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Der Irak, der Golfkrieg und der neue Nahe Osten

Kersten Knipp2. August 2015

Im August 1990 überfiel der Irak das Emirat Kuwait. Die internationale Gemeinschaft antwortete mit einer großen Militäroffensive. Der Konflikt war rasch beendet. Doch er veränderte den Nahen Osten dramatisch.

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Flugzeugträger USS-Wisconsin im Irakkrieg, Februar 1991 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/DB Biber

Es ist mehr als ärgerlich: Es ist eine Provokation. Da erhöht dieses kleine Emirat die Fördermengen für sein Öl, und alle anderen müssen darunter leiden. Denn all die Barrels, die Kuwait zusätzlich auf den Markt wirft, drücken die Preise. Und so ist das Öl, das die anderen Staaten fördern, auf einmal sehr viel weniger wert. Also Schluss damit, Kuwait muss aufhören mit seinen Sonderförderungen, und zwar sofort. Allein: Das kleine Emirat will nicht hören, es fördert sein Öl unverdrossen weiter. Wohl auch aus diesem Grund entschließt sich Saddam Hussein, Staatspräsident des Irak, den kleinen Nachbarstaat zu überfallen. Am 2. August 1990 gibt er den Befehl zum Angriff. Im Handumdrehen ist das Emirat besetzt.

Was der irakische Diktator zu jener Zeit nicht ahnt: Fast so schnell, wie sie Kuwait erobert haben, werden seine Truppen wieder aus dem Land gejagt werden. Nur wenige Monate braucht der damalige US-Präsident George Bush Senior, eine internationale Koalition zu schmieden. Wiederholt hatten die Vereinten Nationen Saddam Hussein aufgefordert, seine Truppen aus Kuwait zurückzuziehen. Doch der ignorierte die Aufforderung - und provozierte so die Aktion "Wüstensturm". In der Nacht auf den 17. Januar 1991 flog die internationale Koalition erste Luftangriffe auf Bagdad. Fünf Wochen und über hunderttausend Luftangriffe später, am 24. Februar, marschieren Bodentruppen der internationalen Koalition in Kuwait, aber auch in den Irak ein. Auf nennenswerten Widerstand treffen sie nicht: Nur vier Tage später geben sich Saddam Husseins Truppen geschlagen. Die "Mutter aller Schlachten", wie der Diktator sie nannte, leitete den Anfang vom Ende seiner Herrschaft im Jahr 2003 ein, als die USA zum zweiten Mal in den Irak einmarschierten.

Saddam Hussein beim Gebet (Foto: dpa)
Der Diktator gibt sich fromm: Saddam Hussein beim GebetBild: picture-alliance/dpa

Ein sauberer Krieg?

Aus der Rückschau erscheint der Krieg um Kuwait als Wendemarke in der Geschichte des Nahen Ostens. Zugleich leitete er auch ein neues Kapitel wenn nicht moderner Kriegsführung, so doch der Inszenierung des Krieges ein. Zum ersten Mal überhaupt wurde ein Krieg geradezu in Echtzeit übertragen. Die Starts der Kampfjets von weit entfernten Flugzeugträgern, der giftgrün erleuchtete nächtliche Himmel über Bagdad, die auf dem Computer sichtbar gemachten Ziele, in die Sekunden später die Bomben einschlagen: All dies bewies die absolute Übermacht der USA - und ließ zumindest in den ersten Momenten auch die Behauptung des obersten US-Soldaten, General Norman Schwarzkopf, plausibel erscheinen, die USA führten "chirurgische Eingriffe" durch, die die Bevölkerung kaum in Mitleidenschaft ziehe.

