterung hält wirklich an - und das ist toll.

Was hat sich über die Jahre verändert?

Das wissenschaftliche Niveau ist sehr gestiegen, das sagen uns auch die Nobelpreisträger. Die Auswahl wird von Jahr zu Jahr härter. Das ist sicher kein Vergleich mehr zu früher.

Was aber gleich geblieben ist, ist die Atmosphäre: Wenn die Kandidaten hier ankommen, sind sie erst einmal überrascht - denn Lindau wirkt ja auf den ersten Blick nicht unbedingt wie eine Stadt, die einen internationalen Kongress ausrichtet. Am Ende kommt uns das aber entgegen, weil es diese familiäre Atmosphäre schafft Außerdem sind die Nobelpreisträger immer präsent. Sie haben abends keinen separaten Tisch, sondern sitzen mitten unter den jungen Teilnehmern. Sie sind ständig ansprechbar - sowohl für private als auch für wissenschaftliche Gespräche.

Rainer Blatt: Zu meiner Zeit haben wir uns damals viel weniger getraut, Fragen an die Nobelpreisträger zu stellen. Als ich damals Teilnehmer war, bin ich mal auch von einem der honorigen Nobelpreisträger mehr oder weniger abgebügelt worden. Das würde heute nicht mehr passieren - nie. Und genau das ist der Spirit von Lindau.