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Atomstrom doch nicht so günstig wie angenommen?

18. Mai 2009

Atomstrom sei billiger als Energien aus anderen Quellen – so das Argument vieler Befürworter der Atomkraft. In Frankreich stellt man allerdings fest, dass der wahre Preis für Atomstrom kaum zu bestimmen ist.

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Stecker und Steckdose, (21.08.2006/AP Photo/Michael Probst)
Strom aus Atomenergie soll günstiger sein als der aus anderen Quellen, so zumindest Befürworter der AtomkraftBild: AP

Die tatsächlichen Kosten des Atomstroms würde auch Yves Marignac gerne konkret beziffern, doch die Materie scheint zu komplex. Marignac leitet in Paris das Büro des "World Information Service Energy", einer unabhängige Experteneinrichtung. In langen Regalreihen hinter Marignacs Schreibtisch stapeln sich offizielle Berichte zum französischen Atomstromprogramm. Darin wimmelt es von rechnerischen Hypothesen zur angeblichen Kostengünstigkeit der zivilen Kernkraftnutzung.

Zu optimistische Kostenkalkulationen

Eine Mitarbeiterin von EDF des französischen Atomkonzerns EDF steht auf der Baustelle des geplanten Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) in Flamanville (08.04.2009/Ulrike Koltermann/dpa)
Das Atomstromunternehmen ""Electricité de France" baut in Flamanville einen DruckwasserreaktorBild: picture-alliance/ dpa

In den Berichten ginge man bei der Kostenberechnung immer von Hypothesen aus, erzählt Yves Marignac. Und ein bisschen basierten sie auch auf "äußerst optimistischen Projektionen". Das gelte sowohl für die Bauzeit, für die Leistungsfähigkeit der Meiler und des Brennstoffs als auch für all das, was über die Betriebszeit hinausginge wie etwa die Verwaltung des Abfalls und den Rückbau, die Entsorgung der Anlage. "In all diesen Bereichen sind die Vorhersagen immer überzogen optimistisch und decken sich keinesfalls mit den wirklich entstandenen Kosten", so Marignac.

Ein Thema, zu dem sich der Atomstromgigant "Electricité de France" (EDF), trotz mehrmaliger Bitte um ein Interview nicht äußern möchte. Doch Marignac zitiert einen aktuellen Fall: Als 2005 die Regierung in Paris grünes Licht gab, in Flamanville einen Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) - von der Atomlobby als "Reaktor der Zukunft hochgelobt - zu bauen, wurden die Produktionskosten für eine Megawattstunde Strom in der ersten Schätzung mit 28 Euro veranschlagt. Jetzt, in der ersten Bauphase, korrigiert "EDF" nach oben: auf 54 Euro, fast doppelt so viel. Bis zu 60 Euro pro Megawattstunde Strom, veranschlagt "EDF" mittlerweile für den geplanten zweiten EPR.

Verglichen mit der Lage in Finnland sind das noch peanuts. Die ERP-Fertigstellung verzögert sich hier schon um mindestens drei Jahre. Allein die Baukosten stiegen um über 50 Prozent auf fast fünf Milliarden Euro. Doch das Desaster des als Vorzeigeprojekt geplanten Reaktors ist damit noch nicht zu Ende – so zumindest Mycle Schneider, unabhängiger energiepolitischer Berater. Das Stromunternehmen, das den Reaktor in Auftrag gegeben habe, sei natürlich sehr unzufrieden, weil es durch die große Verspätung gezwungen worden sei, Strom anderswo einzukaufen – und dies zu viel höheren Preisen als ursprünglich geplant. Deshalb sei dieses Unternehmen jetzt gegen Areva NP vor ein internationales Schiedsgericht gegangen und fordere 2,4 Milliarden Euro Schadenersatz, so Schneider.

Atomstrom gegen Erneuerbare Energien

Kühlbecken im Atomkraftwerk in La Hague, Frankreich (18.12.2007/AP Photo/Francois Mori)
Die Kosten zur Verwaltung und Entsorgung der Anlagen würden zu niedrig kalkuliert, so KritikerBild: AP

Atomstrom wird durch solche Kostenexplosion immer teurer. Die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Gas, Kohle und Erneuerbaren Energien sinkt, was die französische Regierung in Statistiken zu kaschieren sucht. In Frankreich und wohl auch in anderen Ländern hinge der offizielle Preis für Atomstrom immer mehr von gewissen politischen Zielen ab als von realer wirtschaftlicher Kalkulation, meint Yves Marignac. Nirgendwo gäbe es ein einziges Kernkraftwerk, dessen Bau und Betrieb ohne öffentliche Subventionen laufe.

Aufgebaut wurde die zivile Kernkraft in Frankreich als Rückenstärkung für die militärische Nutzung. Heute nutzt Staatspräsident Sarkozy seine Staatsbesuche rund um den Globus als Handelsreisender in Sachen einheimischer nuklearer Spitzentechnologie. Dass dieser Atomstrom allerdings kaum noch konkurrenzfähig ist, erwähnt er dabei nicht.



Autorin: Suzanne Krause
Redaktion: Mareike Röwekamp