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Der Große Kurfürst: Der Mann, der Preußen erfand

Birgit Goertz11. Dezember 2012

Friedrich der Große gilt als Urheber vieler preußischer Errungenschaften - ein historisches Mißverständnis. Denn der wahre Erfinder ist sein eigener Urgroßvater: Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst.

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Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688), Gemälde von Govaert Flinck (1615–1660); (Rechtelage: gemeinfrei)
Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg

Als der blutjunge Kurfürst Friedrich Wilhelm 1640 die Regentschaft übernahm, trat er ein schweres Erbe an: In Deutschland tobte immer noch der Dreißigjährige Krieg, Brandenburg war ein verelendeter, teils entvölkerter Landstrich, die Hauptstadt Berlin-Cölln ein trauriges Provinznest. Böse Zungen hatten kaum mehr als Spott übrig: Brandenburg sei "des Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse". Der später "der Große" genannte Kurfürst baute das zerstörte Land wieder auf, verfolgte eine kluge, diplomatische Schaukelpolitik zwischen den damaligen Großmächten, Frankreich, Österreich und Schweden, und kurbelte die Wirtschaft wieder an.

Typisch preußisch?

Über das Leben und Wirken des Großen Kurfürsten, der von 1620 bis 1688 lebte, hat die Historikerin und Publizistin Barbara Beuys ein Buch geschrieben. Ihr Fazit: Friedrich Wilhelm hat mit seiner klugen, umsichtigen Herrschaft die Grundlagen für das gelegt, was  wir heute "preußisch" nennen: religiöse Toleranz, eine effektive Bürokratie, ein stehendes Heer. Doch mit der Überhöhung des Militärischen hatte er nichts am Hut, ganz im Gegensatz zu seinem berühmten Urenkel, Friedrich dem Großen. "Er hat große Siege erfochten, aber er war kein Militär wie Friedrich der Große, der immer nur im blauen Uniformrock herumlief. Beiden war aber gemein, dass sie zur modernen Zeit gehören und ein modernes Verständnis vom Herrschen und Herrscher hatten."  Urenkel Friedrich der Große hatte gesagt, der Souverän sei der erste Diener seines Staates. Dies hätte ganz genau so auch vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm stammen können, meint Barbara Beuys. Denn eine solche Auffassung von Herrschaft sei für die damalige Zeit modern gewesen. Üblicherweise nämlich betrachtete sich ein Monarch als ein Regent von Gottes Gnaden und als Vertreter eines göttlichen Gesetzes.

Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688), Gemälde von 1663; (Rechtelage: gemeinfrei)
Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Gemälde von 1663

Vorbild Niederlande

Friedrich Wilhelm war ein Modernisierer, der seine Vorstellung von einem Staatswesen hatte und sich daran machte, sie konsequent umzusetzen. "Geholt hat er sich diese Vision in den Niederlanden, damals der modernste Staat in Europa, eine Republik und Bürgergesellschaft, in der Kunst und Wissenschaft zuhause waren." Mit 14 Jahren ging der Große Kurfürst dorthin, studierte an der Universität von Leiden, dem Anziehungspunkt für fortschrittliche Geister in der damaligen Zeit. Nach Hause kam Friedrich Wilhelm als Niederlande-Fan: Er holte holländische Spezialisten nach Brandenburg, heiratete Prinzessin Louise Henriette von Oranien-Nassau und baute Schloss Oranienburg. Religiöse Toleranz, Freiheit des Denkens – diese Dinge schaute sich der Kurfürst ebenfalls in den Niederlanden ab. „Dort herrschte erstmals in Europa Glaubensfreiheit. Der Calvinismus war zwar eine Art Staatsreligion. Doch Juden durften dort ohne Einschränkungen, völlig gleichberechtigt leben“, schildert Barbara Beuys.

Reiterstandbild des Großen Kurfürsten im Ehren hof des Charlottenburger Schlosses
Der Urgroßvater: Das Reiterstandbild Friedrich Wilhelms im Ehrenhof des Charlottenburger Schlosses in BerlinBild: picture alliance/akg-images

Als 1670 jüdische Kaufmannsfamilien aus Wien vertrieben wurden, holte der Kurfürst sie ins Land, weil er in ihnen wohlhabende Geschäftsleute mit weitläufigen Handelsbeziehungen erkannte, die ihm halfen, die Wirtschaft anzukurbeln. In Europa staunte man außerdem nicht schlecht, als Friedrich Wilhelm die von Ludwig XIV. von Frankreich vertriebenen Hugenotten im Edikt von Potsdam nach Brandenburg einlud. „Das war eine tolerante und kluge Politik, denn es kamen Eliten und wirtschaftlich versierte Menschen.“

Eine Statue Friedrichs des Großen (Alter Fritz) im brandenburgischen Ort Letschin im Oderbruch (Foto: Patrick Pleul)
Und der Urenkel: Statue Friedrichs des Großen im brandenburgischen Ort LetschiBild: picture-alliance/dpa

Ein Modernisierer mit Augenmaß

Am Ende der Herrschaft Friedrich Wilhelms 1688 war Brandenburg zu einem Staat geworden, der diesen Namen verdiente: mit einer funktionierenden Bürokratie, mit einem stehenden Heer, einer ausgebauten Infrastruktur. „Brandenburg war zudem zu einer beachtlichen Macht und einem Kulturfaktor geworden“, resümiert Barbara Beuys. Der Große Kurfürst hatte damit die Grundlagen gelegt, die Friedrich der Große ausbauen konnte.

Dem Buch von Barbara Beuys merkt man an, dass ihr die Figur Friedrich Wilhelms sympathisch war. „Ich würde sagen, es ist eine kritische Sympathie“, gibt die Autorin zu. „Friedrich Wilhelm ist eine interessante, heute noch lebendige Persönlichkeit, keineswegs verstaubt. Von ihm lassen sich etliche Linien bis in unsere Gegenwart ziehen.“ Er habe Berlin verschönert und zur Großstadt gemacht, die Bäume Unter den Linden pflanzen lassen. Und von seinem Toleranzverständnis könne man heute noch lernen.

Berlins Boulevard Unter den Linden mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund
Berlins Boulevard Unter den Linden mit dem Brandenburger Tor im HintergrundBild: picture-alliance/dpa

Barbara Beuys: Der Große Kurfürst. Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Mann, der Preußen schuf, akt. Neuausgabe, 400 S., München, 2012, ISBN-13: 978-3423347280