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Der Papst als Bühnenstar - Rolf Hochhuths Stück "Der Stellvertreter"

31. Juli 2009

Warum protestierte der Papst nicht gegen die nationalsozialistische Judenvernichtung? Trifft den Vatikan ein Mitschuld? Mit diesen Fragen sorgt Schriftsteller Rolf Hochhuth 1963 auf der Theaterbühne für einen Eklat.

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Ein Sonnenbad nimmt hier in einem Kurfürstendamm-Kaffeehaus Rolf Hochhuth, dessen Schauspiel "Der Stellvertreter" am 20.2.1963 im Theater am Kurfürstendamm erfolgreich uraufgeführt wurde.
Unbequem: Rolf Hochhuth kämpft gegen den Muff der Adenauer-ÄraBild: AP

"Ich habe damals tatsächlich etwas gemacht, was viele Jahrzehnte lang niemand mehr gemacht hatte", erinnert sich Rolf Hochhuth. Der Schriftsteller formuliert in seinem Bühnendrama "Der Stellvertreter" einen brisanten Vorwurf: Papst Pius XII. habe zur Shoah geschwiegen, obwohl er bereits 1942 von den Mordaktio­nen in Auschwitz Kenntnis besaß. 1963, am Ende der konservativen Ära Adenauer, ist das ein Tabubruch, der den damals noch völlig unbekannten Verlagslektor zur öffentlichen Figur macht.

Szene aus dem Stück "Der Stellverteter" von Rolf Hochhuth während der Uraufführung am 18.Februar 1963 im Theater am Kurfürstendamm in Berlin.
Unverschämt? Das Stück schlage der päpstlichen Würde ins Gesicht, lautet die KritikBild: picture-alliance/ dpa

Nach der Uraufführung in der Berliner Volksbühne werfen ihm seine Kritiker Geschichtsfälschung vor und stellen die literarische Qualität des Dramas in Abrede. Das Theaterstück schlage der päpstlichen Würde ins Gesicht, meldet die katholische Nachrichtenagentur. Es ist die Würde der Adenauer-Zeit, die da betroffen aufheult, eine muffige Allianz aus Klerus und Politik, die mit Biedermeier-Miene zur NS-Vergangenheit schweigen will, wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" schreibt. Hochhuth hat an der moralischen Integrität der katholi­schen Amtskirche gerührt.

Alles nur Theater?

Das Bühnendrama handelt von SS-Obersturmführer Kurt Gerstein, der verfolgten Juden zur Flucht verhilft und den Papst vergeblich dazu zu bewegen versucht, das Reichskonkordat mit Deutschland zu lösen. Und da ist der junge Pater Riccardo, der beim katholischen Oberhirten auf Ablehnung mit seiner Forderung stößt, die Judenvernichtung vor der Weltöffentlichkeit zu verurteilen. Dieser Riccardo stellt die christliche Nächstenliebe höher als den Gehorsam gegenüber dem Papst - mit der Konsequenz, dass er den Opfern in die Gaskammer folgt. Der Papst hingegen bleibt untätig und schweigt zu den Deportationen der italienischen Juden. "Ich habe als Protestant oft gehört, dass der Papst nicht berechtigt gewesen sei, seinen Priestern das Martyrium anzubefehlen", so Hochhuth, "aber er hätte sich der Judenverfolgung selber in irgendeiner Weise stellen müssen."

Papst Pius XII.
Unantastbar: Die Kritik an Papst Pius XII. und dem Vatikan sorgt für EmpörungBild: AP

"Der Stellvertreter" ist keineswegs anti-päpstlich. Das Drama zeigt durchaus, dass der Vatikan den Bedrängten geholfen hat: Die katholische Kirche hat Juden versteckt, ih­nen Pässe und Geld verschafft und ihnen ihre Klöster geöffnet. Aber der Bann über die Nationalsozialisten ist ausgeblieben. Papst Pius XII. hat weder öf­fentlich noch auf diplomatischem Wege gegen den Massenmord protestiert. Hochhuth zeichnet den Papst als eifrigen Karrieremenschen, der in Stalin den größeren Massenmörder am Werke sieht als in Hitler.

"Auch wenn es meinen Kopf kostet!"

Aufnahme des Regisseurs Erwin Piscator am 29. August 1965 in Frankfurt am Main.
Unerschrocken: Erwin Piscator übernimmt die Regie des Skandal-StücksBild: picture-alliance/ dpa

Mit der Inszenierung des Dramas betraut die Berliner Freie Volksbühne Erwin Piscator, den großen alten Mann des politischen Theaters in Deutschland: "Als ich das Stück las, telegraphierte ich: Das spiele ich, auch wenn es mich meinen Kopf als Intendant kostet." Piscator wird zwar nicht entlassen, aber die Premiere gerät zum Skandal. Theater als eine Form der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, das ist 1963 neu in der Bundesrepublik. Mit seiner Version des Stellvertreters Christi auf Erden hat Hochhuth eine literarische Mischung aus Dokument, Fiktion und Anklageschrift geschaffen.

Noch 1986 bedauert der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, "dass einem der Vorgänger des jetzigen Papstes durch einen Schriftsteller deutscher Zunge Unrecht widerfahren" sei. Hochhuths bleibender Verdienst ist, dass er die Verantwor­tung des Einzelnen gegenüber staatlicher und kirchlicher Autori­tät gezeigt hat. Im "Stellvertreter" werden auch diejenigen zu Mittä­tern, die Unrecht dulden, ob nun als Mitleidslose, als Mitwisser – oder als Zuschauer.


Autor: Michael Marek
Redaktion: Ramon Garcia-Ziemsen