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Der steinige Weg zur neuen Verfassung

Matthias Sailer3. Oktober 2012

Ägyptens aktuell diskutierter Verfassungsentwurf erzürnt viele Liberale. Sie werfen Muslimbrüdern und Salafisten vor, die Grundrechte einschränken und einen islamischen Staat errichten zu wollen.

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Sitzung des ägyptischen Parlaments (Foto:AP/dapd)
Bild: AP

Ägyptens neue Verfassung entsteht unter großen Turbulenzen. Die erste verfassunggebende Versammlung wurde vom Obersten Verwaltungsgericht aufgelöst - und auch der jetzigen zweiten droht die Auflösung. Bei den vielen noch laufenden Gerichtsverfahren gegen die ägyptischen Institutionen ist es schwer, den Überblick zu behalten. Die im Moment tagende Versammlung ist von Islamisten dominiert und diskutiert einen bereits weit fortgeschrittenen und heftig umstrittenen Verfassungsentwurf. Ob sie aufgelöst wird oder nicht, wird in den nächsten Wochen das Verwaltungsgericht entscheiden. Diese eigentlich bereits für Dienstag (02.10.2012) erwartete Entscheidung wurde erneut vertagt.

Derweil gehen die Angriffe auf die Versammlung weiter. Ragab Saad Taha, Wissenschaftler am Cairo Center for Human Rights Studies, teilt die Skepsis vieler Experten. Seine Kritik beginnt bereits bei der Qualifikation vieler Mitglieder: "Die verfassunggebende Versammlung befindet sich in einer großen Krise. Einerseits wegen der Dominanz der Islamisten, andererseits aber auch weil ihr die qualifizierten Mitglieder fehlen. Kaum einer ist Experte für Verfassungsrecht."

Einschränkung der Grundrechte

Der Großteil der Kritik ist jedoch inhaltlicher Natur. Vor allem die Liberalen werfen der von Muslimbrüdern und Salafisten dominierten Versammlung unter anderem vor, die Grundrechte einschränken zu wollen. Ragab Saad Taha kritisiert die diskutierte Einschränkung der Informationsfreiheit: "Es existiert ein Artikel, der es erlaubt, das Verbreiten von Informationen zu verbieten, wenn sie die nationale Sicherheit betreffen. Zum Beispiel hat die Regierung im Namen der nationalen Sicherheit der Amerikanischen Universität in Kairo die Verwendung eines bestimmten Geschichtsbuches verboten." Besagtes Buch beschäftigt sich unter anderem mit dem Militär, das dank jahrzehntelanger Propaganda Heldenstatus unter den Ägyptern genießt. Ein allzu kritisches Buch über die Armee ist da unerwünscht. Zwar wurde dieses Verbot noch unter der aktuellen Verfassung getroffen, doch das Prinzip ist dasselbe: Da keine Definition für den Begriff "nationale Sicherheit" existiert, kann solch ein Paragraph von der jeweiligen Regierung missbraucht werden.

Ragab Saad Taha, Wissenschaftler am Cairo International Institute for Human Rights Studies (Foto: Matthias Sailer)
Einer der größten Kritiker der verfassunggebenden Versammlung: Ragab Saad TahaBild: Matthias Sailer

Die Befürchtungen gehen noch weiter: Viele Kritiker gehen davon aus, dass Muslimbrüder und Salafisten einen islamischen Staat errichten könnten. Die Salafisten haben gefordert, dass Islamgelehrte der Al-Azhar-Universität in Zukunft darüber entscheiden sollen, ob Gesetze mit den Prinzipien des islamischen Rechts vereinbar sind. Die Al-Azhar-Universität ist eines der bedeutendsten Zentren für die Auslegung des sunnitisch-islamischen Rechts. Für Ragab Saad Taha würde damit eine über dem gewählten Parlament stehende religiöse Institution entstehen.

Religionsfreiheit in Gefahr

Mahmoud Mostafa Saad, Leiter der Pressestelle der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbrüder, wiegelt ab: "Die Al-Azhar-Universität wird beratend hinzugezogen werden, aber die endgültige Entscheidung wird vom Parlament kommen. Die Mehrheit in der Versammlung ist sich einig, dass diese Einrichtung nur ein Beratungsgremium sein wird."

Mahmoud Mostafa Saad, Leiter der Pressestelle der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei (Foto: Matthias Sailer)
Mahmoud Mostafa Saad: "Keine religiöse Institution wird über dem Parlament stehen"Bild: Matthias Sailer

Sicher eingeschränkt werden dürfte jedoch die Glaubensfreiheit. Salafisten und Muslimbrüder lassen keinen Zweifel daran, dass sie nur Muslimen, Christen und Juden das öffentliche Praktizieren ihrer Religion erlauben wollen - zum Beispiel aber nicht für die religiöse Minderheit der Bahai. Osama Nour El-Din, Leiter des wissenschaftlichen Dienstes der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, begründet diesmit den Worten: "Die Ägypter sind im Laufe der Zeit nie anderen Religionen gefolgt. Unsere Traditionen würden uns nicht erlauben, diese in der Gesellschaft zu akzeptieren, denn das würde viele gesellschaftliche Konflikte hervorrufen."

Wird auch diese Versammlung aufgelöst?

Osama Nour El-Din, Leiter des wissenschaftlichen Dienstes der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei (Foto: Matthias Sailer)
Osama Nour El-Din rechtfertigt die Einschränkung der ReligionsfreiheitBild: Matthias Sailer

Um ihrer Kritik Nachdruck zu verleihen, haben sich die nicht-islamistischen Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung zusammengeschlossen. Sie überlegen nun sogar, eine alternative Versammlung ins Leben zu rufen. Ähnliche Versuche sind allerdings in der Vergangenheit gescheitert.

Selbst wenn auch die jetzige Versammlung aufgelöst werden sollte: Es sei unwahrscheinlich, dass sich dadurch viel ändern würde, meint Ragab Saad Taha: "Der Sprecher der Muslimbruderschaft hat gesagt, dass der Präsident die Versammlung mit denselben Mitgliedern wieder einsetzen würde. Am bisherigen Verfassungsentwurf würde also weiter gearbeitet werden."