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Der "König der Wälder"

25. März 2010

Wisente sind die europäischen Verwandten des Bisons. Im vergangenen Jahrhundert sind sie fast ausgerottet worden. Jetzt leben weltweit ungefähr 3200 Wisente. Jetzt sollen sie auch in deutschen Wäldern leben.

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Wisent im Gehege im Rothaargebirge (Foto: DPA)
Der Wisent ist das größte und schwerste Landsäugetier EuropasBild: picture-alliance/dpa

Mitten im Wald, auf einer höher gelegenen Lichtung sind zwei Tribünen aufgebaut, alle sind mit einem Tarnnetz bespannt. Darunter befinden sich Holzwände mit Gucklöchern, die etwas von Schießscharten haben. Das ist nicht ganz falsch, denn diese Löcher sind für die Kameras, damit man ganz dezent Bilder schießen kann. Es sind viele Kameras da an diesem Vormittag im Rothaargebirge, und auf den Tribünen stehen Presse, Ehrengäste, eine Prinzenfamilie und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Alle warten gespannt auf die Ankunft der größten Land-Säugetiere Europas - der Wisente.

Bis zu zwei Meter groß können Exemplare dieser europäischen Wildrindart in Freiheit werden, drei bis vier Meter lang und bis zu einer Tonne schwer - das sind die Maße eines Kastenwagens.

Riesen in Europas Wäldern

Früher, bis zum Mittelalter waren die Wisente die Könige der Wälder in Europa. Vor mehr als 100 Jahren waren sie dann fast ausgerottet. In den 1920er und 30er-Jahren haben beherzte Zoologen und Tierfreunde dafür gesorgt, dass die Wisente wenigstens in Zoos und Freigehegen gehalten wurden. Seitdem wurden sie gezüchtet.

Im Rothaargebirge soll nun eine neue widerstandsfähige Population entstehen und zusammen mit Rehen, Hirschen und Wildschweinen den Wald bevölkern.

Prinz Richard zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (Foto: DPA)
Der Treuherr der Wisente: Prinz Richard zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (vorn)Bild: picture-alliance/ dpa

Der Wald gehört altem Adel: Prinz Richard zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg ist begeistert von der Ansiedlung der Wisente auf seinem Besitz. "Das ist eine schöne Sache", sagt er. Allerdings werde er auch darauf achten, dass die Tiere nicht seinen Baumbestand zerstören. Denn Wisente ernähren sich hauptsächlich von Baumrinde.

Revier wird ausgekundschaftet

Der Truck kommt an, der erste Wisent schreitet durch das offene Gatter in sein neues Zuhause. Der Bulle Egnar ist dreieinhalb Jahre alt und eine halbe Tonne schwer. Edgar Reisinger vom Wisentprojekt ist begeistert: "Das sieht nach richtigem Tier aus", schwärmt er und freut sich, dass so ein Tier wieder nach Deutschland zurückkommt, wo es schließlich Jahrtausende lang gelebt hat.

Bulle Egnar zeigt direkt, was er drauf hat. Nachdem er ein wenig in seinem Gehege auf und ab spaziert, läuft er plötzlich auf den Zaun zu, biegt die Drahtseile auseinander und schlüpft hindurch - wie ein Boxer, der den Ring verlässt. Ganz in Freiheit ist er allerdings nicht, denn er hat lediglich das Eingewöhnungsgehege verlassen.

Hektische Suche

Ein Wisent von vorn (Foto: DPA)
Guckt der freundlich oder aggressiv?Bild: picture-alliance/ dpa

Das Publikum freut sich über die Showeinlage. Bei den Wisentbetreuern bricht Hektik aus, sie schwärmen aus und suchen den Bullen im 4300 Hektar großen Waldstück. Schließlich finden sie ihn. Er wärmt sich an einem sonnigen Plätzchen und erholt sich von den Strapazen des Transports. Egnar wird betäubt und zurück in sein Gatter transportiert. Der Zaun dort steht nun unter Strom.

Die anderen acht Wisente werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit behutsam nach und nach in ihr neues Zuhause gebracht. Nach einer Eingewöhnungszeit können die Tiere sich im ganzen Wald frei bewegen. Dennoch gibt es Grenzen. Um das Waldstück herum wird ein Induktionskabel in der Erde versenkt. Die Wisente bekommen Sensoren verpasst - und jedes Mal, wenn sie sich der Grenze nähern, bekommen sie einen leichten aber unangenehmen Stromstoß.

Dennoch wird das Gebiet groß genug sein, um bis zu 25 Tiere zu beherbergen. Diese Herde wird aus Zoos und Freigehegen aus ganz Deutschland zusammengewürfelt. Hier soll eine neue genetische Vielfalt entstehen, die den Fortbestand der Wisente garantieren kann.

Mensch und Wisent

Unterstützt wird das 1,7 Millionen Euro teure Projekt auch von der Politik. Die Bundesregierung steuert allein 690.000 Euro bei. Die spannendste Zeit aber wird erst kommen. Wenn alle Tiere im Rothaargebirge angekommen sind, dann wird sich zeigen, ob der Wisent sich im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen wirklich eingewöhnen und wohlfühlen kann. Denn sein ehemals größter Feind, der Mensch, wird immer in seiner unmittelbaren Nähe sein.

Autorin: Silke Wünsch
Redaktion: Kay-Alexander Scholz