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Der Kanzler gewinnt, die Koalition verliert

Wolter von Tiesenhausen16. November 2001

Die Entscheidung der rotgrünen Koalition, ihrem Kanzler das Vertrauen auszusprechen, war knapp. Die Frage ist, wie lange Schröder und Fischer noch weiter regieren können. Ein Kommentar von Wolter von Tiesenhausen.

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Schon nächste Woche kann die Probe aufs Exempel gemacht werden. Dann treffen sich die Grünen zu ihrem Parteitag. Dort haben dann nicht mehr die Abgeordneten der Bundestagsfraktion das Sagen, sondern die Delegierten der Basis. Und diese Basis ist in weiten Teilen wütend über ihre Mandatsträger.

In der Sache, um die es bei der Abstimmung des Deutschen Bundestages ging, sind die Mehrheiten klar. Bis auf die einstigen Kommunisten und jetzigen Sozialisten der PDS und eine handvoll Abgeordnete der Grünen steht das gesamte Hohe Haus hinter der von der Regierung erbetenen Bereitstellung von fast 4.000 Soldaten der Bundeswehr für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Doch Bundeskanzler Schröder hat darauf verzichtet, diese breite Mehrheit auch in einer Abstimmung deutlich werden zu lassen. Da er auf der persönlichen Vertrauensfrage bestand, zwang er die christdemokratische und die liberale Opposition zum Nein.

Die Ursache liegt in einer Fehleinschätzung des Kanzlers. Gerhard Schröder hatte übersehen, daß es bei der Abstimmung über den Bundeswehreinsatz nicht nur darum ging, eine breite Mehrheit quer durch die Fraktionen zu bekommen. Auch eine eigenständige Mehrheit der rotgrünen Koalition musste her. Denn die war zur Sicherung der internationalen Glaubwürdigkeit des Kanzlers unverzichtbar. Als Schröder dies erkannte, griff er zur schärfsten Waffe, die einem deutschen Regierungschef zur Verfügung steht, der Vertrauensfrage. Diese und der damit verbundene moralische Druck auf jeden einzelnen Koalitionsabgeordneten sorgte für die knappe Mehrheit.

Der Kanzler hat gewonnen, das steht außer Frage. Doch die rotgrüne Koalition hat verloren. Dem kleineren Koalitionspartner wurde der Schneid abgekauft. Er wurde der eigenen Wählerschaft als weitgehend willenloser Gehilfe vorgeführt, der - wenn man ihm mit dem Entzug der Machtbeteiligung droht - seine Prinzipien über Bord wirft. Dass er damit seiner Verantwortung als Regierungspartei gerecht wurde, interessiert die Basis und vor allem die Wähler der Grünen wenig. Sie fühlen sich verraten und werden die in ihren Augen Verantwortlichen mit Stimmentzug bestrafen, so wie es sich bei den zurückliegenden Wahlen bereits angedeutet hat.

Und auch der Kanzler wird seines Sieges nicht so recht froh werden. Weitreichende Entscheidungen kann er mit einem so angeschlagenen und mit Recht auch misstrauischen Partner nicht mehr durchsetzen. Seine schärfste Waffe, die Vertrauensfrage, ist durch einmaligen Gebrauch stumpf und damit unbrauchbar geworden. Gerhard Schröder wird den Rest der Legislaturperiode über die Bühne bringen und nach den Wahlen in einem Jahr nach einem neuen Partner Ausschau halten müssen. Die jetzt so arg ramponierten Grünen werden dann wohl kaum noch zur Verfügung stehen.