Ein Eindruck, der schnell korrigiert wurde. Zeitgleich tauchte ein neuer, bis dahin kaum bekannter Begriff auf, der die schmutzigen Seiten des angeblich sauberen High-Tech-Krieges unfreiwillig offenbarte: "collateral damage", "Kollateralschaden". Der Begriff wurde schnell zu einem Unwort, da er auf zynische Weise den Umstand verschleiert, dass entgegen der Versicherungen der Militärs eben doch zahlreiche Zivilisten bei den angeblich "sauberen" Militärschlägen zu Tode kommen. Einem im November 2014 veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation Reprieve zufolge, töteten die USA in den vergangenen Jahren bei Drohneneinsätzen 41 feindliche Kämpfer - und 1147 Zivilisten. Die "smart bombs" sind längst nicht so klug, wie die Militärs behaupten.

Irakische Kinder nach dem Golfkrieg (Foto: Sergi Reboredo)
Gesichter des Embargos: irakische KinderBild: picture-alliance/dpa/S. Reboredo

Religiöse Radikalisierung

Als der Kampf um Kuwait entbrennt, ist der Nahe Osten noch ein anderer. Noch rasen keine ideologischen Stürme durch die Region, noch sind die meisten Araber immun gegen religiöse Aufwiegelung. Saddam Hussein bekommt es zu spüren, als er den Kampf gegen die internationale Koalition als Glaubenskrieg zu inszenieren versucht. "Wir rufen alle Araber, alle gläubigen Kämpfer auf, sich dem Dschihad anzuschließen", erklärt er im Januar 1991. "Wir rufen sie auf, die Kräfte des Bösen, des Verrats und der Korruption überall anzugreifen, ihre Interessen überall zu attackieren. Das ist eure Pflicht." Der Aufruf blieb ungehört. Dem selbsternannten Glaubenskämpfer Saddam Hussein möchte kaum jemand folgen. Auch von seinem Versuch, dem Krieg mit seinen in Richtung Israel abgeschossenen Scud-Raketen einen konfessionellen Abstrich zu geben, lassen sich die Menschen in der Region nicht beeindrucken.

Doch der erste Golfkrieg und seine Folgen wurden zum Nährboden für religiösen Fanatismus. Das in den folgenden Jahren gegen den Irak gerichtete Embargo traf vor allem die Bevölkerung. Es stürzte sie in Armut, Verbitterung - und die zunehmende Bereitschaft, sich konfessionell radikalisieren zu lassen. "Vielleicht war die 'Rückkehr zu Gott' eine Weise, auf die die Iraker mit den Katastrophen zurechtzukommen versuchten, die im Golfkrieg und danach über sie hereingebrochen waren", schreibt der irakische Politologe Fanar Haddad in seiner Studie über radikalen Konfessionalismus im Irak. Die Not, die politische Korruption, die bereits durch den Krieg gegen den Iran (1980 - 88) eingeleiteten und durch den Feldzug gegen Kuwait verschärften Umweltschäden wie etwa die über Monate brennenden Ölquellen - all dies trug dazu bei, den radikalen Islam im Irak langsam, aber sicher hoffähig zu machen. Zusätzlich entfacht wurde dieser religiöse Eifer durch die politisch nicht gerechtfertigte und international verurteilte US-Invasion unter Führung von George W. Bush im Jahr 2003, die den Irak endgültig ins Chaos stürzte.

Eine brennende Ölquelle im Irak (Foto: dpa)
Folgen des Krieges: Eine brennende Ölquelle im IrakBild: picture-alliance/dpa

Auch anderswo entstand ein hoher konfessioneller Kollateralschaden: in Saudi-Arabien. Das Königreich hatte den Amerikanern einen Teil seiner Flugplätze zur Verfügung gestellt. Die flogen von dort Angriffe auf den Irak. Teile der US-Einheiten blieben auch nach Ende der "Operation Wüstensturm" im Land. Das erboste die Kämpfer der um 1993 sich formierenden Terrorgruppe Al-Kaida derart, dass sie die saudische Herrschaftsfamilie für illegitim erklärten. Rasch weitete sich der Widerstand aus, um sich fortan auch gegen den Westen zu richten. Kaum hatte die internationale Gemeinschaft den säkularen Diktator Saddam Hussein militärisch geschwächt, sah sie sich Dschihadisten gegenüber, die im Namen der Religion Angst und Schrecken verbreiteten.