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Der Kunstfreiheit keine Grenzen setzen!

Adelheid Feilcke8. Januar 2016

Kunst soll unabhängig sein von Staat und Kirche. So sah es bereits Immanuel Kant. Der Philosoph Otfried Höffe ist überzeugt, dass sich auch der Islam der Aufklärung im Kantschen Sinne nicht entziehen kann.

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Der Philosoph Otfried Höffe (Foto: Imago)
Bild: Imago

DW: Sie haben vor kurzem ein Buch zur 'Kritik der Freiheit' veröffentlicht. Wie definieren Sie Freiheit?

Otfried Höffe: Die Definition hat zwei Seiten, zwei Pole, die sich gegenseitig ergänzen: Freiheit ist zum einen 'Unabhängigkeit von Fremdbestimmung' und zum anderen 'das Recht und die Fähigkeit, sein Leben nach den eigenen Vorstellungen zu führen'.

Kann man diesen Freiheitsbegriff auch auf andere Kulturen übertragen, oder ist er ein Privileg westlicher Kulturen?

Das Streben nach Freiheit ist universell. Menschen aller Kulturen und Epochen sehnen sich nach der Freiheit und versuchen, sich von der Unterdrückung zu emanzipieren. Dabei hat jeder das Recht auf das Maß an Freiheit, was mit demselben Maß an Freiheit aller anderen verträglich ist.

Welche Botschaft leitet sich daraus ab für Gesellschaften im Umbruch, besonders die im arabischen Raum oder in Asien, wo ja häufig ein ganz anderer Begriff zu Grunde gelegt wird?

Nehmen wir den Islam. Sie dürfen nicht vergessen, dass im 9. bis 11. Jahrhundert der Islam eine Blüte der Wissenschaft und Kultur gewissermaßen vorgemacht hat. Diese Epoche der Blüte ist dann leider abgebrochen. Der Islam sollte sich wieder besinnen und in beide Richtungen schauen: Sind die Menschen denn froh, wenn sie unterdrückt oder an feste Autoritäten gebunden werden? Und andererseits, wenn diese Menschen, die Bürger, in andere Länder schauen, haben sie nicht das Gefühl, dass es sich dort trotz mancher Kritik, die dazugehört, besser lebt? Dem sollten sich die Herrschenden - und das sind in diesem Falle nicht nur die politisch Herrschenden, sondern auch religiöse Führer - nicht versperren.

Der Islam kann sich der Aufklärung nicht entziehen

Unser Begriff von Freiheit ist stark geprägt durch die Aufklärung, durch die Philosophie Immanuel Kants im 18. Jahrhundert. Nun fordern viele gerade im Zusammenhang mit der islamischen Welt eine Art Aufklärung. Was halten Sie von solchen Ansätzen?

Der Aufklärung kann sich der Islam auf Dauer gar nicht entziehen. Und zwar nicht, weil wir das von außen, vom Westen her, erzwingen, sondern weil es das Interesse der Menschen selbst ist. Im 9. Jahrhundert gründete der Sohn von Harun al Raschid (Anm. der Redaktion: Harun der Gerechte, Kalif im sogenannten 'Goldenen Zeitalter' des Islam) eine Übersetzer-Akademie in Bagdad und ließ alle griechischen Schriften für Philosophie, Naturwissenschaft und Medizin übersetzen. Er leitete damit eine glänzende Epoche der Aufklärung ein.

Insofern kann man nicht behaupten, das sei dem Islam fremd. Hier sollte der Islam Mut haben, und wir sollten das ein bisschen einfordern dürfen. Nicht, weil wir in die islamischen Länder hinein regieren wollen, sondern weil Muslime in unseren Kulturen leben. Sie sollten die Chance haben, sich nach Vorstellungen zu entwickeln, die sowohl den Islam, ihre eigene Religion, als auch die Freiheitsverhältnisse des europäischen Kulturraumes anerkennen.

Die Autonomie der Kunst

Sie haben die Blüte der Kultur und Kunst im Islam erwähnt. Gerade die Kunst wird ja heute von vielen Islamisten angefeindet. "Charlie Hebdo" ist ein Beispiel dafür, wie sich der Zorn, der Hass der Freiheitsgegner oder der Gegner des westlichen Systems entlädt. Was kann man dem entgegensetzen?

