1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wechsel mit Wirkung

Mariana Santos22. November 2012

Joaquim Barbosa ist der neue Präsident des Obersten Gerichtshofs in Brasilien - als erster Schwarzer. Das könnte in dem südamerikanischen Land ein Anfang für mehr öffentliche Teilhabe der Schwarzen sein.

https://p.dw.com/p/16nnY
Joaquim Barbosa, der am 22.11. als Präsident des brasilianischen Obersten Bundesgerichts vereidigt wird Foto: Nelson Jr. (DW Archiv)
Bild: Nelson Jr

Er war an der Reihe: Joaquim Barbosa hat den Vorsitz des Supremo Tribunal Federal (SFT) an diesem Donnerstag (22.10.2012) übernommen. Nun ist er der erste Präsident von Brasiliens Obersten Bundesgericht, der sich selbst als schwarz einstuft.

In Brasilien definiert man seine Hautfarbe nämlich selbst: Beim Zensus 2010 gaben mehr als die Hälfte der Brasilianer gegenüber dem nationalen Statistikamt an, "schwarzes" Blut zu haben. 43 Prozent deklarierten sich als Pardos (Mischlinge) und 7,5 Prozent tatsächlich als Schwarze. Zum Vergleich: In den USA gelten weniger als 13 Prozent der Bevölkerung als Afroamerikaner. Allerdings muss man festhalten: Einen schwarzen Staatspräsidenten hatte Brasilien noch nie. Und auch sonst sind Dunkelhäutige auch hier in hohen Ämtern unterrepräsentiert.

DW-Grafik: Peter Steinmetz Quelle: IBGE
Mehr als die Hälfte der Brasilianer bezeichnen sich als Mischlinge oder Schwarze

Schon als Barbosa 2003 zum ersten schwarzen Bundesrichter in der Geschichte Brasiliens ernannt wurde, sprach er von einem "Akt von großer Bedeutung", der der Gesellschaft das Ende gewisser sichtbarer und unsichtbarer Barrieren signalisiere.

Soziale Benachteiligung

Die Folgen dieser Barrieren finden sich zum Beispiel in der Bildung: Nach Angaben des brasilianischen Bildungsministeriums hat 2011 nur einer von zehn schwarzen Brasilianern (Mischlinge eingerechnet) im Alter zwischen 18 und 24 Jahren studiert. Bei den Weißen war es jeder Vierte.

Nelson Inocêncio, Koordinator des Zentrums für afro-brasilianische Studien an der Universität Brasilia, zeigt eine Konsequenz der Diskriminierung in der Arbeitswelt auf: Schwarze arbeiten vor allem dort, wo Arbeitsschutzgesetze besonders stark missachtet werden. Das gilt zum Beispiel für Hausangestellte, von denen 68 Prozent dunkelhäutig sind.

Deshalb habe der Aufstieg Barbosas in der Justiz starke Symbolkraft. Aber Inocêncio stellt er klar, dass Brasilien gerade erst beginnt, Schwarzen den Weg in die Politik und in öffentliche Ämter zu ebnen: "Wir erkennen, dass es eine aufstrebende schwarze Mittelklasse in Brasilien gibt. Auch die Ernennungen von Kulturminister Gilberto Gil und der Gouverneurin Benedita da Silva sind Fortschritte. Aber es bleibt noch einiges zu tun."

Das sieht offenbar auch die Präsidentin Dilma Rousseff so. Eigentlich wollte sie schon am "Tag des Schwarzen Bewusstseins" (20.11.) eine Quote für Afrobrasilianer in öffentlichen Ämtern ankündigen. Daraus wurde nichts. Immerhin, hieß es, sei ein entsprechender Gesetzesentwurf in Arbeit, der außerdem Anreize für Unternehmen beinhalten könnte, eine solche Quote zu beachten.

Eine große Fürsprecherin einer Quotenregelung ist Luislinda Valois. Die 69-Jährige wurde 1984 die erste schwarze Richterin in der Geschichte Brasiliens. Auch sie hatte gegen Vorurteile und Diskriminierung anzukämpfen. "Mein garantiertes Recht, Richterin der zweiten Instanz zu werden, musste ich einklagen." Und auch Jahre später hatte ihr Sohn noch mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, bis er Staatsanwalt wurde.

Quoten-Schwarzer oder Super-Richter?

Böse Zungen behaupten, Joaquim Barbosa habe sein Amt als Bundesrichter nur einer Quote zu verdanken. Fakt ist, dass der frühere Präsident Lula da Silva unbedingt einen Schwarzen im Obersten Bundesgericht haben wollte. "Damals wurde mir die ethnische Diskriminierung deutlich. Es war nämlich schwer, überhaupt einen schwarzen Richter für dieses Amt zu finden", erinnerte sich Lula Jahre später in einem Interview.

Am Ende fand der Präsident seinen Kandidaten in Barbosa. Der hatte hart gearbeitet, um aus den ärmlichen Verhältnissen seines Elternhauses im kleinen Ort Paracatu im Bundesstaat Minas Gerais herauszukommen. Schon als kleiner Junge erlebte er den Zwiespalt: hier die Töpferei seines Vaters für die tägliche Mahlzeit, dort die Bücher, die den sozialen Aufstieg versprachen.

Barbosa widmete sich beidem und schaffte seine Hochschulzulassung, bekam einen Studienplatz in Brasilia und machte seinen Master in Rechtswissenschaften. Er promovierte als Stipendiat in Paris, lehrte an Universitäten in Rio de Janeiro, New York und Los Angeles. Zwischendurch lernte er auch noch Deutsch - während seiner Studienaufenthalte in Deutschland und Österreich. Neben seiner Muttersprache Portugiesisch spricht Barbosa damit inzwischen vier weitere Sprachen fließend.

Joaquim Barbosa mit Richterkollegen Foto: Gervasio Baptista (DW Archiv)
Im Korruptionsprozess-Mensalão legte sich Joaquim Barbosa auch mit seinen Kollegen anBild: Gervasio Baptista

Brasiliens Nationalheld

Seit neun Jahren ist Barbosa nun Richter am Obersten Bundesgericht. Dies ist in Brasilien die höchste Justizinstanz und Verfassungsgericht zugleich. Und während des schlagzeilenträchtigen Korruptionsprozesses "Mensalão" gegen zahlreiche Mitglieder von Lulas Arbeiterpartei PT stieg der 58-jährige, temperamentvolle Jurist zum Star auf. Als einer der Vorsitzenden Richter des Tribunals lieferte er sich öffentliche Diskussionen mit seinen Kollegen und drängte unbeirrt darauf, auch Spuren nachzugehen, die seinen einstigen Förderer Lula belasteten.

In Brasilien ist er nun so etwas wie ein Nationalheld. Es gibt zahlreiche Fanseiten im Internet und bei sozialen Medien - und sogar eine Karnevalsmaske mit dem Gesicht des Richters kann man kaufen.