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"Der Rikscha-Reporter"

26. März 2009

Seit zehn Jahren lebt der langjährige SPIEGEL-Korrespondent Jürgen Kremb in Südostasien, berichtet über Politik, Wirtschaft - und über ganz einfache Menschen. Über seine Erlebnisse hat er jetzt ein Buch geschrieben.

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Fahrradrikschas in Thailand (Foto:J. Sorges)
Fahrradrikschas in ThailandBild: J. Sorges
Buchautor Jürgen Kremb (Foto:dpa)
Der SPIEGEL-Korrespondent und Buchautor Jürgen KrembBild: picture-alliance / dpa

Oft fallen gerade die persönlichen Geschichten der Aktualität zum Opfer, finden keinen Platz im schnellen Nachrichtengeschäft. Um den Beobachtungen trotzdem eine Plattform zu geben, kreierte Spiegel Online im Jahr 2007 eine Internet-Kolumne mit dem Titel "Rikscha-Report". Der Grundstock für das jetzt erschienene Buch "Der Rikscha-Reporter", einer Sammlung von Reportagen aus zehn südostasiatischen Ländern, von Malaysia über Laos bis zu den Philippinen. Es sind ganz unterschiedliche Berichte, die der Autor für sein Buch ausgewählt hat: politische Storys wie über die Niederschlagung der Mönchsproetste in Birma im Herbst 2007. Oder aber ganz persönliche Schilderungen aus dem eigenen Alltag. So schildert Kremb den Fehlstart seiner Familie in Singapur – wo der Familie des Autors bereits beim Umzug die Videokamera gestohlen wird. Und das ist nur der Auftakt:

Bald wurden wir, zumindest für Singapurer Verhältnisse, Opfer einer beispiellosen Verbrechensserie. Gut, dass sich das ursprünglich als geklaut vermutete Handy meines jüngsten Sohnes Julia im Toilettenbecken der deutsch-europäischen Schule wiederfand. Das ließ sich ja noch als dummer Jungenstreich abtun. Aber kurz danach wurden meinem Ältesten Moritz zweimal die Schuhe geklaut. (…) Am 2. Juni 2007 stand morgens um vier Uhr ein Einbrecher in unserem Schlafzimmer. Ich dachte zuerst, dass ich träume. Aber als er nach der Uhr auf meinem Nachttisch griff, den Laptop meines Sohnes unter dem Arm, entschloss ich mich zur Verfolgung. Doch der Kerl war schneller.

Buchcover von Jürgen Krembs Buch Der Rikscha-Reporter

Der Laptop-Dieb kann entkommen, wird nicht bestraft für seine Taten. Ganz anders als die Deutschen, die in Thailand gegen das Gesetz verstoßen haben und in örtlichen Gefängnissen langjährige Haftstrafen verbüßen oder gar auf die Hinrichtung warten. Meist sind es Drogendelikte, für die die Bundesbürger einsitzen. Ein Gefängnis-Alltag unter extremen Bedingungen. Denn – so beschreibt es Jürgen Kremb - mit deutschen Standards haben die Zustände in Thailand nichts gemeinsam.

Das Essen erinnert an den Kehrrichthaufen eines Fischmarktes. Wenn es Gemüse gibt, dann ist es verfault. Zum Waschen dient das Wasser des nahen Flusses, der gleichzeitig von den benachbarten Slums als Abwasserkanal genutzt wird. Im normalen Strafvollzug sind 30 Häftlinge in einer 24 Quadratmeter großen Zelle untergebracht. Es gibt kein Bett in der Zelle, keinen Stuhl, geschlafen wird auf dem nackten Betonboden. (…) Als Toilette dienen drei Löcher im Boden, daneben müssen die Neuankömmlinge schlafen. Tuberkulose, Hautkrankheiten und HIV-Infektionen sind weit verbreitet.

