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Krakeelen in Brüssel

Christian F. Trippe, Brüssel30. April 2008

Oft wird lamentiert, dass es der EU an Personen und Orten mangele, die jeder sofort mit "Europa" identifiziert. Wer dies behauptet, der kennt den "Schuman" nicht, einen Kreisverkehr mitten im Brüsseler Europaviertel.

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Bild: DW
Porträt eines Mannes (Quelle: DW)
Christian F. TrippeBild: DW/Frommann

Der "Schuman" am Wochenende oder nach Büroschluss ist ein öder Kreisverkehr, vierspurig mit verblichenen Fahrbahnmarkierungen; in seiner Mitte eine Grünanlage, die ungefähr genau so zum Verweilen einlädt, wie der Vorplatz einer Friedhofskapelle. Überquellende Mülleimer, graffitiverschmierte Parkbänke und ab und an eine Plastiktüte, die der Wind vorbeiträgt. Und doch ist dies ein besonderer Ort.

Denn wer immer ein hochpolitisches Anliegen hat, das er den Europäern vortragen will, den zieht es zum "Schuman". Diese Woche waren die Chinesen da, die mit den roten Fähnchen, den schlecht sitzenden Anzügen und den kastenförmigen Brillengestellen. Offizielle "Jubelchinesen", die für fröhliche olympische Spiele demonstrierten. Die Tibeter waren natürlich auch schon da, mehrmals sogar. Manchmal ist es nur eine Handvoll Menschen, die aufrütteln und informieren will – über den bald bevorstehenden Weltuntergang, zum Beispiel. (Der bisher nicht im Terminbuch der EU-Kommission verzeichnet war.)

Gelegentlich aber sind die Demonstrationen laut und kraftvoll, und der "Schuman" ist dann für Stunden blockiert. Als das Kosovo seine Unabhängigkeit erklärte und junge Kosovaren und Albaner aus Belgien, den Niederlanden und Frankreich zur Kundgebung kamen. Oder als neulich im Irak verfolgte Christen für großzügige Asylregeln in der EU warben. Oder die Kurden, die Syrer, die Polen von der Gewerkschaft "Solidarnosc". Brigitte Bardot war auch schon da – wahrscheinlich wegen irgendeiner Sache mit Tieren.

Der "Schuman" ist für die EU genau so wichtig wie – sagen wir: Hyde Park Corner für politikbesessene Londoner oder die Klagemauer für religiöse Juden. Dieser unscheinbare Kreisverkehr gehört schleunigst auf die Liste der EU-Institutionen.