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Geschichte einer Frage

23. Juli 2009

Die Väter des Grundgesetzes haben es gut gemeint, doch seit der ersten Anwendung wird über den Gebrauch der Vertrauensfrage gestritten. Fünfmal wurde sie auf Bundesebene gestellt, um Vertrauen ging es dabei selten.

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Rainer Barzel gratuliert Willy Brandt per Handschlag zur verlorenen Vertrauensfrage
Er war der erste: Brandt (re.) stellte 1972 die VertrauensfrageBild: AP

Die Vertrauensfrage gibt dem Bundeskanzler die Möglichkeit, das Parlament zu fragen, ob es noch hinter ihm und seiner politischen Agenda steht. Versagt das Parlament dem Kanzler das Vertrauen, kann dieser den Bundespräsidenten bitten, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen beantragen. So hatten es sich zumindest die Väter des Grundgesetzes beim Schreiben des Artikels 68 überlegt.

Druckmittel des Kanzlers

Gerhard Schröder hält seine Hand an die Backe
Stellte die Vertrauensfrage gleich zweimal: SchröderBild: AP

Die politische Praxis sieht allerdings anders aus. Die Vertrauensfrage verdient ihren Namen nicht - zumindest nicht immer. Denn oft geht es demjenigen, der sie stellt, gar nicht darum, dass man ihm das Vertrauen ausspricht. Vielmehr geht es um politisches Kalkül, um Macht. Meist wird der Artikel 68 als Druckmittel des Kanzlers interpretiert. So verknüpfte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahre 2001 die Vertrauensfrage mit der Sachfrage, deutsche Soldaten nach Afghanistan zu entsenden. Viele Abgeordnete steckten in einem Dilemma: Stimmen sie gegen den Afghanistan-Einsatz, stellen sie sich gleichzeitig gegen den Kanzler und könnten bei Neuwahlen sogar ihr Mandat verlieren. Schröder setzte sich durch.

Bisher stellten Bundeskanzler fünfmal die Vertrauensfrage. Der erste, der sich auf Artikel 68 des Grundgesetzes berief, war 1972 Willy Brandt. Er gab vor dem Bundestag offen zu: "Mein Ziel ist es, durch die Ablehnung des hier gestellten Antrages in die Lage versetzt zu werden, dem Herrn Bundespräsidenten die Auflösung des 6. Deutschen Bundestages und die Ansetzung von Neuwahlen vorschlagen zu können."

Brandt machte den Anfang

Helmut Kohl sitzt im Bundestag, die Plätze um ihn herum sind alle leer
Nachdenklich: Kohl schaffte sich durch die Vertrauensfrage und Neuwahlen eine größere MehrheitBild: AP

Brandt stellte also die Vertrauensfrage in der Absicht, sie zu verlieren und Neuwahlen herbeizuführen. Er hatte zuvor wegen seiner Ostpolitik die Mehrheit im Bundestag verloren und sah die Regierung handlungsunfähig. Der Bundestag ließ den Kanzler wie erwünscht durchfallen. Die Neuwahlen sicherten Brandt eine komfortable Mehrheit. Der Plan war aufgegangen und damit war die erste Vertrauensfrage gleich eine fingierte, zwei dieser Art sollten noch folgen.

1982 stellte auch Helmut Kohl erfolgreich die umstrittene Frage, um zu scheitern und Neuwahlen herbeizuführen. Die dritte Vertrauensfrage, in der es nicht um Vertrauen ging, stellte Gerhard Schröder 2005, nachdem sein Regierungsbündnis bei Landtagswahlen mehrere Schlappen erlitten hatte. "Mit dem bitteren Wahlergebnis für meine Partei in Nordrhein-Westfalen ist die politische Grundlage für die Fortsetzung unserer Arbeit in Frage gestellt. Für die aus meiner Sicht notwendige Fortsetzung der Reformen halte ich eine klare Unterstützung durch eine Mehrheit der Deutschen für unabdingbar", rechtfertigte sich Schröder vor dem Bundestag.

Das Gefühl des Kanzlers reicht aus

Eine Mitarbeiterin des deutschen Bundestags hält die Abstimmungskärtchen für die Vertrauensfrage hoch (AP)
Ja, Enthalte mich, Nein - die Abstimmungskärtchen im BundestagBild: dpa - Report

Reicht das aus, um die Vertrauensfrage zu stellen, um das Parlament aufzulösen und Neuwahlen herbeizuführen? Wie schon in den 80er Jahren klagten einige Abgeordnete vor dem Bundesverfassungsgericht. Im ersten Urteil stellte das Gericht fest: Es müsse eine "gewisse Krisensituation" vorliegen, um die Vertrauensfrage stellen zu dürfen. Ein Urteil, das jede Menge Spielraum ließ. Was ist schon eine "gewisse Krisensituation"?

2005 wurde das Bundesverfassungsgericht deutlicher und entmachtete sich selbst: Ob das Parlament dem Kanzler vertraue oder nicht, könne das Gericht nicht beurteilen, sagte Winfried Hassemer, der damaliger Vorsitzender des 2. Verfassungsgerichtssenats: "Die Einschätzung des Bundeskanzlers, er sei für seine künftige Politik nicht mehr ausreichend handlungsfähig, ist eine Wertung, die durch das Bundesverfassungsgericht nicht eindeutig und nicht vollständig überprüft werden kann."

Praktisch darf also jeder Bundeskanzler und Ministerpräsident, so die Vertrauensfrage im Landesgesetz vorgesehen ist, die Vertrauensfrage stellen. Als Begründung reicht ein Satz: "Ich fühle mich mit diesem Parlament nicht mehr handlungsfähig."

Autor: Benjamin Wüst

Redaktion: Dirk Eckert