Die Kunst ist im Laufe der Jahrhunderte autonom geworden. Das heißt, sie hat nicht primär den Anspruch auf Wahrheit, sie hat auch nicht primär den Anspruch auf Moral, sondern unter dem Stichwort des "Schönen" hat sie einen eigenen Bereich. Kant hat das auf den schönen Begriff des "interessenlosen Wohlgefallens" gebracht. Die Kunst wird frei von ästhetischen, kirchlichen und staatlichen Bindungen.

Majestätsbeleidigung und Blasphemieverbot waren früher Teile des Strafgesetzbuches, die sind heute verschwunden. Damit haben andere Kulturen vielleicht Schwierigkeiten, weil das bei ihnen noch existiert. Allerdings haben die Europäer oder die westlichen Kulturen das Recht, zu zeigen, wie eine Gesellschaft aufblüht, wenn sie auch diese Extremform künstlerischer Freiheit zulässt.

Gerade im Fall von Charlie Hebdo geht es ja nicht nur um Ästhetik, sondern ganz stark um Politik, darum, was andere als Blasphemie empfinden. Wo ziehen Sie da die Grenzen der Freiheit?

Man kann sich fragen: Was war der Sinn von Charlie Hebdo, den Mohammed-Karikaturen? Ich sehe es als Aufforderung an die muslimischen Bürger, dass sich die Kunstfreiheit nicht bestimmte Grenzen setzen darf. "Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen", wie das Kant so schön gesagt hat. Allerdings ist dieser Aufruf bei vielen Muslimen verpufft. Im Gegenteil, das Ganze hat Aggression und Gewalt hervorgerufen.

Aber auch in Europa und in Amerika hat es lange gedauert, bis wir auch das Konfliktpotenzial der künstlerischen Autonomie anerkannt haben. Und manchmal wird das bis zur Schmerzgrenze geführt. Da muss man den muslimischen Gesellschaften das Recht lassen, Lernprozesse durchzumachen. Aber die Lernprozesse dürfen sich nie mit Gewalt verbinden. Dagegen müssen wir uns wehren, unabhängig, ob da vielleicht ein Hauch von Berechtigung des Unwillens dahinter steckt. Der Unwille darf sich nie in Gewalt entladen.

Die Freiheit muss geschützt werden

Ist unsere Freiheit in Gefahr, weil wir jetzt anfangen, unsere Freiheit selbst einzuschränken, aus Angst vor Terrorismus und aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus?

Die Freiheit bleibt meines Erachtens ein hoher Wert, ein hohes Gut, aber sie verlangt jetzt einen Schutz im Inneren und Äußeren. Diese Schutznotwendigkeit haben wir bisher etwas verdrängt. Damit kommt es zu Güterabwägungen. Und wir dürfen nicht vergessen, Güterabwägungen können unterschiedlich ausfallen.

In Deutschland ist man ja sehr viel zurückhaltender gegenüber einer Überwachung. In Großbritannien lebt man mit diesen Überwachungskameras. Daraus kann man aber nicht ableiten, die Briten seien freiheitsängstlich oder freiheitsfeindlich.

Wie wird sich das auf unser Wertesystem auswirken?

Ich habe persönlich nicht die Sorge, dass die Wertediskussion die Freiheit zurückdrängt und sie auf dem Altar einer bloßen freiheitsfeindlichen Sicherheit opfert. Sollte das der Fall sein, müssen sich die Gegner dieser - um einen Begriff von Karl Popper (österreichisch-britischer Philosoph) zu nehmen - "geschlossenen Gesellschaft" zu Wort melden und vehement den Gedanken des Pluralismus, der Toleranz und somit auch der "offenen Gesellschaft" verteidigen.

Otfried Höffe (*1943) ist einer der führenden deutschen Philosophen. In zahlreichen Publikationen hat er in den vergangenen Jahrzehnten zu gesellschaftspolitischen Fragen sowie zu Ethik-, Rechts-, Staats- und Wirtschaftsfragen aus der Sicht der Philosophie Stellung bezogen. Zuletzt erschien von ihm "Kritik der Freiheit: Das Grundproblem der Moderne" (C. H. Beck Verlag, München 2015, ISBN 978-3406675034). Otfried Höffe lebt in Tübingen.