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Der goldene Abgang

17. August 2016

Es scheint logisch: Bronze in Peking, Silber in London, nun Gold in Rio. Der deutsche Vorturner Fabian Hambüchen verlässt die Bühne als Olympiasieger - auch weil er nicht alles riskierte. Aus Rio Joscha Weber.

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Rio Momente 16 08 Reckturnen Fabian Hambuchen (Foto: Reuters/M. Blake)
Bild: Reuters/M. Blake

Er nimmt sich Zeit, taucht die Hände immer wieder tief in den Magnesium-Behälter. Er klopft die Hände zusammen, verteilt so den weißen Staub, der ihm Halt geben soll. Und dann geht er als erster Turner dieses Finales zur Stange. Ein letztes Mal. Sein Vater und Trainer Wolfgang Hambüchen erwartet ihn dort bereits und sagt seinem Sohn, er soll "einfach nur spielen, wie im Training auch. Einfach Gefühl mit der Stange aufnehmen." Und dann hebt er seinen Sohn hoch ans Reck. Jetzt ist es ganz an ihm.

Fabian Hambüchen schwingt sich hoch, dreht sich um das Reck in ruhigen, sicheren Kreisen. Wird die lädierte Schulter halten? Sie wird. Auch weil er auf zu großes Risiko verzichtet, obwohl die Konkurrenz genau das eingeht. "Es war schon immer unser Motto, dass ich nur das turne, was wir vorbereitet haben. Nur das, was safe ist", wird Hambüchen später sagen. Er finde das Turnen heute "teilweise zu riskant. Die Entwicklung ist so nicht ganz in Ordnung." Und er sollte mit seinem konservativen Ansatz goldrichtig liegen.

Der Absturz des Topfavoriten

Der 28-jährige Routinier zeigt eine starke und vor allem sichere Übung. Der Schwierigkeitsgrad beträgt wie in den Vorwettkämpfen 7,3 Punkte. "Mental stabiler denn je", turnt Hambüchen und hat seine Nerven dieses Mal voll im Griff. Dann der Abgang: Er dreht sich blitzschnell, segelt durch die Luft und landet - mit einem minimalen Ausgleichsschritt. Er streckt die Fäuste gen Hallendach und jubelt. Hambüchen weiß, dass er eine hohe Punktzahl erhalten wird: 15.766 zeigt die Anzeigetafel. Aber was ist diese Zahl wert?

Rio Momente 16 08 Reckturnen Fabian Hambuchen (Foto: Reuters)
Der letzte große Wettkampf ist ein nahezu perfekter: Fabian Hambüchen turnt stark, aber vor allem sicher und gewinnt.Bild: Reuters/R. Sprich

Das wird gleich schon der nächste Turner beantworten: Epke Zonderland, Olympiasieger 2012, damals vor Hambüchen. Gleich bei seinem ersten schweren Element greift er daneben, findet keinen Halt und knallt flach auf die Matte. Dort bleibt er sekundenlang liegen, vor Schreck und vor Enttäuschung. Ohne diesen Patzer hätte er wohl Gold geholt, doch so ist der Topfavorit aus dem Medaillenrennen.

Lange muss Hambüchen zittern

Wesentlich sicherer ist der Auftritt des Briten Nile Wilson, der aber mit 15.466 Punkten klar hinter Hambüchen bleibt. Und dann wird es laut: Francisco Junior Barretto schreitet zum Reck. Er ist der Publikumsliebling, natürlich, er ist Brasilianer. Er lässt sich den großen Erwartungsdruck seiner Landsleute nicht anmerken, turnt sauber, zeigt aber im Abgang einen Wackler. Er jubelt und die Halle feiert ihn, als habe Barretto gewonnen. Doch er erhält nur 15.208 Punkte, einen Raunen geht durch die Ränge, die brasilianischen Fans haben sich mehr erhofft.

Da auch der Kubaner Manrique Laduet weit hinter Hambüchen zurück bleibt, kann nur noch einer Hambüchen schlagen: Danell Leyva. Der US-Amerikaner zeigt eine starke Übung, verlässt das Reck aber ebenfalls mit einem Wackler. Und Hambüchen scheint schon zu ahnen, was das bedeutet. Er geht nervös auf und ab, jubelt schon zaghaft, greift sich immer wieder an den Kopf, rauft sich aufgeregt die Haare. Nach einer gefühlten Ewigkeit des Wartens kommt endlich die Wertung für Leyva: 15.500, Rang zwei, und damit Gold für Hambüchen. Endlich ist der deutsche Vorzeigeturner Olympiasieger. Nach Bronze in Peking und Silber in London hat es Hambüchen geschafft. Er ballt die Faust und schreit: "Ja!" "Ja!" "Ja!" - die Freude muss raus. Dann fällt er seinem Vater jubelnd in die Arme. Das Erfolgsduo hat geliefert.

Der Kindheitstraum wird im letzten großen Wettkampf wahr

"Ich habe von klein auf von Olympia-Gold geträumt. Es hätte auch ein Traum bleiben können, aber so hat es jetzt einen runden Abschluss gefunden", versucht Hambüchen einige Minuten später seine Gefühle in Worte zu kleiden. Er hat ihn sich erfüllt, seinen großen Traum - und das im letzten großen Wettkampf. Es ist die fast schon logische Klammer für eine einzigartige Karriere, die schon im Kindergartenalter beginnt. Der kleine Fabian folgt seinem vier Jahre älteren Bruder Christian auf Schritt und Tritt. Und das bedeutet meist: in die Turnhalle. Der Vater ist Turn-Trainer und nimmt seinen Sohn in die Trainingsgruppe der TSG Niedergirmes auf, wo er noch heute Mitglied ist. Bereits mit elf Jahren gewinnt Fabian Hambüchen seinen ersten internationalen Wettkampf. Spätestens mit seinem Jugend-EM-Titel 2002 am Barren ist klar: Das deutsche Turnen hat einen neuen Hoffnungsträger.

Von seinen ersten Olympischen Spielen 2004 in Athen, zu denen er als jüngster männlicher Athlet der deutschen Delegation reist, kehrt er zwar ohne Medaille, dafür aber mit vielen wichtigen Erfahrungen heim. Rang sieben am Reck ist zudem ein Fingerzeig in die Richtung, die seine Karriere nun nehmen soll: nach oben. 2007 wird er bei der Heim-WM in Stuttgart Weltmeister und sammelt mehrere Europameistertitel. Bei den Olympischen Spielen ist er stets in Form und holt Medaillen, doch den ganz großen Coup hebt sich Hambüchen, der an der Kölner Sporthochschule Sportmanagement und Kommunikation studiert, für seinen Abtritt auf.

Fabian Hambüchen Turn-WM 2013 in Antwerpen (Foto: EPA)
Seit seiner Kindheit turnt Fabian Hambüchen - und formte damit seinen KörperBild: picture-alliance/dpa

Acht lange Tage hatte er Zeit nach dem Mannschafts-Wettkampf, um sich auf seine Paradedisziplin vorzubereiten. "Zu viel Zeit", wie Hambüchen sagt, der schlecht schlief, aufgeregt war. Auch als es dann endlich so weit war, habe er sich selbst immer wieder beruhigen müssen: "Junge, du brauchst dir gar keinen Kopf machen. Du stehst im Finale, noch einmal, genieß es", so Hambüchen, der jetzt einfach froh ist, "dass die Anspannung weg ist." Dem deutschen Turnstar, der in seiner Heimat populär ist wie nur wenige andere Sportler außerhalb des Fußballs, hat erreicht, was viele Sportler nicht schaffen: Er geht auf dem Höhepunkt.