Indonesischer Fischer mit Netz (Foto:ap)
Ein Fischer in IndonesienBild: AP

Eine ganz andere Geschichte hat Jürgen Kremb in Indonesien erlebt. Es ist die Erfolgsgeschichte eines alten Mannes, der in seinem Dorf zum Helden wird. Weil sein Geschick der Gemeinschaft ein mehrwöchiges Festmahl ermöglicht. Die Menschen in dem kleinen Küstenort leben mit dem Meer – und von ihm. Der Fischfang gehört für sie zum Alltag dazu. Und Jagd machen sie dabei auch auf die größten Meeressäuger: auf Wale. Allerdings: die Tiere werden nicht mit modernem Gerät erlegt, sondern ganz ohne technische Hilfsmittel. Es kommt auf das Geschick und das Glück der Fischer an – darum geht es in dieser Reportage:

Als das größte Tier aus der Herde ausbrach, sah Elias, der Harpunier, seine Chance gekommen. Mit einem Handzeichen signalisierte er seiner Mannschaft, dass sie dem Riesen der Meere nachsetzen sollten. Kaum war das Boot auf gleicher Höhe mit dem gigantischen Kopf des Tieres, da reckte sich Elias auf die Zehenspitzen und stürzte sich mit seinem ganzen Körper auf den Wal. Zuerst sprang der alte Mann einen Meter hoch, dann schien er waagerecht durch die aufgewirbelten Wassertropfen zu fliegen und schließlich senkte er sich, der Harpune folgend über den gigantischen Tierleib.

Minenräumer in Laos (Foto:ap)
Minenräumer in LaosBild: AP

Welten liegen zwischen dem Alltag der einfachen Fischer und dem der rivalisierenden Jugendbanden in Bangkok, Welten liegen zwischen dem modernen Stadtstaat Singapur und dem Leben in den Slums der philippinischen Hauptstadt Manila. Und eine schwere Vergangenheit lastet beispielsweise auf den Ländern des ehemaligen Indochina: Kambodscha leidet auch drei Jahrzehnte nach dem Ende des Völkermordes der Roten Khmer unter den Folgen dieser schrecklichen Zeit. Laos ist bis heute von Blindgängern aus dem Vietnamkrieg übersäht, die in mühevoller Kleinarbeit Stück für Stück unschädlich gemacht werden müssen. Und auch in Vietnam hinterlässt der so genannte „Amerikanische Krieg“ noch immer neue Spuren. Spuren bei denjenigen, die diesen Krieg gar nicht selbst miterlebt haben. Denn noch immer fordert das grausame Entlaubungsmittel Agent Orange neue Opfer, werden Kinder mit schwersten Missbildungen geboren:

Im Tu-Doc-Krankenhaus in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, steht die kleine Ärztin im Ao Dai aus weißer Seide am Bettchen von Hai. Wenn das 14 Monate alte Baby sich bewegen will, rotiert es hilflos wie ein auf dem Rücken liegender Maikäfer um den monströsen Wasserkopf herum, der es schwer ins Laken drückt. „Zwei, drei Monate“ gibt die Medizinerin Van diesem verformten Klumpen Leben noch.

"Der Rikscha-Reporter" ist eine abwechslungsreiche Mischung aus Reportagen über eine Weltregion, die an politischer und kultureller Vielseitigkeit wohl kaum zu überbieten ist. Wer auf der Suche nach politischen Analysen und nüchterner Berichterstattung ist, der wird hier nicht auf seine Kosten kommen. Wer sich aber für kleine Geschichten aus dem Alltag interessiert, für Momentaufnahmen aus dem Leben von Menschen, über die sonst selten berichtet wird, für den ist das Buch von Jürgen Kremb genau richtig.

Jürgen Kremb: Der Rikscha-Reporter

Gebundene Ausgabe: 240 Seiten

Verlag: Herbig; Auflage: 1 (20. Februar 2009)

ISBN-10: 377662597X

ISBN-13: 978-3776625974

Preis: € 17,95

Autor: Esther Broders

Redaktion: Thomas Latschan