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Das Phänomen Schlämmer

17. August 2009

Der echte Wahlkampf kommt nicht in Fahrt, der Spaßwahlkampf umso mehr. Deutschland lacht über Horst Schlämmer, der angeblich Kanzler werden will. Und was, wenn er kandidieren würde? Fast jeder Fünfte würde ihn wählen.

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Der Schauspieler Hape Kerkeling in seiner Rolle als Lokalreporter Horst Schlaemmer haelt am Dienstag, 4. August 2009, in Berlin bei einem Fototermin fuer den Film "Horst Schlaemmer - Isch kandidiere!" Faehnchen seiner Horst Schlaemmer Partei, HSP. (AP Photo/Gero Breloer) --- German comedian and actor Hape Kerkeling in his role as local beat reporter Horst Schlaemmer holds small flags of his mock Horst Schlaemmer Party, HSP, as he poses during a photo call for the movie "Horst Schlaemmer - Isch kandidiere!", in Berlin, Germany, on Tuesday, Aug. 4, 2009. The title of the movie translates to "Horst Schlaemmer - I run for office". (AP Photo/Gero Breloer)
Bild: waehle-schlaemmer.de

"Wenn ich mir so manch reale Politiker mit ihren Aussagen und Textbausteinen vor der Kamera anschaue, empfinde ich diese eher als Karikatur als Herrn Schlämmer," schreibt "Schade 77" in einem Internet-Blog. Er ist einer von vielen: Egal ob im Netz oder am Stammtisch, egal ob jung oder alt, alle reden über den Kanzlerkandidaten Horst Schlämmer. Das Problem: Seine "Horst-Schlämmer-Partei" (HSP) ist fiktiv, eine reine Spaßpartei, hinter der sich der wohl beliebteste deutsche Komiker und Entertainer verbirgt: Hape Kerkeling.

Harmloser Hape

Und doch glauben viele, dass es die HSP gibt. Das liegt daran, dass Horst Schlämmer alle Register zieht: von Twitter über Facebook. Alle großen Zeitungen und Fernsehprogramme sind auf den Zug aufgesprungen. Deutschland ist im HSP-Fieber. Die HSP-Kampagne hat auch das Ziel, einen Film zu bewerben, der am Donnerstag in die Kinos kommt. "Isch kandidiere" heißt er im Dialekt Horst Schlämmers, was so viel heißt wie: Ich kandidiere. Ob der Film so gut ist wie die Kampagne, wird sich erweisen. Auch, ob der Film verpufft, weil die Kampagne so gut ist.

Der erste Eindruck, wenn man sich die Film-Trailer anschaut: Es ist zum Schmunzeln, wie Schlämmer Parteivorsitzende und Ministerpräsidenten ins Gespräch verwickelt oder wie er im Straßenwahlkampf jammert: "Ich habe Rücken". Alles sehr nett, vielleicht zu nett, vielleicht zu harmlos. Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling ist kein Sacha Baron Cohen alias Brüno alias Borat. Aber immerhin. Wir amüsieren uns.

Horst-Schlämmer-Plakat: "Isch kandidiere!" (Foto: wähle-schlämmer.de)
Horst-Schlämmer-Plakat: "Isch kandidiere!"

"Gut, dass die Wähler verdrossen sind"

Mehr noch: Claudius Seidl, der Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, bedankt sich bei Horst Schlämmer angesichts der gähnenden Langeweile, die sich im echten Wahlkampf allenthalben ausbreitet. "Es ist, als wäre Horst Schlämmer, der fiktionale Kanzlerkandidat, genau im richtigen Moment zu uns gekommen: um uns darauf hinzuweisen, dass jene öffentlichen Personen, die zur Wahl tatsächlich zugelassen worden sind, auch mehr die Fiktionen ihrer Spin-Doktoren sind und weniger die ernstzunehmenden, zweifelnden und denkenden Menschen, als welche wir uns diese Kandidaten auch weiterhin vorstellen wollen. Wenn der ganze Unmut, den dieser Wahlkampf beim Publikum bewirkt, wenn das alles ein Zeichen von Politikverdruss ist: wie gut, dass die Wähler verdrossen sind."

