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Der Stadtwanderer

Katja Lückert17. April 2012

365 Tage lang hat Schriftsteller Michael Kohtes im vergangenen Jahr beobachtet, was sich um ihn herum tut. Und es dann aufgeschrieben. In Köln, Wien oder Berlin. Damit folgt er einem Trend.

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Touristen spazieren durch einen Säulengang auf der Museumsinsel Berlin (Foto: AP)
Museumsinsel in BerlinBild: dapd

Stadtwanderungen und literarische Spaziergänge sind gerade in Mode. Das liegt womöglich daran, dass wir das "große Ganze", wie die Finanzkrise im Euroraum und ihre möglichen Folgen, ebenso wenig begreifen wie voraussehen können. Jedenfalls erscheinen in diesem Frühjahr einige Bücher mit literarischen Stadtspaziergängen, in denen Schriftsteller Begebenheiten aus ihrem Nahbereich erzählen.

Ein Großstädter auf Wanderschaft

"Ich bin ein leidenschaftlicher Stadtwanderer", erzählt Michael Kohtes. "Ich mache das schon seit vielen Jahren. Man geht wacher durch die Stadt, als wenn man mit dem Auto oder dem Fahrrad fährt." Natürlich sei es nicht mehr die Lust des klassischen Flaneurs, der es seinerzeit mit einer beschaulichen, bürgerlichen Stadtwelt zu tun hatte. "Der heutige Stadtgänger ist vor allem Verkehrsteilnehmer." Aber es habe auch heute noch einen besonderen Reiz, die Umgebung laufend zu erkunden.

"365 Tage. Ansichten von K." ist ein heiteres Buch voller kleiner Geschichten, Anekdoten und Fotos, die Kohtes selbst macht, wo immer ihm etwas Skurriles auffällt. "Ich hatte immer eine kleine Digitalkamera dabei, es sind natürlich Schnappschüsse. Ich bin ja nur Hobbyfotograf. Aber vielleicht öffnen sie doch zusätzliche Dimensionen."

Ein Rädchen im großen Weltgetriebe

2011 war das Jahr der Bankenkrise, des arabischen Frühlings, das Jahr, in dem Gaddafi erschossen wurde, Mubarak stürzte und in Japan die Erde bebte. Dieses Jahr hat der Autor und Essayist Kohtes als spazierender Tagebuchautor erlebt. Dabei finden die Ereignisse der großen Weltgeschichte oft nur am Rande Eingang in seine Aufzeichnungen. Ihn interessiert vor allem das tägliche Leben in einer Großstadt. Das Ergebnis seiner Wahrnehmungen fasst er in Aphorismen, in kleine Geschichten, manchmal auch nur in einzelne Gedanken über deutsche Zustände. Seine Heimatstadt Köln hat es ihm dabei besonders angetan.

Die Menschen, die Kohtes beschreibt, haben ihre realen Vorbilder: Freunde, Kollegen, Familienmitglieder. So besucht er seinen Onkel im Seniorenstift, unternimmt einen Kaffeeplausch mit dem Bruder, spricht mit einem Soldaten, der verwundet aus Afghanistan zurück gekehrt ist und unbedingt dahin zurück will, um die Kameraden nicht im Stich zu lassen. Er plaudert mit der Nachbarin oder seiner Freundin Clara, die ein Beerdigungsinstitut hat und zuweilen vor kniffligen Herausforderungen steht: die Bestattung einer Leiche in sitzender Haltung zum Beispiel.

Ein Kölner Bestattungsinstitut stellt einen Sarg mit Köln-Motiv im Schaufenster aus (Foto: Michael Kohtes)
Ein Stück Köln geht mit ins Grab: ein Sarg mit Köln-MotivBild: Michael Kohtes
Werbeschild einer Imbiss-Stube mit Grammatikfehlern (Foto: Michael Kohtes)
Skurriles in Köln: Wer findet die Fehler?Bild: Michael Kohtes
Michael Kohtes (Foto: Peggy Schröder)
Michael KohtesBild: Peggy Schröder

Liebe zum Detail

Kohtes notierte auch die Kölner Anstrengungen in Sachen Multikulti, die sich im Bau der größten Moschee Deutschlands manifestieren und immer wieder für Ärger sorgen. Der Kölner sei von seinem Naturell her eher kindlich-spielerisch, stellt Kohtes dabei fest: "Er hat das Talent, selbst aus den ausweglosesten Situationen das Beste zu machen." Und so wandert Michael Kohtes nicht nur durch Köln, sondern auch durch verschiedene andere europäische Städte und plant seinen Urlaub in Transsylvanien. Überall entdeckt er seine Umwelt im Gehen und erklärt: "Man vergewissert sich selbst über sein Leben in der Stadt, man geht, um zu sehen, was läuft."

Michael Kothes: "365 Tage. Ansichten von K.", Greven Verlag, 176 Seiten, ISBN 978-3-7743-0600-4, 19,90 Euro