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Der Nothilfe muss nachhaltige Politik folgen

Ute Schaeffer 24. August 2005

UN-Generalsekretär Kofi Annan besucht in Niger die von der Hungersnot betroffenen Gebiete und führt Gespräche mit der Regierung. Die versucht bislang, die Situation zu verharmlosen. Ute Schaeffer kommentiert.

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Der Besuch von Kofi Annan in Niger dient vor allem einem Ziel: die Vereinten Nationen und ihr Katastrophen-Management aus der Schusslinie der Kritiker zu nehmen. Auch Kofi Annan selbst war dort hinein geraten. Immer noch sei die Verteilung der Hilfslieferungen unzureichend, kritisierten "Ärzte ohne Grenzen". Doch der wohl schwerwiegendste Vorwurf: Zu spät hätten die Vereinten Nationen auf die Hungerkatastrophe reagiert. Über die ersten verhaltenen Hilferufe in den Wochen vor dem verheerenden Tsunami hatten die UN hinweg gehört - später dominierten andere afrikanische Krisenherde wie der Sudan die Diskussionen und Wahrnehmungen in der Weltorganisation.

Situation heruntergespielt

Zu der späten Reaktion der Vereinten Nationen kam es aber auch, weil die nigrische Regierung selbst die Situation systematisch herunter spielte. Bis heute sieht der nigrische Präsident Mamadou Tandja keine Hungersnot in seinem Land, sondern spricht von einem leichten "Nahrungsmittel-Defizit". Das grenzt an Verleumdung und zeugt von politischer Verantwortungslosigkeit.

Die politische Klasse in der Hauptstadt Niamey will die Probleme des Landes nicht sehen. Wohl auch, weil sie selbst von den Nothilfe-Programmen kaum profitiert. Kofi Annan wird deshalb bei seinen nigrischen Gesprächspartnern deutlich werden müssen: Die Regierung in Niamey muss die immensen Aufgaben sehen, vor denen sie steht. Und sie muss ihrer politischen Verantwortung auch nachkommen. Es ist nicht entschuldbar, dass Lastwagen mit Hilfslieferungen zur Bedienung der eigenen Clans eingesetzt werden, dass Staatsbeamte oder ihre Angehörigen Lebensmittel aus Hilfslieferungen auf den Märkten der Nachbarstaaten verscherbeln. Und es ist nicht zu akzeptieren, dass die Hilfsorganisationen aus aller Welt vor Ort so gut wie nicht von den staatlichen Strukturen unterstützt werden.

Mangel ist Normalität

Die Katastrophe zeigt in aller Deutlichkeit: Niger hat - wie eine Reihe seiner afrikanischen Nachbarn - der Globalisierung nichts entgegenzusetzen. Das Land mit einer der höchsten Geburtenrate der Welt - durchschnittlich acht Kinder pro Frau - lebt so gut wie ausschließlich von der Landwirtschaft. Und das mehr schlecht, denn für die Produkte aus dem Sahel werden auf dem Weltmarkt keine fairen Preise gezahlt. Die Wüste frisst sich in jedem Jahr weiter nach Süden vor, das führt zu Verteilungskämpfen zwischen Bevölkerungsgruppen - und dazu, dass Nahrungsmittel unerschwinglich teuer sind. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung in jedem Jahr um drei Prozent.

Auch in ganz normalen Ernte-Jahren ist ein Drittel der Kinder unterernährt. Der Mangel ist Normalität im Sahel - und der Tod durch Unterernährung ein Begleiter für viele. Bevölkerungsentwicklung, Politik und Wirtschaft sind längst aus dem Gleichgewicht, in Niger kann es in jedem Jahr aufs Neue zu einer Hungerkatastrophe wie der jetzigen kommen.

Bildung ist Schlüsselfaktor

Wird Kofi Annan auf Ansprechpartner der Regierung treffen, die für diese riesigen strukturellen Probleme einen Blick haben? Sicher ist das nicht. Die nigrische Regierung fürchtet offensichtlich jeden Gesichtsverlust. Ihre politische Verantwortung wollte sie bisher nicht sehen - und schon gar nicht wahrnehmen. Genau daran aber muss Kofi Annan seine Gesprächspartner in Niamey erinnern. Genauso wie die großen Geberstaaten aus dem Norden, die Niger seit Jahren mit Entwicklungsgeldern unterstützen. Frankreich gehört dazu. Und auch für Deutschland ist Niger Partnerland in der Entwicklungszusammenarbeit.

Effizienter als bisher sollte die nigrische Regierung diese Gelder in den Bereichen Landwirtschaft und Bildung einsetzen. Bildung ist ein Schlüsselfaktor, damit Entwicklung in der Region überhaupt möglich ist. Die Analphabeten-Rate bei Frauen liegt bei kaum vorstellbaren 93 Prozent. Solange das so ist, lassen sich weder neue Anbau-Methoden, ein verbessertes Wasser-Management vermitteln, noch das Bevölkerungswachstum wirklich drosseln. Beides aber sind Voraussetzungen, um die Menschen im Niger gegen wiederkehrende Katastrophen zu schützen.

Rückzugsgebiet von Islamisten?

Anstelle einer staatlichen Schule besucht in manchen Orten, vor allem an der Grenze zu Nigeria, ein großer Teil der Kinder Koran-Schulen, finanziert durch arabische Staaten oder den großen Nachbarn Nigeria. In einigen südlichen Regionen des Landes - auch in der jetzt besonders vom Hunger betroffenen Region um Maradi - hat sich ein rigider Islam durchgesetzt. Die Sahel-Region gilt deshalb nicht nur bei amerikanischen Militär-Strategen als Rückzugs- und Operationsgebiet militanter Islamisten.

Nothilfe ist gut - wichtiger aber ist eine nachhaltige Politik für die Sahel-Zone, die nicht an den Grenzen Nigers halt macht. Die Geber müssen sich nachdrücklich, langfristig und im engen Dialog mit der Regierung in Niamey für mehr Schulen, mehr Bildung für alle einsetzen. Ansonsten droht neben wiederkehrenden humanitären Katastrophen, die vor allem die lokale Bevölkerung betreffen, im Sahel schon in Kürze ein ideologischer und politischer Flächenbrand - mit Risiken für die ganze Welt.