Martin Sonneborn von der Partei "Die Partei" gibt am Donnerstag (06.08.2009) im Jakob Kaiser Haus in Berlin nach der zweiten Sitzung zur Bundestagswahl 2009 ein Interview und zeigt sein T-Shirt, auf dem "Where is my Vote, Wahlleiter?" zu lesen ist. Der Ausschuss entschied in der Sitzung über die Zulassung der Parteien "Freie Union", "Die Grauen" und "Die Partei" und "Die Bürgerpartei für Alle" zur Bundestagswahl. Foto: dpa
Martin Sonneborn von der Partei "Die Partei"Bild: picture-alliance/ dpa

Böser Martin

Martin Sonneborn ist zwar nicht ganz so berühmt wie Horst Schlämmer, aber doch auch ständig in den Schlagzeilen. Vor allem macht er sich immer wieder Feinde, ist weniger harmlos als Hape Kerkeling. Sonneborn war früher Chef des Satire-Magazins Titanic. Heute ist er Bundesvorsitzender der Partei "Die Partei". Sie ist real und will antreten bei der Bundestagswahl am 27. September. Dem hat aber der Bundeswahlleiter einen Riegel vorgeschoben. Doch "Die Partei" will weiter kämpfen, um doch noch auf dem Wahlzettel zu landen. Sie hat schon mehrfach bei Wahlen kandidiert und bekam zuletzt bei den Landtagswahlen in Hamburg 0,4 % der Stimmen.

Filmplakat "Die Partei"
Filmplakat "Die Partei"

"Wir sind die Partei, die an die Macht will. Das ist unser zentraler Programm-Punkt", sagt Martin Sonneborn im Gespräch mit DW-WORLD.

Mit der HSP von Horst Schlämmer verbindet ihn gar nichts, sagt Martin Sonneborn. "Die Partei" sei der absolute Gegensatz zur HSP: "Die HSP ist eine fiktive Partei und hat einen extrem schlecht aussehenden Spitzenkandidaten. Wir sind eine echte Partei und haben eine extrem gut aussehende Spitzenkandidatin."

Sie heißt Samira El Ouassil. Sie ist 23 Jahre alt und Studentin in München. "Die Partei" hat ein Kanzlerkandidatinnen-Casting veranstaltet. Gesucht wurden Frauen, die jünger als 35 Jahre alt sind, politische Visionen haben und "bereit sind, als willenlose Marionetten in den Händen des Bundesvorstands zu agieren". Sonneborn sagt im Gespräch mit DW-WORLD: "Unser Motto lautet: Frau, ja, aber schöner. Und das ist ganz klar gegen die Bundeskanzlerin gerichtet."

Ein Satiriker, der es ernst meint

Kaum hat er sich über CDU-Chefin Angela Merkel lustig gemacht, knöpft er sich die SPD vor: "Wann haben die eigentlich zuletzt eine Bundestagswahl gewonnen? Das muss vor meiner Geburt gewesen sein", lästert Sonneborn, liegt in diesem Punkt aber nicht ganz richtig. Er kam am 15. Mai 1965 in Göttingen zur Welt.

Sonneborn will es wissen. Er ist ein ernsthafter Wahlkämpfer. Er hat ein Buch geschrieben: "Das Partei Buch. Wie man in Deutschland eine Partei gründet und die Macht übernimmt". Gerade ist im Kino sein Film angelaufen: "Die Partei". Er bezeichnet den Streifen als einen "90minütigen Propaganda-Dokumentarfilm". Das sei der "bisher geistreichste Beitrag zum Bundestagswahlkampf", schrieb ein Kritiker. "Kunststück", kontert Sonneborn, "Wahlkampf und Geist - das ist ein Widerspruch in sich".

Man reibt sich die Augen, wie Martin Sonneborn und Horst Schlämmer diesen Wahlkampf prägen. Satire und Spaß als Surrogat für Ernsthaftigkeit. Oder um den "Spiegel" zu zitieren: "Es läuft ein reiner Fun-Wahlkampf in der Bundesrepublik, wohl der erste in ihrer Geschichte."

Autor: Andreas Main
Redaktion: Elena Singer