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Der russische Katastrophenmonat

Stephan Hille, Moskau9. August 2005

Ist es Zufall? Ist es Aberglaube? Oder eine Verkettung unglücklicher Umstände? Fest steht, dass in Russland im Monat August häufig Unglücke passieren. Wie die Regierung mit ihnen umgeht, zeugt von wenig Menschlichkeit.

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Der Sommermonat August hat es in sich: Wieder sank ein russisches U-Boot. Die dramatische Rettungsaktion, die nur dank Hilfe britischer Spezialisten zum Erfolg führte und das Leben der sieben Besatzungsmitglieder rettete, weckt Erinnerungen an den Untergang der "Kursk" vor fünf Jahren. Damals starben 118 Seeleute.

Stephan Hille
Stephan Hille

Im August 2003 ging ein anderes U-Boot, die "K-159", ein 40 Jahre altes U-Boot auf dem Weg zu Verschrottung in der Barentssee unter, neun Besatzungsmitglieder starben. Dieses Mal ging es für die Besatzung des kleinen Tauchapparates "AS-28" gut aus. Anders als beim Untergang der "Kursk" akzeptierte die russische Flottenführung rechtzeitig ausländische Hilfe, doch das Krisenmanagment der russischen Führung wirft abermals einen Schatten auf den Kreml und seinen Umgang mit Katastrophen.

Schweigen im Kreml

Schließlich hatte der Kreml den Unfall über einen Tag lang verschwiegen. Offenbar gelangten Informationen über den Zwischenfall nur deshalb an die Öffentlichkeit, weil die Frau eines der Matrosen am Freitagmorgen anonym bei einem Radiosender auf der Halbinsel Kamtschatka anrief - fast 24 Stunden nachdem das U-Boot ein Notsignal abgegeben hatte. Danach speiste die Flottenführung wiederum die Öffentlichkeit mit Halbinformationen und widersprüchlichen Informationen über die Unglücksursache ab, während Präsident Putin und der inzwischen in den Ruhestand geschickte Flottenchef auf Tauchstation gegangen waren.

Zwar gilt der August auch in Russland als Urlaubsmonat, doch ebenso hat sich der Sommermonat im Bewusstsein der Russen als Schicksalsmonat festgesetzt. Und so zittern sie sich, wie übrigens auch die Journalisten, jedes Jahr aufs Neue durch jene vier Wochen, die zwischen dem 31. Juli und 1. September liegen, immer mit dem bangen Gefühl, es könnte jederzeit ein Elend oder eine Katastrophe losbrechen.

Bombe, Finanzkrise, Brand

Aberglaube? Mag sein, doch im Rückblick finden sich genügend Beispiele, die den August als Krisenmonat erscheinen lassen. Zum Beispiel das Attentat auf den Ministerpräsidenten Stolypin, im August 1904, bei dem 29 Menschen von einer Bombe zerrissen wurden. Im August 1968 brachten sowjetische Panzer das Unglück nach Prag. 1991 versuchte eine kleine Gruppe von Putschisten als "Notstandskomitee" die Uhr zurückzudrehen und schaufelte damit der schwach gewordenen "Tante‑Sowjetunion" endgültig das Grab. Auch den August des Folgejahres haben die Russen in schlechter Erinnerung, denn da begann die Privatisierung per "Voucher". Alle Russen sollten Eigentümer werden, de facto wurden sie ärmer. Mit der Finanzkrise im August 1998 kam wieder ein teuflischer Monat, als der Rubel ins Bodenlose stürzte und mit ihm die Ersparnisse der Russen. Im August 2000 schließlich sank die "Kursk", Stolz der russischen Nordmeerflotte und nur Tage später brannte der Moskauer Fernsehturm.

Für die Besatzung des Mini-U-Bootes "AS-28" vor Kamtschatka endete das, wie eine Katastrophe aussah, zu ihrem großen Glück glimpflich. Mit einer Unterkühlung aber mit dem Leben kamen die Marinesoldaten davon. Für Russland entpuppt sich das Drama im Fernen Osten dennoch als großer Schaden: Einerseits wurde klar, dass die Flotte aus der Katastrophe der "Kursk" nichts gelernt hat und auch fünf Jahre danach nicht über das nötige Gerät zur Rettung von havarierten U-Booten verfügt.

Die Tatsache, dass die Flottenführung den Zwischenfall zunächst verschwieg und später nur vorsichtig mit Informationen herausrückte, zeigt, dass sich am Wesenszug des russischen Regierungsstils nicht viel geändert hat. Die Handlungsmaxime scheint noch immer zu lauten: Erst das Land, dann die Menschen.