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Politik

Deutscher Wahlkampf und Islam

31. Juli 2017

Flüchtlingskrise, innere Sicherheit, Terrorismus - diese Themen stehen für viele Bürger vor der Bundestagswahl ganz oben auf der Agenda. Und alle diese Themen sind irgendwie mit dem Islam verwoben.

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Blick auf Kölner Zentralmoschee
Bild: picture alliance/dpa/H.Kaiser

Deutschland ist ein säkulares Land. Religion spielt in der Politik keine Rolle - meistens. Aber die massenhafte Zuwanderung von überwiegend muslimischen Flüchtlingen im Herbst 2015 nach Deutschland und auch der islamistische Terror haben den Islam auf die politische Agenda gehoben. "Deutschland ist nicht Burka" hatte zum Beispiel Bundesinnenminister Thomas de Maizière in seinen Thesen zur deutschen Leitkultur Ende April erklärt. Das Thema Burkaverbot taucht immer wieder auf in den Debatten um Integration, Islam, Islamismus - obwohl sich in Deutschland höchstens einige hundert Frauen komplett verhüllen. Zwar hatte der frühere Bundespräsident Christian Wulff in einer vieldiskutierten Rede 2010 postuliert: "Der Islam gehört zu Deutschland".  Aber Ende September wird der neue Bundestag gewählt - und die etablierten Parteien fürchten die Konkurrenz durch Rechtspopulisten.

Topthema Flüchtlinge

Dennoch hatten speziell die beiden großen Parteien CDU und SPD bislang in ihrem Wahlkampf die Themen Islam, Leitkultur und Integration gemieden. Bis Mitte Juli der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz die Flüchtlingskrise aufgriff. Nach Überzeugung des Berliner Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer ist "die Flüchtlingsproblematik - die in den Augen der Augen der Bevölkerung durchaus mit Islam und Terror verwoben ist - das mit Abstand wichtigste Thema". Parteienforscher Niedermayer sieht deshalb durchaus noch ein "Potenzial, was in den letzten Wochen des Wahlkampfes stark hoch kochen könnte", wie er im DW-Interview erklärt. 

Bei einer muslimischen Demonstration gegen Terror trägt ein Teilnehmer ein Plakat mit der Aufschrift "Terrorismus hat keine Religion"
Mitte Juni demonstrierten Tausende Muslime in Köln gegen TerrorismusBild: DW/S. Niloy

Was die Diskussion um den Islam, um die Scharia erschwert: Es gibt so viele Interpretationen davon, dass die Grenzen zu verschwimmen drohen. "Mit der Scharia können Sie auf den Menschenrechten herumtrampeln oder Sie können Menschenrechte damit begründen", sagte der Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe der Deutschen Welle am Rande einer Fachtagung in Frankfurt, die den Spannungsbogen von "Scharia und Grundgesetz" ausleuchtete.

Prüfstein Gleichberechtigung

Dort, wo die Scharia aber als System von Normen umgesetzt wird, werden laut Susanne Schröter allerdings vor allem repressive Tendenzen sichtbar. Im DW-Interview verweist die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, FFGI, beispielhaft auf die Geschlechterordnung: "Da finden Sie über alle Rechtsschulen hinweg etwas sehr Ähnliches: Dass Männer und Frauen nicht gleichberechtigt sind und dass den Männern Privilegien zugesprochen werden."

Schröter sieht auch in Europa Tendenzen zur Durchsetzung einer repressiven islamischen Ordnung: "Überall dort, wo es muslimische Viertel gibt - besonders in Großbritannien, aber auch in den Vorstädten von Paris - da sehen wir, dass diese islamische Ordnung sich in sozialen Milieus durchsetzt". Schröter beschreibt, wie sich das auswirkt: "Dass beispielsweise in bestimmten Vierteln Cafés und Restaurants gar nicht mehr von Frauen besucht werden. Dass im Ramadan alles geschlossen ist. Dass es gar nicht mehr die Frage ist, ob eine Frau unverschleiert auf die Straße geht - unverschleierte Frauen gibt es da gar nicht mehr."

Symbolbild Mädchen Frauen Salafismus
Verschwindend kleine Minderheit: Vollverschleierte Frauen wie hier bei einer Salafisten-Kundgebung in FrankfurtBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

In Deutschland sei man von solchen Verhältnissen zwar weit entfernt, erkennt Schröter an. Doch auch hier wachse der Druck auf muslimische Mädchen, in der Schule ein Kopftuch zu tragen und sich an die Geschlechtertrennung zu halten. "Man versucht, sie zu mobben, macht Aufnahmen von ihnen, stellt die ins Internet und sagt den Eltern, ihre Tochter wäre eine Schlampe", berichtet die Frankfurter Islam-Expertin.

Lebenslügen des Multikulturalismus?

Für den Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt werden in solchen Schilderungen "die Lebenslügen des Multikulturalismus sichtbar". Für Patzelt ist die Gleichheit der Geschlechter ein besonderer Bestandteil der europäischen, der westlichen Kultur - so wie diese Kultur die Voraussetzung für unsere Lebensart insgesamt ist. Patzelt vertritt die Meinung, Multikulturalismus setze im Grunde voraus, dass alle Zuwanderer unsere Kultur annehmen und lediglich folkloristisch drapieren: mit anderen Bekleidungen, anderen Feiertagen und so weiter. "Aber so ist es nun einmal nicht, wenn manche Leute eine bestimmte Interpretation ihrer Religion ernst nehmen." Bezogen auf die Parteien analysiert Patzelt: "Je rechter die Parteien sind, je mehr sie sagen: Die Kultur im Lande soll nicht verändert werden, um so weniger haben sie Hemmungen, die Erfordernisse auch gegenüber Migranten durchzusetzen. Und die bestehen darin, dass unsere kulturellen Muster zu akzeptieren sind".

Beim Blick in die Wahlprogramme registriert der Berliner Parteienforscher Niedermayer durchaus eine Beschäftigung mit der Frage, ob Deutschland sich stärker in Richtung einer multikulturellen Gesellschaft öffnen solle. Oder ob die historisch gewachsenen Systeme und Normen der deutschen Gesellschaft stärker betont werden müssten.

Umgekehrt aber hat nach Aussage Niedermayers bislang keine Partei die Muslime als spezifische Zielgruppe im Wahlkampf angesprochen. Dabei gibt es in Deutschland insgesamt knapp fünf Millionen Muslime. Allerdings ist nicht genau bekannt, wie viele von ihnen wahlberechtigt sind.

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein