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Der Großmufti, die Politik und die Religion

Kersten Knipp16. Juli 2016

Shawki Ibrahim Allam, der Großmufti von Ägypten, war zu Gast an der Universität Bonn. In einer Podiumsdiskussion plädierte er für den interreligiösen Dialog. Politische Fragen fielen hingegen weitgehend unter den Tisch.

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Der ägyptische Großmufti Shawki Allam in Bonn, 14.7.2016
Der ägyptische Großmufti Shawki Allam in BonnBild: DW/A. Al-Khashali

Nein, auf den Islam können sich die Terroristen nicht berufen. Der legitimiere ihre Taten in keiner Weise. Die Terroristen pflegten eine willkürliche Deutung der Religion, die mit der etablierten Theologie nichts zu tun hat.

In glasklaren Worten grenzt der Großmufti von Ägypten, Shawki Ibrahim Allam, den Islam von seiner Vereinnahmung durch Dschihadisten und Gewalttäter ab. Am Dar-al-Ifta, dem ägyptischen Fatwa-Amt, setzten er und seine Kollegen sich mit den dschihadistischen Schriften verschiedenster Autoren auseinander. "Theologisch sind die alle unhaltbar", erklärte er. So haben es die Wissenschaftler in mehreren Fatwas in aller Deutlichkeit erklärt. So hatte er es auch 2014 gehalten, als er zusammen mit 120 anderen islamischen Autoritäten in einem offenen Brief an den Führer der Terrororganisation "Islamischer Staat" die in deren Namen verübten Verbrechen verurteilte.

Der Großmufti von Ägypten bekleidet eines der höchsten religiösen Ämter des Landes. Verantwortlich ist er vor allem für religöse Rechtsgutachten. Diese veröffentlicht die Institution, der er vorsteht, das "Ägyptische Fatwa-Amt" ("Dar ifta´al misriya").

Seit seiner Berufung im Februar 2013 setzt sich Shawki Ibrahim Allam für einen gemäßigten Islam ein, und einen offenen zudem. Wo immer er sei, wolle er den Dialog anstoßen. Weltweit seien die Menschen gefordert, die Vielfalt ihrer Kulturen und Glaubensrichtungen anzuerkennen. Man müsse miteinander reden, sonst überwänden die Menschen das Misstrauen voreinander nicht. Wie gut eine Religion sei, erkenne man an dem, was sie bewirke. Die besten Menschen seien die, die anderen nützlich sind, zitierte Shawki Ibrahim Allam den Religionsstifter Mohammed. Die Menschen müssten sich in ihrer Unterschiedlichkeit akzeptieren lernen.

Ahmed Mansour, Sabine Demir-Geilsdorf, Moderatorin Christine Schirrmacher
Im Gespräch: Ahmed Mansour, Sabine Demir-Geilsdorf, Moderatorin Christine SchirrmacherBild: DW/A. Al-Khashali

Sünden des Westens

Damit war die Grundlage gelegt für einen entspannten, geradezu erbaulichen Dialog, so, wie er auf vielen Veranstaltungen dieser Art gepflegt wird. Die Kölner Islamwissenschaftler Sabine Demir-Geilsdorf erinnerte an die problematische Rolle, die der Westen seit über 200 Jahren in der Region spielt. Immer wieder habe er in das politische und gesellschaftliche Leben der Region eingegriffen, ihr allzu oft seine Bedingungen diktiert. Seiner Übermacht hätten die Araber vor allem die Religion entgegengesetzt. Das sei durchaus naheliegend: "Dass der Islam als Ideologie fungiert, hat natürlich auch seine Ursache darin, dass er eben nicht westlich ist, dass er eine nicht importierte Ideologie aus dem Westen ist. Sondern dass man sich da auf etwas authentisch Eigenes noch berufen kann."

Die Bußfertigkeit des Westens hätte eigentlich eine andere Frage anstoßen müssen, nämlich die nach den Versäumnissen der arabischen Welt. Immerhin sind die meisten arabischen Staaten seit mindestens einem halben Jahrhundert unabhängig und haben seitdem - Stichwort Irak, Syrien, Libyen - hinreichend eigene Potentaten hervorgebracht. Auch Ägypten selbst kennt eine lange Tradition des autoritären Durchregierens.

Doch die Verantwortung der muslimischen Staaten war die große Leerstelle, das wie unausgesprochen anmutende Tabu, an das sich kaum einer der Diskutanten wagte. Einzig der couragierte Berliner Psychologe Ahmed Mansour formulierte diese unbequemen Fragen - indem er etwa den Wahhabismus erwähnte, die strenge saudische Variante des Sunnitentums, die das Königreich in alle Welt transportiert. Leider wurden seine Äußerungen von seinen Gesprächspartnern kaum aufgegriffen.

Verpasste Fragen

Auch andere dringliche Themen sprachen die Teilnehmer nicht an. So hätten eigentlich die von der ägyptischen Regierung zu verantwortenden schweren Menschenrechtsverletzungen erörtet werden müssen: Hunderte von Muslimbrüdern wurden in Massenprozessen zum Tode verurteilt, Tausende sitzen in Haft. Hinzu kommen zahlreiche säkulare Oppositionelle. Wie reagieren die Ägypter darauf? Äußern sich diese Verhärtungen auch in religiösem Widerstand? Wie deutet der Großmufti den autoritären Führungsstil der ägyptischen Regierung? Und wie begründet er den seit insbesondere seit dem Sturz des islamistischen Prsidenten Mohammed Mursi wuchernden Terrorismus auf der Sinai-Halbinsel? Weder die Islamwissenschaftlerin Christiane Schirrmacher, die den Abend moderierte, noch die Zuhörer im Publikum griffen diese international intensiv erörterten und für die politische Zukunft Ägyptens doch so wichtigen Fragen auf. So blieb die Diskussion mit ihren über weite Strecken allzu schöngeistigen Passagen am Ende weit unter ihren Möglichkeiten.