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Störfall als Normalfall?

Ina Rottscheidt24. Juli 2007

Schweden erlebte 2006 fast ein zweites Tschernobyl, das AKW Brunsbüttel ist mittlerweile abgeschaltet, und in Japan sorgte ein Erdbeben für radioaktive Strahlung. Einzelfälle oder Alltag in den rund 400 AKWs weltweit?

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Das tschechische AKW Temelin (Archiv), Quelle: AP
Atomkraftwerke weltweit - wieviel geht wirklich schief?Bild: AP

Brunsbüttel ist derzeit das sicherste Atomkraftwerk - denn es ist abgeschaltet. Der Meiler ist einer von 438 Atomkraftwerken, die derzeit in Betrieb sind. Die Mehrheit steht in Industrieländern: 104 in den USA, 59 in Frankreich und 31 in Russland. Deutschland verfügt mit 17 über vergleichsweise wenig Atomkraftwerke.


Laut einer Bewertungsskala für Störungen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA sind Vorkommnisse wie die in den vergangenen Wochen in Deutschland, Schweden oder Japan Ausnahmen - und ungefährlich. Das meint auch Klaus Kotthoff von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, einer unabhängigen Sachverständigenorganisation. Technik ohne Fehler gebe es nicht, sagt Kotthoff und verweist auf zahlreiche Meldeverfahren und Maßnahmen, die so konzipiert seien, dass Aus- oder Störfälle beherrschbar würden, wie auch in den Fällen Brunsbüttel und Krümmel: "Diese Ereignisse waren aus meiner Sicht nicht von nennenswerter sicherheitstechnischer Bedeutung".

Henrik Paulitz von der Organisation "Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW) hat hingegen durchaus den Eindruck, dass es sich um brisante Vorfälle gehandelt habe: "Der Reaktorschutz wurde aktiviert, und das passiert nur bei schwerwiegenden Fällen". Es handle sich nicht um Einzelfälle: Nach seinen Informationen gebe es in Deutschland zahlreiche Vorfälle, über die die Öffentlichkeit unzureichend informiert werde. Die Informationen seien meist "unverständlich" und die brisanten Hintergründe würden unterschlagen, so seine Kritik: "Über ernstzunehmende Sicherheitsmängel wird hinweg getäuscht."

Der Super-GAU: überall und jederzeit?

Die deutschen Atomreaktoren zählen allgemein zu den sichersten, meint Kotthoff. Eine OECD-Studie kam allerdings schon 1997 zu dem Ergebnis, dass etwa das deutsche Atomkraftwerk Biblis B im internationalen Vergleich auf den letzten Plätzen rangierte. Lediglich das US-Atomkraftwerk Maine Yankee wies schlechtere Werte auf. Es wurde inzwischen still gelegt. Auch die anderen Anlagen hält Paulitz nicht für sicher genug: "Bei einer unglücklichen Verkettung von Umständen können technische Probleme und menschliches Versagen jederzeit und überall zum Super-GAU führen", so seine Prognose.

Tschenobyl nach der Reaktorkatastrophe 1986 (Archiv), Quelle: AP
Tschernobyl 1986: Jederzeit wieder wahrscheinlich?Bild: AP
Verteilung der Atomkraftwerke weltweit, Quelle: INSC (International Nuclear Safety Center)
Atomkraft weltweit: Energiequelle vor allem für Europa und die USABild: INSC

Scheinargumente?

Angra 2, Atomreaktor in Brasilien, Quelle: AP
AKW in BrasilienBild: AP

Die Kette von Zwischenfällen ereignet sich in einer Phase, in der die Kernkraft wieder auf dem Vormarsch scheint. Neben der Kohleverstromung gilt Kernenergie als eine der kostengünstigsten Formen der Stromerzeugung, während die Preise für Öl und Gas steigen. Vor allem schnell wachsende Volkswirtschaften in Osteuropa und Asien setzen auf nukleare Stromproduktion, um den rapide steigenden Energiebedarf zu decken. "Auch die Debatten um den Klimawandel und die Reduktion von Emissionen spielen eine Rolle. Und es geht natürlich auch um die Versorgungssicherheit", erklärt Alan McDonald von der IAEA.

Doch gerade die Versorgungssicherheit scheint trügerisch: Das benötigte Uran müssen die meisten Länder importieren. Zudem gibt es nach IAEA-Angaben weltweit nur etwa 4,7 Millionen Tonnen wirtschaftlich abbaubare Vorkommen. Diese Vorräte reichen nach Expertenmeinung beim gegenwärtigen Jahresverbrauch nur noch rund 60 Jahre. Demnach wäre Uran früher erschöpft als Erdöl und Erdgas.

Auch den Klimaschutz-Effekt hält Paulitz für gering, denn Atomkraft trage lediglich 2,1 Prozent zur weltweiten Energieversorgung bei. Für nennenswerte Klimaschutzeffekte müssten tausende neuer AKWs errichtet werden, so der Experte, und das sei aufgrund fehlender Produktionskapazitäten der Atomindustrie nicht möglich. "Es geht nur darum, die Energieproduktion auf diesem niedrigen Niveau zu halten und die Technik aufrecht zu erhalten - auch wegen des Interesses an Atomwaffen. Aber es handelt sich um eine marginalisierte Energieversorgungstechnik, auf die man ohne Probleme verzichten kann Es gibt keine Renaissance der Atomenergie", so sein Urteil.

Kein Mittel gegen Terror

Zudem verweist er auf das nach wie vor ungelöste Problem der Entsorgung von Atommüll, der noch nach Jahrzehnten strahlungsaktiv ist. Bei der IAEA rücken aber zunehmend auch andere Sicherheitsfragen in den Mittelpunkt, berichtet McDonald. Eine eigene Abteilung bei der IAEA beschäftigt sich mit der Frage, wie Missbrauch nuklearen Materials und terroristische Anschläge auf AKWs verhindert werden können. Paulitz ist pessimistisch: "Terroristen, die die Absicht haben, ein Atomkraftwerk in die Luft zu sprengen, erreichen das mit verhältnismäßig einfachen Mitteln", sagt er, "so dass ein Schutz gegen Terroranschläge schlichtweg nicht möglich ist."

Brand im Atomjkraftwerk Krümmel am 29. Juni 2007, Quelle: AP
Was passierte wirklich im AKW Krümmel?Bild: AP