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Der Spion, der aus dem Rechner kam

Kerstin Hilt4. Juli 2005

Vor einem Jahr legte der Internet-Wurm Sasser binnen Minuten Millionen Rechner weltweit lahm. Nun steht sein Erfinder vor Gericht und sagt, er sei ein Überzeugungstäter im Dienst der Allgemeinheit.

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Sasser brachte viel Kopfzerbrechen und jede Menge FrustBild: dpa zb

Schlabber-Jeans, ausgewaschenes T-Shirt, Base-Cap: Das ist die Uniform aller Computer-Nerds seit jeher. Microsoft-Gründer Bill Gates trug sie, damals in den 1970er-Jahren, als er in seiner Garage an dem bastelte, was später einmal Windows werden sollte. Heute trägt sie zum Beispiel Sven Jaschan, ein etwas pickliger und ziemlich schüchterner Teenager aus der niedersächsischen Provinz. Meistens jedenfalls.

Am Dienstag (5.7.2005) war nämlich Sakko angesagt, denn Sven J. musste im Verdener Landgericht erscheinen. Und zwar als Angeklagter: Im Frühjahr 2004 hatte er, gerade mal 17 Jahre alt, im Keller von Papas Reihenhaus einen Computerwurm programmiert, den "Sasser-Wurm", der weltweit Millionen von Windows-Rechnern zum Abstürzen brachte, Flugzeuge am Starten und sogar die EU-Kommission am Arbeiten hinderte. Und zu seinen Gegnern gehört seitdem eben jener Bill Gates, der vor kaum 30 Jahren unter ähnlich bescheidenen Umständen ähnlich gründlich die Welt aus den Angeln zu heben begann.

Hier wohnt Sasser
Tatort Kinderzimmer: hier im Keller hat Sven seinen Wurm gezüchtetBild: dpa

Kleiner Junge oder Überzeugungstäter?

Sven J. hat vor dem Landgericht Verden ein umfassendes Geständnis abgelegt. "Er hat die Tatvorwürfe in allen Einzelheiten eingeräumt", sagte Gerichtssprecherin Katharina Krützfeld am ersten Prozesstag gegen den 19-Jährigen. Er ist wegen Datenveränderung, Computersabotage und Störung öffentlicher Betriebe angeklagt.

Statt Macht und Geld habe Sven J. der "pure Spieltrieb" angetrieben, mutmaßt Sebastian Schreiber, der in Tübingen ein Unternehmen für Computersicherheit leitet. Hacker Sven sehe sich als Überzeugungstäter. Zwar laufe Bill Gates' Windows-Betriebssystem auf 90 Prozent aller Rechner weltweit, doch trotzdem kranke das Programm an zum Teil gravierenden Sicherheitslücken. Und auf eine davon habe er die Windows-Nutzer eben aufmerksam machen wollen.

Mit Erfolg: In kürzester Zeit konnten viele Unternehmen mit Windows-Programmen nicht mehr weiterarbeiten. Das Heimtückische daran: Während man sich herkömmliche Viren meist über Attachments von E-Mails einfängt, verbreitete sich der Sasser-Wurm ganz einfach über das Internet. Surfen genügte, schon wurde man ihn nicht mehr los.

Fünf Jahre Haft?

Für den Prozess in Verden hat das Gericht die Fälle von 142
befallenen Computeranlagen ausgewählt, an denen ein Schaden von 130.000 Euro entstanden war. Die tatsächlichen Schäden waren weit größer. Genauere Angaben, wer in welchem Ausmaß betroffen war, gab und gibt es allerdings kaum: Den meisten Firmen war es offensichtlich zu peinlich, dass ihre hochgerüsteten Firewalls mit der feindlichen Übernahme aus dem Netz nicht fertigwurden. Bill Gates jedenfalls setzte ein Kopfgeld von 250.000 Euro auf den Sasser-Programmierer aus.

Die Höchststrafe für die angeklagten Taten beträgt fünf Jahre Haft. "Der Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts gilt aber nicht, weil der Angeklagte zum Tatzeitpunkt noch nicht volljährig war", machte die Gerichtssprecherin klar. Sven J. drohe nur dann Haft, wenn das Gericht bei ihm "schädliche Neigungen oder eine besondere Schwere der Schuld" feststelle.

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Peinlich für Windows: Sasser hatte leichtes SpielBild: AP

Auch Sebastian Schreiber meint: Was Sven getan hat, sei unverantwortlich. "Er hätte ja auch einfach Microsoft kontaktieren und auf die Sicherheitslücke hinweisen können, statt gleich die halbe Computerwelt Schachmatt zu setzen. Der wollte in erster Linie Eindruck schinden." Schreiber muss es wissen, denn auch er ist Profi-Hacker: Seine Firma Syss deckt im Auftrag von Unternehmen Sicherheitslücken in deren Computersystemen auf - und das, anders als in Svens Fall, ganz legal und gegen Bezahlung.

Der Grund: Immer häufiger werden Unternehmen Opfer unsichtbarer Spionage. Hacker dringen in Firmennetzwerke ein und stehlen wichtige Daten geräuschlos übers Internet, meistens beauftragt vom jeweiligen Konkurrenzunternehmen. Bekanntestes Beispiel: Als in Korea ein neuer Hochgeschwindigkeitszug gebaut werden sollte, sollen Hacker des französischen Eisenbahnbauers TGV heimlich das Angebot des deutschen Konkurrenten Siemens ausgekundschaftet haben, der den ICE zusammenschraubt - so munkelt man zumindest in der Branche. Der Zuschlag ging am Ende an TGV.

Nur ein Stellvertreter-Prozess?

"Das Vertrackte daran ist, dass die Unternehmen oft gar nicht mitbekommen, dass sie gehackt werden", meint Sebastian Schreiber. "Und wenn sie es merken, wollen sie meistens nicht darüber sprechen, um ihr Image nicht zu gefährden." Den Prozess gegen Svens Sasser-Wurm sieht er deshalb als eine Art Stellvertreterkrieg. Die paar unvorhergesehenen Rechner-Abstürze von damals könnten Unternehmen weitaus besser verkraften als computergestützte Industriespionage.

Das könne man allein schon an den vergleichsweise niedrigen Schadensersatzforderungen ablesen, die bis jetzt beim Gericht in Verden eingegangen seien: Die Ansprüche von Kleinunternehmen, öffentlichen Institutionen und Privatleuten belaufen sich momentan auf etwa 130.000 Euro insgesamt.

Beim Prozess, der nun angelaufen ist, handelt es sich allerdings erst um den Strafprozess, noch nicht um den darauf folgenden Zivilprozess, in dem dann auch die Schadensersatzforderungen verhandelt werden sollen. Die Chance ist groß, dass Sven im laufenden Verfahren mit einer Bewährungsstrafe davonkommt - wahrscheinlich wollen Staatsanwalt und Richter ihm die Zukunft nicht verbauen. Und die sieht gar nicht so schlecht aus: Kurz nach seinem Sasser-Coup hat bei Sven die Lüneburger IT-Firma Securepoint angeklopft, die - ähnlich wie das Tübinger Unternehmen von Sebastian Schreiber - Sicherheitsdienstleistungen anbietet. Seit einigen Monaten hat Sven dort nun eine Lehrstelle. Prozess hin oder her: Nachwuchs-Hacker Sven befindet sich offensichtlich auf dem besten Weg, aus seinem destruktiven Hobby einen gesellschaftlich akzeptierten Beruf zu machen.